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# taz.de -- Urteil gegen LRA-Kommandeur aus Uganda: Erst Opfer, dann Täter
> Der Internationale Strafgerichtshof spricht sein erstes Urteil gegen
> Ugandas LRA-Rebellen. Dominic Ongwen ist in fast allen Punkten schuldig.
Bild: Dominic Ongwen bei der Prozesseröffnung in Den Haag, 6. Dezember 2016
Nairobi taz | Im Alter von etwa neun Jahren, im Jahr 1987, wurde Dominic
Ongwen auf dem Weg zur Schule in Norduganda von der LRA (Widerstandsarmee
des Herrn) entführt. Nach einigen Jahren erwies er sich als einer der
rücksichtslosesten Kommandeure der mörderischen Rebellengruppe, die die
Bevölkerung terrorisierte. Opfer oder Täter?
Täter, hat am Donnerstag die 9. Kammer des Internationalen Strafgerichtshof
(IStGH) in Den Haag nach mehreren Jahren Prozess gegen Ongwen
[1][geurteilt]. Es sprach ihn in 61 von 70 Anklagepunkten schuldig; die
restlichen fallen lediglich weg, weil sie bereits in anderen enthalten
sind.
Es geht um Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Mord, Folter, Versklavung,
Plünderung, Zerstörung und Verfolgung bei vier von ihm geleiteten Angriffen
auf Vertriebenenlager in Uganda in den Jahren 2003 und 2004; Zwangsheirat,
Folter, Vergewaltigung, Versklavung und Zwangsschwängerung von sieben
entführten Frauen; Rekrutierung von Minderjährigen und Sexualverbrechen
an Mädchen in seiner Brigade Sinia.
Ausführlicher als sonst schilderte der Richter bei der Urteilsbegründung
die grauenhaften Verbrechen und verlas auch die Namen von Opfern – per
Livestream schauten zahlreiche Menschen in Uganda selbst zu, auch im
ehemaligen Kriegsgebiet.
## Er hörte schweigend zu
Im Prozess seit Ende 2016 hatten Experten und Anwälte auch darüber
gestritten, ob Ongwen, selbst ehemaliger Kindersoldat, dafür zur
Rechenschaft gezogen werden kann. Ongwen, in Anzug und Krawatte, hörte
schweigend zu, oft mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. Er gab im
Gerichtssaal ein ganz anderes Bild ab als früher mit seinem jungenhaften
Aussehen, in einer grünen Uniform und Rastahaaren unter dem Barett.
Ongwen hatte den Ruf, ein furchtloser Krieger zu sein, der die gewagtesten
Angriffe ausführte. In Lukodi wurden bei einem von ihm geführten Angriff am
19. Mai 2004 mehr als 40 Einwohner getötet und mehrere Kinder entführt.
David Okot, der nach einigen Jahren entkommen konnte, [2][sagte 2015 zur
taz]: „Ich selbst habe gesehen, wie Ongwen Kinder zu Tode geprügelt hat. Er
hat es nicht im Auftrag getan, er hat getötet, weil er es gern getan hat.
Er ist kein Opfer, sondern ein williger Täter. “
Im selben Jahr malte Ongwens Halbschwester Julanda Aayo im Interview ein
ganz anderes Bild. „Er war ein süßer Junge. Ein gehorsames Kind. Er hat nur
getan, was ihm gesagt wurde.“
Das Gericht stellt nun fest: Mildernde Umstände liegen nicht vor. Der
einstige Kindersoldat beging seine Verbrechen als Erwachsener freiwillig,
ohne Druck und ohne psychisch geschädigt zu sein, wie seine Verteidigung es
behauptet hatte.
## In der Zeit der Termiten
Als Dominic Okumu Savio kam er auf die Welt. Seine Eltern, beide Lehrer,
gaben ihm später den Namen Ongwen, „geboren in der Zeit der Termiten“.
Diesen Namen sollte er sagen, falls jemand ihn entführt. Es herrschte
damals schon Krieg in Norduganda, die meisten Eltern in gaben ihren Kindern
Spitznamen, um die Familien zu schützen, falls ihre Kinder verschleppt
wurden.
Ongwen wurde wie alle entführten Kinder in der LRA einer grausamen
Ausbildung unterzogen. Neue Rekruten mussten nicht nur zusehen, wie andere
Kinder gefoltert oder ermordet wurden, sondern es auch selbst tun. Sie
lernten, mit Waffen umzugehen und Angriffe auszuführen, manchmal an Orten,
wo ihre Familien lebten.
Ongwen endete in der Gruppe von Vincent Otti, Nummer zwei der LRA. Zwischen
beiden entwickelte sich Kameraderie. Mit 18 Jahren war Ongwen Major, mit
Ende zwanzig leitete er seine eigene Brigade Sinia. Er erwarb sich
Ehefrauen unter den entführten Mädchen und Frauen, mit denen er viele
Kinder zeugte.
Einige von Ongwens Frauen haben ihren Ekel über ihn zum Ausdruck gebracht,
andere, wie Florence Ayot, sind ihm treu geblieben. Sie besuchte ihn sogar
im Gefängnis und wurde wieder schwanger.
## Bruch mit seinem Chef Joseph Kony
Der IStGH erließ 2005 [3][Haftbefehle] gegen Ongwen und weitere
LRA-Kommandeure, darunter den LRA-Führer Joseph Kony. Ein Jahr später zog
sich Ongwens Brigade als letzte LRA-Gruppe aus Uganda zurück und setzte
ihre Aktivitäten in den Nachbarländern fort. Kurz darauf begannen
Friedensgespräche mit Ugandas Regierung, die aber [4][scheiterten].
Vincent Otti war ein Befürworter des Friedens, aber Kony sah darin Verrat
und ließ ihn töten. Ongwen flehte vergeblich darum, Ottis Leben zu retten.
Ongwen wurde widerspenstig. Er folgte immer weniger Konys Befehle und
weigerte sich zeitweise, überhaupt über Funk mit ihm zu sprechen. Kony ließ
ihn schließlich in einer LRA-Basis in der Zentralafrikanischen Republik
einsperren. Ongwen befürchtete, getötet zu werden und konnte mit Hilfe
einiger Kämpfer fliehen.
Die lokale Rebellengruppe Séléka [5][griff ihn auf], woraufhin er
schließlich in Den Haag landete. Während er auf seinen Transfer wartete,
sagte er, er habe sich ergeben, weil „die LRA keine Zukunft hat“.
4 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=pr1564
[2] /Prozess-gegen-LRA-Kaempfer/!5200515
[3] https://www.icc-cpi.int/uganda
[4] /Rebellenfuehrer-will-Abkommen/!5183789
[5] /Zentralafrikanische-Republik/!5024445
## AUTOREN
Ilona Eveleens
## TAGS
Uganda
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