| # taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Auf der Suche nach dem richtigen Ton | |
| > Bei der Generaldebatte kann man das volle Spektrum des politischen | |
| > Auftritts bewundern. Während die einen pöbeln, üben sich andere in | |
| > Sachpolitik. | |
| Bild: Angela Merkel hielt im Bundestag eine eindringliche Rede | |
| Berlin taz | Wer meint, in der Generaldebatte zum Bundeshaushalt ginge es | |
| selbstredend um haushalterische Fragen, der irrt. Zwar soll – und wird – am | |
| Freitag das Parlament über den Etat des Kanzleramts abstimmen. Aber der | |
| Mittwoch ist quasi eine Art Schaulauf der politischen Differenzierungen. | |
| Die Kanzlerin spricht, klar. Für die Sozialdemokraten hat sich Fraktions- | |
| und Parteichefin Andrea Nahles angekündigt. Und die Rechten im Parlament | |
| schicken Alice Weidel nach vorn. | |
| In diesen Wochen, da die Unionsparteien neue Vorsitzende küren, die | |
| Koalitionspartei SPD ausgelaugt wirkt und die AfD als stärkste | |
| Oppositionspartei von einem schweren [1][Spendenskandal] erschüttert wird, | |
| sollte es – hofft man jedenfalls – etwas demütiger, sachpolitischer | |
| zugehen. „Die Menschen“, von denen so gern geredet wird, würden schließli… | |
| gern verstehen, was mit den von ihnen brav gezahlten Steuermilliarden | |
| passiert. 356,4 Milliarden Euro stehen zu Buche. Die „schwarze Null“ von | |
| Finanzminister Olaf Scholz „steht“, wie es so bildmächtig wie abstrakt | |
| heißt. Aber das Land, es ist unruhig. Das sind die Gedanken, die einem | |
| durch den Kopf gehen können, während es zum Beginn der Sitzung im | |
| Reichstagsgebäude still wird. Es spricht zuerst Alice Weidel. | |
| Die Fraktionsvorsitzende der AfD beginnt mit ihren üblichen Schmähungen und | |
| Bezichtigungen. Ausgabenwahn, Ausverkauf, derlei. Doch Weidel kann nicht | |
| ignorieren, wie unruhig das Plenum ist. Aktuell steht sie wegen einer | |
| verbotenen Parteispende aus dem Ausland hart in der Kritik, die Atmosphäre | |
| zwischen ihr und ihrem Covorsitzenden Alexander Gauland ist mies. Man | |
| konnte das vor Beginn der Sitzung sehen, die beiden in der ersten Reihe | |
| würdigten sich keines Blickes. Nachdem aber Weidel sich den Bundestag zur | |
| Beute gemacht hat, um über die Spenden für andere Parteien – ausgenommen | |
| übrigens die Linke – abzuhassen, schließt er sie fest in die Arme. | |
| Bilderpolitik. | |
| Nach Weidels sachpolitischem Komplettausfall tritt Angela Merkel ans | |
| Rednerpult. „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das | |
| redet, was er für das Land für wichtig hält.“ Gelächter und Applaus. Es | |
| folgt eine Rede, die so, in dieser Dringlichkeit, selten zu hören war von | |
| Angela Merkel. Sie spricht über die Arbeit der Großen Koalition, erwähnt | |
| die Arbeitserfolge der Regierung, geht auf Digitalpakt und Brexit ein. | |
| Eindringlich appelliert sie aber vor allem an die Abgeordneten, den | |
| UN-Migrationspakt nicht zu gefährden. „Entweder man gehört zu denen, die | |
| glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das | |
| ist Nationalismus in reinster Form. Patriotismus ist, wenn man im deutschen | |
| Interesse auch andere mit einbezieht und Win-Win-Situationen akzeptiert.“ | |
| Auf den Bänken der AfD flippt Beatrix von Storch regelrecht aus, als Merkel | |
| erklärt: „Deutsches Interesse heißt, immer auch die anderen mitzudenken.“ | |
| Die Pöbeljungs aus der AfD-Fraktion veranstalten einen Lärm, der anders als | |
| entlarvend kaum zu nennen ist. Hier spüren Demokratiefeinde ihre | |
| Unterlegenheit. Um so irritierender, dass sich nach Merkels Rede in der | |
| ersten Reihe der SPD-Fraktion keine Hand zum Applaus rührt. | |
| FDP-Fraktionschef Christian Lindner ist an der Reihe. Der Liberale spricht | |
| von einem verlorenen politischen Jahr, das hinter der Bundesregierung | |
| liege. Gleich zu Beginn kommt er auf die immer stärker spürbare Distanz der | |
