# taz.de -- Treffen der Senioren-Union: Ganz alte Schule | |
> Bei der Senioren-Union trifft man die alte CDU – mit Handkuss und | |
> Sehnsucht nach Anstand. Die Kandidaten für den Parteivorsitz kommen auch | |
> vorbei. | |
Bild: Der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff | |
MAGDEBURG taz | Um halb zwei am Donnerstagnachmittag flüstern die | |
Security-Männer in ihre Anzugrevers: Jens Spahn ist da. Körperliche | |
Attacken auf den Bundesgesundheitsminister und Kandidaten für den | |
CDU-Vorsitz sind hier, im Maritim Hotel Magdeburg, aber nicht zu | |
befürchten. Viel Silberhaar ist im Saal zu sehen, viele Zweireiher, einige | |
Rollatoren parken im Gang. Die Damen tragen Tchibo und Chanel, die Herren | |
Einstecktücher und blitzblanke Schuhe. | |
Die Bundesdelegiertenversammlung der Senioren-Union der CDU Deutschlands | |
ist so was wie der Parteitag der Alten. Klingt harmlos, ist aber das | |
Treffen der zweitgrößten Vereinigung der CDU. 53.207 zahlende Mitglieder | |
hat die Senioren-Union. Mehr hat nur die Junge Union. Angesichts der | |
demografischen Situation im Lande scheint es aber nicht ausgeschlossen, | |
dass sich dieses Verhältnis in den kommenden Jahren zugunsten der Senioren | |
verschieben wird. | |
An diesem Donnerstag sind 400 Delegierte und Gäste nach Magdeburg gereist. | |
Sie, die Generation der Kriegskinder, sind [1][das Gedächtnis der CDU]. Und | |
sie kümmern sich um die Infrastruktur. Ohne ihre Hilfe würde es keinen | |
Wahlkampf geben, keine Protokolle der Ortsvereinssitzungen, keinen | |
Seniorenkaffee. | |
Es sind Menschen, die noch mit Zeitungen rascheln und um Punkt 20 Uhr vor | |
der „Tagesschau“ sitzen. Adenauer, Kohl, Merkel, Wirtschaftswunder, | |
Nato-Doppelbeschluss, Wiedervereinigung – sie haben das alles selbst | |
erlebt. Viele sind seit Jahrzehnten Parteimitglieder. | |
## Pfälzer Wein | |
Anders als bei anderen Parteitagen wird bei der Senioren-Union auch | |
konzentriert gearbeitet. Im Saal Maritim I sitzen die Delegierten, nach | |
Landesgruppen sortiert, an langen Tischen und hören aufmerksam zu. | |
Tagespräsidium, Antragskommission, Mandatsprüfungskommission, | |
Stimmzählkommission, Aussprache – die Flügeltüren sind geschlossen, es wird | |
nicht rein- und rausgerannt, sondern mitgeschrieben. Es klingeln keine | |
Handys, es wird nicht dazwischengequatscht. Verglichen mit der hektischen | |
Politikdarstellung etwa im Bundestag, ist das Treffen der Senioren-Union | |
eine Übung in Demut, Achtsamkeit und gegenseitigem Respekt. | |
Draußen im Foyer wartet eine überschaubare Anzahl von Sponsoren auf die | |
Delegierten: ein Pharmaunternehmen, ein Reiseveranstalter, eine | |
Versicherung und das Weingut Wolf aus Edesheim. Herr Klein und Frau | |
Seemayer stehen gut gelaunt hinter dem Ausschank. Er sei, erzählt Sommelier | |
Klein, angenehm überrascht vom Publikum. Es wundere ihn, „dass die Leute | |
hier so jung denken“. Als die Senioren-Union vor dreißig Jahren gegründet | |
wurde, hieß der CDU-Parteivorsitzende noch Helmut Kohl. Auf dessen | |
Vorschlag geht die Sitte zurück, dass es bei der Senioren-Union immer einen | |
guten Pfälzer Wein gibt. Und den gibt es. | |
Seit sechzehn Jahren heißt der Vorsitzende der Senioren-Union Otto Wulff. | |
Der Herr aus Westfalen ist in diesem Jahr 85 geworden; für ihn kein Grund, | |
sich zurückzuziehen. Wulff, Professor Wulff, verströmt die Aura einer | |
anderen Zeit. Gute alte Bundesrepublik. Man würde ihm ohne Bedenken die | |
Rolle des Herzensbrechers auf dem ZDF-“Traumschiff“ anvertrauen: silbernes | |
Haar, gestutzter Schnauzer, am dunkelblauen Jackett glänzen die Goldknöpfe, | |
am Revers funkelt die Miniatur des Großen Bundesverdienstkreuzes. | |
Beim Gespräch in einem Hinterzimmer schaut er sich das Smartphone der | |
Reporterin an und murmelt: „Jeder hat jetzt so ein Ding.“ Er nicht, nein, | |
er schreibe lieber Briefe, sagt er. Man glaubt es ihm sofort. | |
Was also, werter Herr Professor Wulff, fordert denn die Mitgliedschaft der | |
Senioren-Union von den aktiven PolitikerInnen? Das Alter müsse in diesem | |
Land wieder mit Würde verbunden werden, mit Erfahrung – es dürfe nicht als | |
Last wahrgenommen werden. „Ich halte mich an eine Werteordnung“, sagt | |
Professor Wulff und nippt am Filterkaffee. Barmherzigkeit, Anstand, | |
Toleranz seien die Leitplanken der Mutterpartei CDU; dazu bekenne sich auch | |
die Senioren-Union. | |
## 18 Jahre Merkel | |
Es ist das Vokabular einer vergangenen Zeit, die umso großartiger | |
