| # taz.de -- Karim Khan wird Chefankläger in Den Haag: Neuer Kopf am Weltgericht | |
| > Einst verteidigte er Angeklagte in der internationalen Justiz. Jetzt wird | |
| > Karim Khan Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof. | |
| Bild: Wechselt den Posten: Karim Khan wird neuer Chefankläger | |
| Berlin taz | Karim Khan weiß, wie man einem Gericht die Show stiehlt. Nicht | |
| die Anklage, sondern Pflichtverteidiger Khan hatte seinen großen Auftritt, | |
| als am 4. Juni 2007 einer der spektakulärsten Strafprozesse der Neuzeit | |
| begann. Vor Gericht stand [1][Charles Taylor, ehemaliger Präsident von | |
| Liberia,] angeklagt wegen Unterstützung von blutrünstigen Rebellen im | |
| benachbarten Sierra Leone. Für das internationale Sierra | |
| Leone-Sondertribunal war das Verfahren gegen Exwarlord Taylor das „Juwel in | |
| der Krone“, wie es ein Beteiligter später ausdrückte. Aber der Auftakt war | |
| ein Fiasko: Taylor erschien nicht, und statt dass Chefankläger Stephen Rapp | |
| die Anklage verlesen durfte, verlas Pflichtverteidiger Karim Khan einen | |
| Brief seines Mandanten, wonach dieser nicht vorhabe, jemals zur Verhandlung | |
| zu erscheinen. | |
| Die Richter forderten Tempo, die Übersetzer Langsamkeit; Khan sagte, Taylor | |
| habe ihn entpflichtet, und wollte gehen; das Gericht lehnte das ab und | |
| sagte ihm, er möge sich setzen; als die Anklageverlesung begann, stand Khan | |
| auf und verließ den Saal. Nicht die Anklage gegen Taylor machte am nächsten | |
| Tag Schlagzeilen, sondern Khans Abgang. | |
| In jenem Saal eins des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den | |
| Haag, in dem 2007 der Taylor-Prozess geführt wurde, wird Karim Khan | |
| demnächst selbst Anklagen verlesen. Die Mitgliedstaaten des IStGH wählten | |
| den Briten mit pakistanisch-muslimischem Migrationshintergrund am späten | |
| Freitagabend mehrheitlich zum neuen Chefankläger des Weltgerichts. Mit 72 | |
| von 123 Stimmen setzte er sich gegen Kandidaten aus Irland, Frankreich und | |
| Italien durch. Im Juni wird er die Nachfolge der Gambierin [2][Fatou | |
| Bensouda] antreten. | |
| Khan wird der dritte Chefankläger des IStGH, nach Bensouda und ihrem | |
| Vorgänger Luis Moreno Ocampo, und er könnte sich als der bislang | |
| effektivste erweisen – ausgerechnet in einer Zeit, wo internationale Justiz | |
| und das Völkerstrafrecht sowohl von der Idee her als auch in der Praxis | |
| immer stärker unter Beschuss stehen. | |
| Das Prinzip, schwerste Menschheitsverbrechen nach universellen Regeln | |
| weltweit zu verfolgen, hat sich nicht durchgesetzt. Bis heute hat der IStGH | |
| ausschließlich Fälle verhandelt, die im Interesse der jeweiligen | |
| Regierungen liegen, obwohl er eigentlich für Fälle zuständig ist, die | |
| Regierungen nicht selbst verfolgen können oder wollen – und er hat noch | |
| keinen politischen Verantwortlichen rechtskräftig verurteilt, sondern nur | |
| Rebellen und einige ihrer Chefs. | |
| ## Schlecht vorbereitet | |
| Gerade Fatou Bensouda hat eine Reihe hochkarätiger Fälle in den Sand | |
| gesetzt. [3][Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste,] | |
| wurde erstinstanzlich freigesprochen. Jean-Pierre Bemba, ehemaliger | |
| Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo, kam [4][in der Berufung | |
| frei]. In beiden Fällen wurde schlechte Arbeit der Anklagebehörde | |
| verantwortlich gemacht, ebenso beim Zusammenbruch der Anklagen gegen Kenias | |
| Präsident Uhuru Kenyatta und seinen Vize William Ruto. | |
| Rutos Verteidiger – es ging um politische Gewalt mit über 1.300 Toten in | |
