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# taz.de -- Medizinische Versorgung auf der Straße: Krank und obdachlos
> In Hamburg sind zwei Obdachlose gestorben, weil sie krank waren und keine
> Unterkunft hatten. Durchs Raster fallen auch psychisch Kranke.
Bild: Wohin, wenn man krank ist? Für Obdachlose ist das ein Problem
Bremen taz | Zwei Obdachlose sind in Hamburg innerhalb der letzten zwei
Wochen gestorben. Beide kamen aus Polen, beide sollen krank gewesen sein,
medizinische Hilfe aber abgelehnt haben [1][wie der 47-jährige Macij]. Oder
sie nicht in dem Umfang bekommen haben wie die 43-jährige Joanna, die vor
genau zwei Wochen auf einer Parkbank in Niendorf starb.
Krank – und kein Dach über dem Kopf. Ein solcher Zustand ist Alltag für
Obdachlose in Deutschland. So ist bereits ihr allgemeiner
Gesundheitszustand schlechter als der von Menschen mit festem Wohnsitz,
stellte 2014 [2][eine große Studie] der Technischen Universität München
fest. Obdachlose leiden häufiger an chronischen Erkrankungen, haben öfter
zu hohen Blutdruck.
Außergewöhnlich viele sind psychisch krank: Bei zwei Dritteln aller 232
Wohnungslosen, die an der Studie teilgenommen hatten, wurden eine oder
mehrere psychische Erkrankungen festgestellt. Tatsächlich könnten in
Wirklichkeit noch mehr psychisch krank sein, sagen die Münchner
Forscher*innen. Ausgerechnet „diejenigen mit besonders ausgeprägten
psychischen Schwierigkeiten“ hätten eine Studienteilnahme häufig abgelehnt.
Zudem lebten alle Befragten in einer Notunterkunft – und nicht etwa auf der
Straße.
Gleichzeitig fanden die Wissenschaftler*innen heraus, dass nur ein Drittel
der Betroffenen in psychiatrischer Behandlung war. Dabei war in vielen
Fällen die psychische Krankheit nach eigener Einschätzung der Grund, warum
jemand eine Wohnung verloren hat. Andere Krankheiten, sowohl psychische als
auch körperliche, können als Folge der Wohnungslosigkeit angenommen werden.
## Minikliniken für Obdachlose
Es gibt für diese Menschen Hilfsangebote, häufig sind sie
spendenfinanziert: Sprechstunden, mobile Arztpraxen. In Hamburg, wo nach
Schätzungen 2.000 Menschen wohnungslos sind, unterhält die Caritas mit der
„Krankenstube“ sogar eine richtige Krankenstation mit 18 Betten. In
Hannover hat das Diakonische Werk zwei Krankenwohnungen mit je sechs
Plätzen eingerichtet.
Notwendig wurden diese Minikliniken nicht zuletzt deswegen, weil sich für
Krankenhäuser seit Einführung der Fallpauschalen lange Liegezeiten nicht
mehr lohnen. Doch die beiden Angebote in Hamburg und Hannover richten sich
ausschließlich an Menschen mit vorrangig somatischen Beschwerden. Die
anderen, die psychisch Kranken, „rauschen durchs System“, wie es der Leiter
der Hamburger Krankenstube, Thorsten Eikmeier, nennt. „Wir können sie nicht
versorgen“, sagt er. Zum einen fehle das Fachpersonal, zum anderen seien
viele psychisch so auffällig, dass sie andere stören oder sogar gefährlich
werden könnten. Diese Menschen haben häufig auch Hausverbot in den
Notunterkünften.
So bleibt ihnen in Hamburg der gelegentliche Kontakt mit einem
Streetworker, einem Kollegen von Eikmeier, der gemeinsam für zwei Stunden
in der Woche mit einem Psychiater die Betroffenen aufsucht. Jedenfalls
theoretisch, denn es gibt derzeit nur einen Arzt, der dazu bereit ist.
In Bremen, wo es für diese Menschen bisher gar keine Angebote gab, plant
der Senat jetzt ein Heim für psychisch kranke Obdachlose „ohne
Krankheitseinsicht“. Der Zusatz ist wichtig. Es geht um Menschen, die eine
ambulante oder stationäre Behandlung ablehnen und in den bestehenden
Angeboten der Wohnungslosenhilfe nicht richtig aufgehoben sind.
## Mit Grippe nicht auf die Straße
Das neue Wohnangebot in Bremen soll sehr niedrigschwellig sein, „die
bestehende Obdachlosigkeit beenden und den Verelendungsprozess
unterbrechen“, heißt es in dem [3][vor einer Woche vorgestellten Konzept].
Neu in Bremen soll es auch ein Krankenzimmer für psychisch kranke
Obdachlose mit körperlichen Beschwerden geben – ein neues Angebot des
Vereins für Innere Mission in Bremen. Aber zunächst mit nur einem oder zwei
Betten und einer Krankenpfleger*in. „Der Druck ist in Bremen im Vergleich
mit Hamburg eventuell nicht so groß“, sagt Axel Brase-Wentzell von der
Inneren Mission. Die Kliniken würden nach seiner Erfahrung seltener
Menschen etwa mit offenen Wunden in die Obdachlosigkeit entlassen. Und wer
erkältet sei oder gar eine echte Grippe habe, dürfe in Bremen fast
ausnahmslos in der Notunterkunft bleiben.
Obdachlose aus Osteuropa bleiben jedoch auch in Bremen von den staatlich
geförderten Notunterkünften ausgeschlossen – außer sie haben schon einmal
in Deutschland gearbeitet und damit Anspruch auf Sozialleistungen. „Wenn
diese Menschen krank sind, dann müssen sie sich wirklich auf der Straße
auskurieren“, sagt Brase-Wentzell. „Dass es dafür keine politische Lösung
gibt, ist ein Skandal.“
Genau so sieht es Corinna Genz, Sozialarbeiterin in einer der
Krankenwohnungen in Hannover. „Das Thema treibt uns alle, die mit
Wohnungslosen arbeiten, um.“ Weil sie so viele Anfragen bekommen, hat das
Diakonische Werk in Hannover in zwei Zimmern je ein weiteres Bett
hinzugestellt, für kranke Obdachlose, für die sich der Staat nicht
zuständig erklärt hat. „Es könnten noch viel mehr sein“, sagt Genz.
Corinna Genz betreut derzeit einen krebskranken Mann aus Polen, der seit
Jahren in Hannover auf der Straße lebt und an seiner Krankheit sterben
wird. Er hat jetzt zwar ein Krankenbett, aber seine Versorgung bleibe
schwierig, sagt Genz. „Wo bekommen wir das Morphium her? Wer macht eine
Computertomografie?“
Mehr darüber, wie Menschen auf der Straße mit Krankheiten umgehen, lesen
Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz.nord oder am [4][E-Kiosk.]
9 Nov 2018
## LINKS
[1] https://www.hinzundkunzt.de/macij-starb-in-einer-harburger-baracke/
[2] https://www.mri.tum.de/pressemeldungen/seewolf
[3] https://www.senatspressestelle.bremen.de/sixcms/detail.php?id=308732&as…
[4] /!p4350/
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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