erscheint, je weiter sie weg ist. Ethisch, gutmeinend, einnehmend – so in | |
etwa wünschen sich vermutlich jene die Politik, denen das heute alles zu | |
laut, zu hochtourig, zu unübersichtlich geworden ist. Trump, Syrien, | |
Brexit, Seehofer – könnte man das alles nicht mit ein bisschen mehr Anstand | |
lösen? | |
Man kann es nicht. Auch bei der Senioren-Union sind die Leute unruhig in | |
unruhigen Zeiten. Spricht man mit Delegierten, wird die wachsende Distanz | |
zwischen PolitikerInnen und Wählerschaft bedauert. Auch die Führung der CDU | |
wird von dieser Kritik nicht ausgenommen. Dieter Nolte, 78, ist vor 43 | |
Jahren in die CDU eingetreten. Helmut Kohl war gerade Parteivorsitzender | |
geworden, inzwischen heißt die Chefin nun auch schon seit 18 Jahren Merkel. | |
Die werde jetzt genau wie Kohl aus dem Amt gedrängt, erklärt Nolte und | |
lacht. „Die meinen immer, es geht nichts ohne sie.“ Frau Nolte steht neben | |
ihrem Mann und mahnt: „Jetzt sag doch so was nicht.“ „Warum denn nicht?�… | |
erwidert ihr Mann. | |
Beim Delegiertentreffen in Magdeburg [2][wollen auch die möglichen | |
Merkel-Nachfolger vortanzen]. Herr Nolte geht sie mal kurz durch, wobei | |
regionale Nähe bei ihm das entscheidende Kriterium ist: „Merz, der ist aus | |
Brilon, ich bin aus Marsberg; der hat was drauf. Kramp-Karrenbauer ist ein | |
Merkel-Anhängsel. Und der Spahn, der kommt doch von der Ems.“ | |
Der einstige Banker Nolte, Lodenjackett und Paisleykrawatte, macht nicht | |
den Eindruck, als drücke ihn das Selbstfindungsproblem seiner Partei allzu | |
arg. Er und seine Frau haben zu tun: „Gymnastik, Sauna, Wandern – manchmal | |
frage ich mich, wann wir Zeit zum Sterben haben.“ Frau Nolte lacht | |
resigniert. | |
Auch Senioren-Unions-Chef Wulff gibt sich vage bei der Bewertung der | |
KandidatInnen. Als die Planungen für die Delegiertenversammlung anliefen, | |
waren Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn noch als Generalsekretärin | |
und Gesundheitsminister eingeladen. Um der Mitgliedschaft die drei | |
AspirantInnen vorstellen zu können, musste die ausgefeilte Planung | |
unerfreulicherweise umgeworfen werden. | |
Anders als bei den Regionalkonferenzen, wo Merz, Spahn und | |
Kramp-Karrenbauer miteinander in den Ring steigen, bekommt bei den Senioren | |
jedeR einen eigenen Auftritt. Spahn am späten Donnerstagmittag, Merz am | |
Nachmittag. Und die Generalsekretärin ist für den Freitagvormittag | |
avisiert. | |
## „Die Damen“ | |
Dass jedeR der drei tatsächlich vorbeischaut, zeigt, wie wichtig die alten | |
WählerInnen sind. Etwas mehr als die Hälfte der 426.000 CDU-Mitglieder sind | |
älter als sechzig Jahre. Und ein Drittel aller 62 Millionen | |
Wahlberechtigten ist heute über sechzig; von denen haben bei der | |
Bundestagswahl im letzten Jahr 45 Prozent der Altersgruppe über siebzig die | |
CDU gewählt. | |
Vor allem ältere Frauen haben bei der letzten Wahl Angela Merkel erneut ins | |
Kanzleramt verholfen. 47 Prozent, also fast jede zweite Frau über sechzig, | |
hat Merkel geholfen, in jene Situation zu kommen, deren Folgen vermutlich | |
nicht einmal sie selbst noch überblicken kann. Zwar wird sie wohl beim | |
Parteitag in Hamburg im Dezember von den Delegierten als lebende Legende | |
der CDU-Geschichte verabschiedet werden; was diese Schwächung jedoch für | |
ihre Kanzlerschaft bedeuten mag, muss sich noch weisen. Sicher ist: Wer für | |
den Parteivorsitz kandidiert, strebt auch die Kanzlerschaft an. | |
Unter den Senioren In Magdeburg finden sich deutlich mehr Frauen als bei | |
CDU-Parteitagen. Der gerade mit 92 Prozent wiedergewählte Bundesvorsitzende | |
Wulff spricht gern über „die Damen“ in der Senioren-Union. 25.500 Frauen | |
sind Mitglieder, das sind satte 48 Prozent. | |
Wulff hat eine Erklärung dafür. „Die Männer sterben eher“, sagt er und | |
lacht. Er greift nach seiner Kaffeetasse. „Bei uns mögen wir Frauen. Wir | |
pflegen hier noch Allüren ritterlichen Umgangs; zumindest haben wir die | |
Chance, ihnen noch einen Handkuss zu geben.“ Sagt’s und erhebt sich. Im | |
Hintergrund winkt die Sprecherin, dass man zum Ende kommen müsse. Professor | |
Wulff greift nach der Hand der Reporterin, führt diese bis knapp unter | |
seinen silbernen Schnauzer und deutet einen Diener an. Darauf einen Pfälzer | |
Riesling. | |
23 Nov 2018 | |
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[1] /Die-Seniorenunion-wird-20/!5183249 | |
[2] /CDU-Regionalkonferenz-in-Halle/!5552534 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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