Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Internationale Organisationen: Gegen nationalistische Utopi…
> Organisationen wie der Internationale Strafgerichtshof mögen kritikwürdig
> und reformbedürftig sein. Aber wir brauchen sie. Eine Verteidigung.
Bild: Versuch, der globalisierten Welt mit globalen Instrumenten zu begegnen: d…
Es gibt Utopien und es gibt historische Momente. Ein solcher Moment wird
gern einmal ausgerufen, es genügt meist schon, wenn endlich Antworten
formuliert werden auf längst bestehende Fragen. Jüngst rief der Präsident
der UN-Generalversammlung einen historischen Moment aus, als der globale
Migrationspakt verabschiedet wurde.
Es geht, so heißt es darin, um die Chance, aus einer reaktiven eine
proaktive Sache zu machen. Es geht um die Balance zwischen den
Menschenrechten und der Souveränität der Staaten. Es geht gar, so das
Papier, um den Geist einer Win-win-Kooperation.
Es ist aber letztendlich ein juristisch nicht bindendes Rahmenwerk. Die
Grenzen der Möglichkeiten sind wie so oft noch etwas klarer als die
Möglichkeiten selbst. Und es geht auch darum, dass die USA wieder nicht
mitspielen, als einziges der 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen –
und somit auch um die Frage, wie Staatenbündnisse und international
agierende Institutionen sich behaupten in einer Zeit, in der
nationalistische Partikularinteressen nicht mehr nur blockieren oder
verhindern, sondern sich selbst zur neuen Utopie aufspielen.
Den 17. Juli vor zwanzig Jahren könnte man hingegen tatsächlich als
historischen Moment zumindest fürs Völkerrecht bezeichnen: Das Römische
Statut, die Gründungsakte des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag,
wurde von der in der italienischen Hauptstadt versammelten Staatenkonferenz
angenommen.
## „Proaktiv“ ist das neue Modewort
Damit wurde wahr, was über Jahrzehnte erdacht, erwünscht, verworfen worden
war, nämlich die Möglichkeit eines dauerhaften internationalen
Straftribunals. Es war, um es pathetisch zu sagen, eine wahr gewordene
völkerrechtliche Utopie.
Dass Utopien, sobald sie in die Wirklichkeit gehoben werden, ganz reale
Probleme zeitigen, ist nicht sonderlich überraschend. Die Wirklichkeit ist
leider sehr viel verfahrener als es unsere Gedankenspielräume sind. Deshalb
allerdings auf ebenjene vernunftbasierten Utopien zu verzichten, die sich
aus der Geschichte speisend der Gestaltung der Zukunft verschrieben haben,
wäre absurd.
Um es mit dem neuen Modewort zu sagen: Gerade sie können die Gegenwart
„proaktiv“ gestalten, anders als jene Politiken, die nur auf die Gegenwart
reagieren. Zudem zeigen gerade sie auf, dass es nicht das utopische Denken
per se ist, das gefährlich ist, sondern seine totalitäre Spielart, seine
manipulative und irrationale Überformung.
Natürlich, der Internationale Strafgerichtshof gibt Anlass zur Kritik: So
mahnt unter anderem die Afrikanische Union immer wieder an, dass sich die
Prozesse und Voruntersuchungen fast ausschließlich gegen afrikanische
Länder, Verdächtigte, Angeklagte richteten. Und wenn die Prozesse dann
wiederum mit einem Freispruch aus Mangel an belastbaren Beweisen ausgehen,
wie etwa [1][im Fall des kongolesischen Warlords Jean-Pierre Bemba] oder
[2][des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta], dann ist die Frage
berechtigt, ob gar kein Prozess am Ende besser gewesen wäre.
## Globale Instrumente für eine globalisierte Welt
Hinzu kommt, dass ein Eingreifen eine Situation mitunter noch verschlimmern
kann, wie es etwa [3][Jonathan Littell in Bezug auf Uganda in der Zeit
formulierte]: Die Friedensverhandlungen seien „in dem Moment kollabiert, in
dem der Internationale Strafgerichtshof die Haftbefehle gegen die
LRA-Kommandanten erlassen hat. Von diesem Moment an gab es für
[Rebellenführer Joseph] Kony keinen Anreiz mehr, den Krieg zu beenden, weil
er wusste, dass er auf jeden Fall in Den Haag landen würde.“
Im Falle eines anderen ostafrikanischen Landes, nämlich Burundi, kündigte
die Regierung kurzerhand die Zusammenarbeit mit dem Gericht auf, als dieses
Voruntersuchungen gegen den Präsidenten aufnahm. Allerdings wird während
der einjährigen Kündigungsfrist weiterermittelt, und es darf zumindest
angenommen werden, dass in Burundi wie in anderen Ländern das Gefühl, unter
Beobachtung Den Haags zu stehen, die Akteure davor zurückschrecken lässt,
gewisse Grenzen zu überschreiten.
Der Internationale Strafgerichtshof ist einer von diversen Versuchen, der
globalisierten Welt mit globalen Instrumenten zu begegnen. Was man vor
zwanzig Jahren in einer Nachtsitzung fertig gebracht hatte, ist heute fast
antizyklisch zu nennen in einer Welt, in der nicht zuletzt ein
Großmachtspräsident voll großer Kleinmachtsfantasien mit der Nato umspringt
wie mit einer Clique träger Schulschwänzer – und schon eine im globalen
Vergleich als Kleinstgruppe zu bezeichnende EU es nicht richtig hinbekommt,
eine überzeugende Balance zwischen Nationalsouveränität und supranationaler
Solidarität zu schaffen.
