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# taz.de -- „Solidarity City“ Berlin: Ein sicherer Hafen
> Immer mehr Städte widersprechen der europäischen Abschottungspolitik.
> Auch Berlin will ein Zufluchtsort für Geflüchtete sein – und ihre Rechte
> stärken.
Bild: Auf dem Wasser für eine solidarische Stadt: Protestflöße gegen die AfD
Berlin taz | Kann Berlin eine Hafenstadt sein? Ein sicherer Ort für
Geflüchtete ohne Angst vor Abschiebungen? Ein Ort, an dem auch Menschen
ohne offizielle Papiere das Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung,
Arbeit und Wohnen haben? Es ist ein spannender Gedanke: Eine Stadt – oder
ein Verbund aus Städten und Gemeinden – stellt sich gegen die nationale und
europäische Abschottungspolitik und hisst die Fahne der Humanität.
Als das Seenotrettungsschiff „Lifeline“ mit mehr als 230 Geflüchteten an
Bord Ende Juni tagelang vor Malta darauf warten musste, in einen
europäischen Hafen einlaufen zu dürfen, [1][verkündete Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller (SPD)] die Bereitschaft, zumindest einen Teil
der Menschen aufzunehmen. Zusammen mit Neapel und Barcelona habe man sich
zuvor verständigt, hieß es aus dem Senat. Das Vorhaben scheiterte am Veto
von Bundesheimatminister Horst Seehofer (CSU).
Doch auch wenn Berlin Flüchtlingen nicht selbst den Weg in die Stadt
ermöglichen kann, gibt es Handlungsspielräume, sich der restriktiven
Asylpolitik entgegenzustellen. In einigen Fällen versucht die
Landesregierung bereits, ihre Möglichkeiten im Sinne eines menschlichen
Umgangs mit Flüchtlingen zu nutzen, etwa bei der Gesundheitsversorgung für
Menschen ohne Papiere oder dem Abschiebeverbot nach Afghanistan.
Nun will Berlin seine Anstrengungen intensiveren, die bestehenden Ansätze
in einem Konzept zusammenzufassen – und ganz offiziell zu einer
„solidarischen Stadt“ werden. In der Verwaltung von Integrationssenatorin
Elke Breitenbach (Linke) wird derzeit daran gearbeitet, dem Forum
„Solidarity Cities“ beizutreten, wie eine Sprecherin der taz bestätigte.
Unter dem Dach des europäischen Städteverbundes Eurocities, in dem Berlin
bereits Mitglied ist, haben sich bislang 14 Städte vereint, darunter Athen,
Barcelona, Zürich und Leipzig. Laut den Grundsätzen des Forums setzen sich
dessen Mitglieder für eine größere Mitsprache bei der Aufnahme und
Integration von Flüchtlingen ein und helfen sich untereinander beim
Erfahrungsaustausch und der Umsetzung von Projekten.
## Die Städte sind entscheidend
„Die Zentralregierungen können allerlei Maßnahmen zur Abwehr von
Flüchtlingen oder auch zur Aufnahme beschließen, aber die eigentliche
Aufnahme und Arbeit liegt bei den Städten und Gemeinden“, sagt die
[2][Linken-Landesvorsitzende Katina Schubert]. Die Diskussion über ein
solidarisches Berlin habe mit der „Lifeline“ begonnen, sagt sie. „Den
Städten ist klar, dass sie im Zweifelsfall gegen die Regierungen ihrer
Zentralstaaten oder an ihnen vorbei agieren müssen“, so Schubert, „das ist
auch das Spannende“.
Das Netzwerk lehnt sich an die Idee der [3][Sanctuary Cities in den USA]
und Kanada an. Unter diesem Label der Zufluchtsorte stellen sich Städte dem
Zentralstaat entgegen und leisten etwa keine Beihilfe bei Abschiebungen.
New York ordnete bereits in den 1980er Jahren an, dass Verwaltungen und die
Polizei Menschen nicht nach ihrem Aufenthaltsstatus fragen dürfen. Unter
der Präsidentschaft von Donald Trump werden es immer mehr Orte, die ihre
Bürger auf diese Weise schützen wollen.
Das Konzept sei aufgrund der Zuständigkeiten für Migrationsfragen, die in
den USA allein beim Zentralstaat liegen, nicht eins zu eins auf Europa und
Deutschland übertragbar, sagt der Stadtforscher der Humboldt-Universität
Henrik Lebuhn. Möglichkeiten sieht er dennoch: „Ich sehe keinen Grund,
warum der Berliner Innensenator nicht sagen könnte: Die Polizei muss den
Aufenthaltsstatus nicht kontrollieren. Das kann ja die Bundespolizei
machen.“ Auch Schubert kann sich das gut vorstellen: „Das ist einer der
Punkte, die wir angehen müssen.“
## Nicht nach dem Status fragen
Auch die Behörden könnten von ihrer Pflicht befreit werden, an die
Ausländerbehörde zu melden, wenn jemand keinen gültigen Aufenthaltsstatus
hat; dazu sind zurzeit selbst die Bibliotheken verpflichtet. Für Lebuhn
wäre ein es eine zentrale Maßnahme, „die Übermittlungspflicht bei der
Anmeldung der Wohnadresse auszusetzen“. Der Wissenschaftler spricht von
einer „Politik der Anerkennung, die über den faktischen Lebensmittelpunkt
läuft und nicht über Reisepass und Nationalität“. BerlinerIn ist, wer hier
lebt.
In New York haben seit 2014 alle Einwohner, auch Menschen ohne Papiere, das
Recht auf eine New-York-ID, einen Stadtausweis, der es ermöglicht, ein
Bankkonto zu eröffnen, einen Mietvertrag zu unterschreiben oder Bücher
auszuleihen. Die Nachfrage auch von Menschen mit Papieren ist riesig.
Zürich will diesem Beispiel im nächsten Jahr folgen. Für Berlin ist das
Zukunftsmusik.
Eine Reihe von Maßnahmen fördern aber schon jetzt die praktische
Integration und können demnächst unter dem Titel „Solidarity City“
subsumiert werden. So haben alle hier lebenden Flüchtlinge unabhängig von
ihrer Bleiberechtsperspektive das Recht auf einen Sprachkurs, Kinder das
Recht auf Schulbesuch; die Duldung für junge Menschen in Ausbildung soll
stärker genutzt werden. Zentrale Pläne des Bundes wie die Einrichtung
sogenannter Ankerzentren lehnt Berlin ab.
Der anonyme Krankenschein für die etwa 50.000 Menschen ohne legalen Status
wurde auf Druck außerparlamentarischer Gruppen wie des Netzwerks
„Solidarity City Berlin“ [4][im vergangenen Jahr beschlossen] – hakt aber
trotz Finanzierungszusage an der Umsetzung. Der Weg zur Solidarität ist
lang.
17 Jul 2018
## LINKS
[1] /Rettungsschiff-Lifeline-im-Mittelmeer/!5516521
[2] /Linksparteichefin-ueber-Mietenpolitik/!5495622
[3] /Repression-gegen-Immigranten-in-den-USA/!5486814
[4] /Anonymer-Krankenschein-in-Berlin/!5465100
## AUTOREN
Erik Peter
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