| Unionsparteien zu ihren scheidenden Vorsitzenden Merkel und Seehofer zu | |
| sprechen. Gerade versucht Kandidat Jens Spahn unter tatkräftiger Hilfe der | |
| CSU-Landesgruppe, Merkel die Debatte über den UN-Migrationspakt | |
| [2][reinzudrücken]. Lindner sagt nun, die Antwort auf offene | |
| gesellschaftliche Fragen sei sicher nicht, „dass wir uns im Nationalstaat | |
| verschanzen“. Die Bundesregierung rede anders, als sie handele. „Aber wer | |
| den Mund spitzt, muss auch irgendwann pfeifen“, wendet er sich an die | |
| Kanzlerin. Lindner war als Rhetoriker schon mal besser. | |
| ## Andrea Nahles als Topact der Debatte geplant | |
| Die Rede von Andrea Nahles war als eine Art Topact dieser Debatte | |
| angekündigt. Die SPD-Fraktionsvorsitzende lobt dann aber doch nur die | |
| Arbeit der Bundesregierung und spricht sich für eine bessere Zusammenarbeit | |
| auf europäischer Ebene aus. „Dieser Haushalt investiert in die richtigen | |
| Fragen, nämlich in Chancengleichheit, in Bildung“, sagt Nahles. Er sorge | |
| aber auch für Sicherheit – für soziale Sicherheit etwa bei Renten und in | |
| der Pflege, aber auch für einen handlungsfähigen Staat und neue Stellen bei | |
| der Bundespolizei. Angesichts der harschen innerparteilichen Kritik wirkt | |
| Nahles erschöpft. Nicht einmal aus ihrer eigenen Fraktion kommt | |
| nennenswerter Applaus. | |
| Um viertel nach zehn tritt Sahra Wagenknecht ans Podium. Sie hat Ahnung von | |
| Wirtschaft und schwingt sich auf das erwartbare fachpolitische Niveau | |
| hinauf. Spekulationen am Finanzmarkt, Sicherung der Spareinlagen, Forderung | |
| nach einer Finanztransaktionssteuer – Wagenknecht spricht versiert. Sie | |
| kritisiert die digitale Wende als Angstthema der Erwerbstätigen. Merkel | |
| tippt auf ihrem Handy, hört aber zu, während Wagenkecht über europäische | |
| Friedenspolitik, Willy Brandts selige Entspannungspolitik spricht und die | |
| deutschen Rüstungsexporte geißelt. „Wir haben uns viel zu sehr an die | |
| Unfähigkeit von Regierungen gewöhnt“, moniert die Linke. Zufriedene | |
| Rüstungslobbyisten seien ihr wichtiger als zufriedene Wähler. Die Politik | |
| habe den sozialen Zusammenhalt im Lande zerstört. Wie sehr, zeigten die | |
| Erfahrungen, die im Netz unter dem Stichwort #unten geschildert würde. Sich | |
| das mal anzuschauen, täte nebenbei bemerkt auch der FDP gut. Lindner | |
| schwatzt derweil mit seinem Parlamentarischen Geschäftsführer Marco | |
| Buschmann. | |
| Anton Hofreiter spricht als Fraktionsvorsitzender der Grünen. Er kommt | |
| sofort auf die Europäische Union als verbindende Institution. Streit, | |
| Sommerpause, wieder Streit, so umreißt er das zurückliegende | |
| Regierungsjahr. „Und die SPD sitzt da wie das Kaninchen vor der Schlange“, | |
| wendet er sich an Nahles. „Was für ein Unfug“, holzt die zurück. Unter dem | |
| Hohngelächter von AfD-Jungs spricht Hofreiter über die europäische | |
| Klimaabgabe als Instrument gegen Sozialdumping. An die Kanzlerin gewandt, | |
| sagt er, sie habe „eine ganz bemerkenswerte Rede gehalten“. Aber ihre | |
| Regierung arbeite holprig, ihr Innenminister „tölpelhaft“. | |
| Zum Schluss kommt der neue Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus. Er | |
| findet einen verbindenden Ton. „Die Menschen“, um die es hier ja gehen | |
| soll, seien „unruhig“. Der gesellschaftliche Konsens bröckele. „Wir müs… | |
| die Gesellschaft wieder mehr von der Mitte her denken“, sagt Brinkhaus, | |
| „indem wir konkret was tun und ohne die Ränder zu vernachlässigen.“ Kita, | |
| Pflege, Bildung, Rente, das seien die Themen im Land. Womöglich ist es das, | |
| womit „die Menschen“ etwas anfangen können: weniger eitles Gepöbel, dafür | |
| mehr lebensweltliche Sachpolitik. Am Mittwoch im Bundestag war von derlei | |
| gerade mal in Ansätzen etwas spürbar. | |
| 21 Nov 2018 | |
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| Anja Maier | |
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