# taz.de -- Kolumne Geht's noch: Vor der Bank mit Barcode um den Hals | |
> Eine App soll anzeigen, was Obdachlose mit dem Geld machen, das man ihnen | |
> spendet? Eine ganz schlechte Idee von wohlmeinenden Wohlhabenden. | |
Bild: Ginge es nach Alex McCallion, hätte dieser Obdachlose in London schon l�… | |
Ein ehemaliger Oxford-Student entwickelt derzeit eine App, mit der | |
Passanten persönliche Daten von Obdachlosen abrufen können, denen sie | |
bargeldlos Geld gespendet haben. Die App soll nachvollziehbar machen, für | |
welchen Zweck die Spende genutzt wird: Für warmes Essen oder eher für | |
Alkohol oder Drogen? | |
Viele zögern, an Obdachlose zu spenden: „Weil sie nicht wissen, was die mit | |
dem Geld machen,“ so Alex McCallion, der die Idee zur App „Greater Change“ | |
hatte. Demnach soll der um eine Gabe Bittende einen Barcode um seinen Hals | |
tragen, Passant*innen scannen diesen mit dem Smartphone ein, sehen, wofür | |
die obdachlose Person die Spende braucht und vielleicht überweisen sie dann | |
etwas. | |
Ein Mensch kann aus vielerlei Gründen auf der Straße landen, oft ist aber | |
Sucht ein Auslöser für Obdachlosigkeit. Und auch ohne Dach über den Kopf | |
muss ein Süchtiger Geld für Alkohol oder Drogen ausgeben. Diese sind für | |
die Betroffenen Grundbedürfnisse wie Wasser und Nahrung, denn ein kalter | |
Entzug kann für sie tödlich enden. Eigentlich ist Sucht eine chronische | |
Krankheit, die moderne Medizin ist ratlos, was ihre nachhaltige Behandlung | |
angeht, Rückfälle werden als Schicksal betrachet. Doch von der Mehrheit der | |
Bevölkerung wird sie als Hedonismus oder Schwäche interpretiert, die nicht | |
noch gefördert werden sollte. | |
Auf der Straße Geld zu sammeln ist wie Crowdfunding, und bei seriösem | |
Crowdfunding ist Transparenz entscheidend. So nehmen global agierende NGOs | |
wie Greenpeace oder Amnesty International Spenden ein und informieren ihre | |
Unterstützer*innen über die Ausgaben. Bei den großen Summen, die bei den | |
NGOs zusammenkommen, ist der Wunsch nach Nachvollziehbarkeit auch | |
verständlich. Doch sind die Berichte dieser Organisationen in der Regel | |
grobe Auflistungen und keine detaillierten Ansichten. Für noch mehr | |
Transparenz in diesen Strukturen gibt es keine App. | |
Von Menschen ohne Wohnung zu fordern, ihre Daten mit jedem Wildfremden, der | |
gerade vorbeiläuft, zu teilen, stärkt nur die Unterdrückungsmechanismen, | |
unter denen Obdachlose ohnehin leiden. Die Idee, dass diese ihre Ausgaben | |
begründen müssen, unterstützt die Ansicht, eine Spende für Lebensmittel sei | |
okay, für Alkohol oder Drogen aber nicht, und bestätigt die Stigmatisierung | |
von Suchterkrankten. Von Schutzmechanismen, die Datenmissbrauch verhindern | |
sollen, spricht der Macher von „Greater Change“ nicht. | |
Die App „Greater Change“ bezweckt zwar, dass Obdachlosen geholfen wird, | |
indem auf einem zweckgebundenen Konto Geld landet, mit dem die Kaution für | |
eine Wohnung bezahlt werden kann. Viel mehr, als gut situierten Menschen | |
ein weiteres Machtinstrument in die Hand zu drücken, schafft sie aber | |
nicht. Sie untermauert die Tatsache, dass obdachlos Lebende auf die „Gnade“ | |
von Wohlhabenden angewiesen sind. Auf die Idee, Obdachlose zu chippen, | |
kommt man wohl nur, wenn man lange von Oxford aus auf die Straßen | |
herabgeschaut hat. | |
2 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
## TAGS | |
Obdachlosigkeit | |
Bargeld | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Wohnungslosigkeit | |
Obdachlosigkeit in Hamburg | |
Obdachlosigkeit in Hamburg | |
Sozialarbeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schweden ohne Münzen und Scheine: Bares wird Rares | |
Bargeldlos bezahlen? Was in vielen Ländern diskutiert wird, ist in Schweden | |
schon kaum anders möglich. Die Regierung zieht nun die Notbremse. | |
Obdachlosen-Helferin über Räumungen: „Manchmal gibt es Schikanen“ | |
In Berlin wurde eine Obdachlose gefesselt und geräumt. Werena Rosenke von | |
der BAG Wohnungslosenhilfe kritisiert, dass oft ohne begleitende Hilfe | |
geräumt wird. | |
Räumung eines Obdachlosencamps: Mitte setzt auf Zucht und Ordnung | |
Die Stadtreinigung wirft die Habe von Obdachlosen weg, die Polizei steckt | |
den Kopf einer Betroffenen in einen Sack: Ein Video dokumentiert den | |
Einsatz. | |
Gründerin über 25 Jahre Hinz&Kunzt: „Am Anfang waren wir supernaiv“ | |
Das Straßenmagazin Hinz&Kunzt bringt Obdachlose auf Augenhöhe mit den | |
Hamburger*innen. Chefredakteurin Birgit Müller über Grenzen und | |
Großzügigkeit. | |
Sozialsenatorin über Obdachlosigkeit: „Es ist nicht immer die Kälte“ | |
In vier Wochen starben in Hamburg vier Obdachlose. Doch Sozialsenatorin | |
Melanie Leonhard verteidigt das bestehende Hilfesystem. | |
Betreuer über seelisch kranke Obdachlose: „Vom System ausgespuckt“ | |
Straßensozialarbeiter Julien Thiele und Psychiater Richard Becker suchen | |
Obdachlose mit psychischen Problemeauf. Der Handlungsbedarf wird | |
unterschätzt. |