| Kenia nach den Wahlen Ende 2007 – war Karim Khan. Er kam nach drei Jahren | |
| Verhandlung durch mit dem unüblichen Antrag, den Fall wegen offenkundiger | |
| Aussichtslosigkeit der Anklage ohne Urteil zu den Akten zu legen, sehr zur | |
| Verärgerung Fatou Bensoudas. | |
| Ausgerechnet Kenia sorgte nun dafür, dass Karim Khan in die engere Wahl für | |
| die Nachfolge Bensoudas kam. Der wohl profilierteste Verteidiger in Den | |
| Haag und Präsident der Juristenvereinigung des Strafgerichtshofs wird zum | |
| Chefankläger. Wird also der Bock zum Gärtner? Dieser Vorwurf geht in die | |
| Irre. Khan macht nicht den Eindruck eines gewissenlosen Wortklaubers, der | |
| wider besseres Wissen Verbrecher raushaut. Er bestreitet auch nicht, wie so | |
| manche seiner Kollegen, die Legitimität des Völkerstrafrechts insgesamt. | |
| Mit seiner leisen, verbindlichen Stimme tritt er als praktisch denkender | |
| Weiterentwickler einer den eigenen Ansprüchen bislang nicht gerecht | |
| werdenden internationalen Justiz auf. | |
| ## Der Beginnn einer internationalen Karriere | |
| Der in London ausgebildete Jurist, seit 1992 tätig, begann seine | |
| internationale Karriere als Berater der Anklagebehörde der | |
| UN-Völkermordtribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien. Eines seiner letzten | |
| großen Mandate war 2017 die Verteidigung eines in Kamerun vor einem | |
| Militärgericht angeklagten Menschenrechtsanwalts. Seit 2018 leitet Khan in | |
| Bagdad [5][die UN-Ermittlungsbehörde Unitad für Verbrechen des „Islamischen | |
| Staates“ (IS) im Irak]. | |
| In seinem letzten [6][Rechenschaftsbericht von November 2020] hebt er die | |
| Sorgfalt der Untersuchungen hervor: das Gewinnen und Dokumentieren von | |
| Aussagen, den Umgang mit Trauma und Schock, die psychosoziale Begleitung | |
| der Öffnung von Massengräbern. Es geht ihm offenkundig um neue, höhere | |
| Standards in der Anklagevorbereitung. | |
| Bereits 2014 hatte Khan in einem [7][Aufsatz über Verteidigerarbeit am | |
| IStGH] auf Konstruktionsprobleme des Strafgerichtshofs hingewiesen: das | |
| Weltgericht sei zumindest anfangs eher ein „Thinktank“ gewesen, „losgelö… | |
| von den Realitäten der Ermittlungsarbeit und des Strafprozesses“, mit | |
| „unpraktischen und ineffizienten Verfahrensweisen“. Als Beispiele nannte er | |
| die Praxis, Verteidigern Beweismittel zu spät zur Verfügung zu stellen und | |
| durch Anonymisierung von Zeugenaussagen und Schwärzung wichtiger Details in | |
| den Akten deren Überprüfung unmöglich zu machen. All dies sind bekannte | |
| Probleme beim IStGH, über die in Prozessen gestritten wird. | |
| Als Chefankläger des IStGH hat Karim Khan nun die Gelegenheit zu handeln. | |
| Im September 2020 hatte eine unabhängige Evaluierung der Arbeit des IStGH | |
| einen umfangreichen [8][Abschlussbericht] mit 384 Reformvorschlägen | |
| vorgelegt. Fatou Bensouda hatte diesen Bericht nur verhalten begrüßt und | |
| „weitere Konsultationen“ angemahnt. Von Karim Khan erwarten Beobachter, | |
| dass er sich tatkräftiger hinter Reformen stellt. | |
| 15 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Urteil-gegen-Taylor-bestaetigt/!5058333 | |
| [2] /US-Sanktionen-gegen-Chefanklaegerin/!5712248 | |
| [3] /Internationaler-Strafgerichtshof/!5563280 | |
| [4] /Kongos-Ex-Vizepraesidenten-Bemba/!5511818 | |
| [5] https://www.unitad.un.org/ | |
| [6] https://undocs.org/S/2020/1107 | |
| [7] https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=4375&conte… | |
| [8] https://asp.icc-cpi.int/iccdocs/asp_docs/ASP19/IER-Final-Report-ENG.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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