Dass nationale Interessen internationale Prozesse ausgebremst oder sogar
verhindert haben, war schon zu Zeiten des Völkerbunds so. Im Kalten Krieg
befand sich der UN-Sicherheitsrat bekanntlich in einem ständigen Patt
zwischen den beiden Vetomächten USA und Russland. Ohnehin muss man das nach
den Weltmächteverhältnissen der unmittelbaren Nachkriegszeit geschaffene
Vetosystem als die Gründungssünde der Vereinten Nationen bezeichnen, das
sich leider nur selbst reformieren kann – und dazu bislang wenig Lust
gezeigt hat.
So stehen auf der einen Seite die stotternd arbeitenden internationalen
Institutionen, kritikwürdig und reformbedürftig, auf der anderen Seite die
neuen nationalistischen Utopien, welche durch das Aufkündigen
internationaler Zusammenarbeit und den Rückzug ins Nationale die als
bedrohlich empfundene Globalisierung rückabwickeln wollen.
Die Globalisierung aber lässt sich nicht rückwirkend verändern, reformieren
lassen sich lediglich die Instrumente, auf sie zu reagieren. So viele
Mängel diese auch haben mögen – sie zu zerstören oder zu vernachlässigen
bedeutet nur, in die Globalisierung nicht länger „proaktiv“ oder eben
lenkend einzugreifen, sondern ihren dunkelsten Seiten freies Geleit zu
geben. Auch das wäre ein historischer Moment, ein dystopischer allerdings.
18 Jul 2018
## LINKS
[1] /Kongos-Ex-Vizepraesidenten-Bemba/!5511818
[2] /Ende-des-Haager-Verfahrens/!5026714
[3] https://www.zeit.de/kultur/film/2016-11/jonathan-littell-wrong-elements-uga…
## AUTOREN
Nora Bossong
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Kongo
Internationaler Strafgerichtshof
UN
Vereinte Nationen
Schwerpunkt Utopie nach Corona
Kriegsverbrechen
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
UN-Sicherheitsrat
Den Haag
UN-Vollversammlung
UN-Kriegsverbrechertribunal
Uganda
Österreich
Kongo
Schwerpunkt 9/11
Film
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Jean-Pierre Bemba
Uganda
Uganda
Kriegsverbrechen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil gegen LRA-Kommandeur aus Uganda: Erst Opfer, dann Täter
Der Internationale Strafgerichtshof spricht sein erstes Urteil gegen
Ugandas LRA-Rebellen. Dominic Ongwen ist in fast allen Punkten schuldig.
Migrationspakt der Vereinten Nationen: Wien folgt Trump und Orbán
Die österreichische Regierung lehnt den UN-Migrationspakt aus Sorge um ihre
Souveränität ab – und driftet weiter nach rechts.
Sorge um Wahlen im Kongo: Kirche fordert mehr Druck
Kongos katholische Bischofskonferenz fürchtet, dass die Wahl im Dezember
inkorrekt abläuft. Die Welt müsse jetzt verstärkt aktiv werden.
USA vs. Internationaler Strafgerichtshof: Drohung mit Einreiseverboten
Trumps Sicherheitsberater John Bolton droht Richtern des
Weltstrafgerichtshofes mit Sanktionen. Es geht um mögliche Ermittlungen
gegen US-Soldaten.
Biopic über Popikone Nico: Biografische Endzeit
Susanna Nicchiarelli verfilmt mit „Nico, 1988“ die letzten zwei Lebensjahre
der Popikone. Und setzt ihr ein würdiges Denkmal.
Kongolese noch nicht frei: An Bemba scheiden sich die Geister
Der internationale Strafgerichtshof hat die Entscheidung über die
endgültige bedingungslose Freilassung von Jean-Pierre Bemba vertagt.
Nach Freispruch in Den Haag: Jean-Pierre Bemba wirbelt Kongo auf
Zehn Jahre saß der Ex-Warlord beim Internationalen Strafgerichtshof in
Haft. Kehrt er jetzt nach seinem Freispruch in die Heimat zurück?
Kongos Ex-Vizepräsidenten Bemba: Kriegsverbrecherurteil aufgehoben
Das Weltstrafgericht schlägt das Kriegsverbrecherurteil gegen Kongos
Ex-Vizepräsidenten Bemba nieder. Aber frei kommt er noch nicht.
Besuch von Sudans Präsident in Uganda: Alte Gegner, neue beste Freunde
Vom Kaffee bis zu Waffen: Die Präsidenten Ugandas und Sudans,
jahrzehntelang verfeindet, suchen den Schulterschluss.
Jonathan Littell über „Wrong Elements“: „Die Psyche der Täter ist kompl…
Der französische Schriftsteller hat einen Film über die LRA gedreht. Er
spricht über sein Regiedebüt und seine Faszination für Kriegsverbrecher.
Rebellenorganisation in Uganda: Kriegsverbrecher gefasst
Der Kommandeur der LRA wurde von US-Soldaten gefasst und an die ugandische
Landesarmee übergeben. Er soll vor den Internationalen Strafgerichtshof
kommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.