# taz.de -- Folgen des Terrors in Uganda: Sie tragen den Krieg noch im Kopf | |
> Die Terrortruppe LRA hat Norduganda längst verlassen. Aber viele dort | |
> sind tief traumatisiert und sehen keinen anderen Ausweg als den Suizid. | |
Bild: 2005 flohen viele Menschen aus Nord-Uganda. Ein Mann in Gulu deckt das Da… | |
Gulu taz | „Du streichelst deine Wunden, als ob du uns erzählen willst, was | |
du durchgemacht hast. Wir stellen aber keine Fragen.“ So beschreibt die | |
ugandische Schriftstellerin Beatrice Lamwaka in ihrer Kurzgeschichte | |
„Schmetterlingsträume“ die Rückkehr eines Teenagers, der jahrelang von der | |
Terrorgruppe LRA (Lord‘s Resistance Army) als Kindersoldat entführt gewesen | |
war. | |
Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit: Mit 13 Jahren wurde | |
Beatrices Bruder von der LRA im Norden Ugandas entführt. Jahre später kam | |
er zurück. Er sprach nie über seine Erlebnisse. Seine Familie fragte nicht. | |
Und erzählte ihm auch nicht, dass sie sein „Tipu“, seine Seele, schon nach | |
traditionellem Brauch begraben hatten - jeder dachte ja, er sei tot. Zwei | |
Jahre später starb er wirklich, an einer Lungenentzündung. | |
„Wir Acholi reden nicht“, sagt die 36-jährige Schriftstellerin Lamwaka. | |
„Keiner will über ein Kind sprechen, das entführt gewesen ist. So ein Kind | |
ist ein Mörder.“ Aber Schweigen ist keine Heilung für Trauma. | |
In Norduganda, wo die LRA zwanzig Jahre lang wütete, ist es seit mehr als | |
fünf Jahren friedlich. Die Rebellengruppe ist Hunderte von Kilometern weit | |
weg gezogen, in die Demokratische Republik Kongo und die | |
Zentralafrikanische Republik. Die Acholi, eine ethnische Gruppe, die die | |
Bevölkerungsmehrheit im Norden Ugandas stellt, versucht nun, wieder normal | |
zu leben. Aber das ist nicht so einfach. | |
In Gulu, der größten Stadt Nordugandas mit 400.000 Einwohnern, beenden | |
jährlich ungefähr 50 Menschen freiwillig ihr Leben. „Meistens sind es | |
Menschen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren“, sagt Watdok Francisco Awori, | |
ein Gemeindebeamter, der die Häufung von Suiziden untersucht hat. „Wir | |
fürchten, dass die Zahl in Wirklichkeit doppelt so hoch ist. Familien | |
verschweigen Suizide, weil es ein Tabu ist.“ Seine Recherchen haben | |
ergeben, dass Trauma, Armut und Alkoholmissbrauch Hauptgründe für Suizide | |
sind. | |
## Die Angst ist ihr geblieben | |
In einem Dorf außerhalb der Stadt sitzt Judy auf einem Holzhocker im | |
Schatten einer Gruppe Bananenbäume. An ihren Füßen spielt ihr dreijähriger | |
Sohn. Spielzeug gibt es nicht, dafür ist die Familie zu arm. Die 25-jährige | |
Mutter sprang vor kurzem von einer Brücke in einen Fluss. Ein Passant | |
rettete sie. Das war aber nicht, was sie wollte. „Jetzt muss ich wieder Mut | |
sammeln, um weg zu gehen“, sagt sie. „Ich habe keine Zukunft. Ich will | |
nicht mehr.“ | |
Judy kriegt ihre Erinnerungen an die LRA-Zeit nicht aus ihrem Kopf. Sie | |
wurde zwar nie entführt, lebte aber jahrelang in ständiger Angst. „Ich sah | |
ein paarmal Menschenknochen im Busch, als ich Holz suchte oder Wasser holen | |
ging. Die Knochen erzählen eine Geschichte aus der Vergangenheit. Dann kann | |
ich nicht schlafen. Dann habe ich wieder Angst.“ | |
Gulu liegt nur neun Kilometer von ihrem Dorf entfernt. Ein Fußmarsch. Aber | |
Judy hat keine Ahnung, dass es für ihr Trauma professionelle Hilfe geben | |
könnte. Ein traditioneller Heiler sagte ihr, sie sei besessen von Geistern. | |
Aber er konnte sie nicht verjagen. Ein Priester riet ihr, nach Hause zu | |
gehen und sich auf die Erziehung ihres Sohnes zu konzentrieren. | |
Zehn Minuten Fußweg von Judys Häuschen entfernt arbeitet Okello. Schwitzend | |
backt er Lehmziegel in der Sonne. Das Loch neben seinem Haus, aus dem er | |
Lehm holt, ist schon sehr tief. Aber mehr Grundbesitz als sein Haus und das | |
Loch daneben hat er nicht. | |
Okellos Bruder erhängte sich vor einigen Monaten an einem Baum, weil er | |
nicht mehr weiter wusste. Er hatte seine Kinder vernachlässigt und seine | |
Frau misshandelt, bis sie ihn verließ. Er konnte den Alkohol nicht lassen, | |
sagt Okello, auf einem Baumstamm sitzend. „Früher hatten wir viel Land“, | |
erzählt der 43-Jährige und kratzt mit einem Stein den getrockneten Lehm von | |
seinen Bein. „Dann landeten wir im Vertriebenenlager. Nach dem Frieden | |
kehrten wir zurück, aber jemand aus der Hauptstadt Kampala hatte unser Land | |
gestohlen“. | |
Das Land war Familienbesitz, aber Eigentumspapiere haben in Norduganda nur | |
wenige. Okello ist zu arm, um vor Gericht zu ziehen. Hätten sie das Land | |
nicht verloren, würde sein Bruder noch leben, da ist sich Okello sicher. | |
„Dann hätte er Gemüse und Bananen anbauen können. Dann hätte er sich nicht | |
nutzlos fühlen müssen.“ | |
Okello hat die fünf Kinder seines Bruders aufgenommen. Selbst hat er | |
bereits drei, und auch seine Frau hat ihn verlassen. „Ich habe ihr immer | |
wieder die Schuld an unserem Unglück gegeben. Eines Tages war sie | |
verschwunden.“ | |
## Krieg weg, Helfer weg | |
Es gibt nur wenig Unterstützung für die Kriegsopfer im Norden Ugandas. Als | |
die LRA noch kämpfte, wimmelte es von Hilfsorganisationen. Jetzt sind noch | |
ein halbes Dutzend da. Als die LRA wegging, packten auch die Helfer ihre | |
Koffer und zogen weiter, zu anderen Brandherden in Afrika. Die Acholi | |
blieben alleine zurück. | |
In ganz Uganda mit seinen fast 40 Millionen Einwohnern gibt es 29 | |
Psychiater, die meisten in Kampala. Nur einer praktiziert in Gulu und | |
unterrichtet gleichzeitig an der Universität: Raymond Odokonyero. „Ich sehe | |
vorläufig kein Ende der Welle von Suiziden“, seufzt er. „Es ist klar, dass | |
der Wegzug aus den Lagern die Probleme der Menschen nicht beendet hat. Es | |
muss schnell etwas geschehen.“ | |
Seine Lösung: Psychotherapeuten in und um Gulu zu stationieren, um mögliche | |
Fälle von Suizidgefahr rechtzeitig wahrzunehmen und zu behandeln. „Außerdem | |
sollte der Bevölkerung beigebracht werden, wie man Suizidabsichten erkennt, | |
und es zu melden.“ | |
Aber Gesundheitspolitik hat in Uganda keine Priorität. Ausgebildete Kräfte | |
aus dem Gesundheitswesen verlassen das Land, während der Etat des | |
zuständigen Ministeriums gekürzt wird. In Krankenhäusern fehlen | |
Medikamente. Psychische Gesundheit steht auf der Prioritätenliste sowieso | |
ganz unten. | |
Viele Menschen im Norden glauben, dass sie für Ugandas Präsident Yoweri | |
Museveni generell keine Priorität haben. Dass sie absichtlich | |
marginalisiert werden. Der Norden ist im Vergleich zum Rest des Landes sehr | |
unterentwickelt. Im Bürgerkrieg der 1980er Jahre kämpften Museveni und die | |
Acholi des Nordens gegeneinander. | |
## Vor dem Nichts | |
Jetzt ist der Norden friedlich, aber geistig zerstört. Am Rand von Gulu, | |
entlang der Fernstraße nach Kampala, arbeitet ein Fahrradmechaniker unter | |
einer Überdachung. Um ihn herum sitzen und stehen junge Männer mit glasigen | |
Augen. „Selbstgemachter Alkohol oder Drogen“, murmelt ein älterer Mann, der | |
seinen Reifen reparieren lässt. „Die haben nichts: keine Berufsausbildung, | |
keine Chance auf Arbeit.“ | |
Ein Kind kommt angelaufen, es schiebt eine fiepsenden Schubkarre voller | |
Zuckerrohr vor sich her. Die jungen Männer kaufen Rohr, um zu kauen. „So | |
verschwindet mein Hungergefühl“, kichert einer und legt sich ins hohe Gras. | |
Auf der kaputten Straße sucht sich ein Laster langsam seinen Weg. Er nähert | |
sich der Fahrradwerkstatt. | |
Plötzlich springt einer der Jugendlichen auf die Straße und brüllt: „Komm, | |
komm, mach mich platt!“. Der Fahrradmechaniker packt ihn am Arm und zieht | |
ihn beiseite. Er sagt kein Wort. Er schüttelt nur den Kopf. | |
9 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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