# taz.de -- Strafgerichtshof gegen Joseph Kony: Brutale Verbrechen, umstrittene… | |
> In Abwesenheit verhandelt der Internationale Strafgerichtshof über | |
> Ugandas früheren Warlord Joseph Kony. Der Haftbefehl umfasst 32 | |
> Anklagepunkte. | |
Bild: Joseph Kony, Chef der Lords Resistance Army und gesuchter Kriegsverbreche… | |
Kampala taz | Fast genau 20 Jahre ist es her, dass der [1][Internationale | |
Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag einen Haftbefehl ausstellte], der bis | |
heute nicht vollstreckt wurde: gegen den ugandischen Rebellenführer Joseph | |
Kony. Als militärischer und spiritueller Anführer der sogenannten | |
Widerstandsarmee des Herren (LRA) gilt er bis heute als einer der | |
meistgesuchten Kriegsherren des afrikanischen Kontinents. | |
Jetzt soll gegen ihn in Den Haag ein Prozess beginnen, obwohl er noch immer | |
auf der Flucht ist – eine historische Entscheidung des Weltgerichts. Drei | |
Tage lang verhandelt der IStGH von Dienstag an, um die Anklage zu | |
bestätigen. | |
32 Anklagepunkte umfasste der Haftbefehl vom Juli 2005; darunter Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriffe auf die | |
Zivilbevölkerung, sexuelle Versklavung, Raub und Plünderungen, Mord, | |
Rekrutierung und Ausbildung von Kindersoldaten. Der Bürgerkrieg im Norden | |
Ugandas, der fast 20 Jahre anhielt, gilt als einer der grausamsten in der | |
jüngeren Geschichte des Kontinents. | |
Mittlerweile ist Kony 64 Jahre alt, gebrechlich und nur noch umringt von | |
einigen Dutzend seiner Anhänger, die meisten von ihnen seine eigenen | |
Angehörigen. So berichtet es sein Sohn Ali Kony gegenüber der taz. Ali Kony | |
war in der LRA zuletzt für die Sicherheit und Außenbeziehungen seines | |
Vaters zuständig. Im September 2023 sagte er sich von ihm los und kehrte | |
nach Uganda zurück, gemeinsam mit seiner Mutter – eine von rund 60 Frauen, | |
die sich der Kriegsherr als Sexsklavinnen hielt und mit welchen er Hunderte | |
Kinder zeugte. | |
## Rebellion nach den Zehn Geboten | |
Seine zahlreichen Söhne sind wie Ali Kony in der Rebellengruppe geboren, | |
haben von Kindheit an brutale Verbrechen begehen müssen. Ugandas Regierung | |
gewährte dem heute 31-Jährigen nach seiner Rückkehr Amnestie – eine | |
symbolische Geste. Bis heute betont Ugandas Regierung immer wieder, dass | |
sich Joseph Kony ergeben solle. Dann würde sein Prozess [2][vor einem | |
ugandischen Gericht] stattfinden – und er würde nicht nach Den Haag | |
ausgeliefert. | |
Als Dank ist Ali Kony mittlerweile in die ugandische Armee eingetreten, die | |
sein Vater einst bekriegte und die bis heute Jagd auf ihn macht. Er gab | |
auch Informationen preis, wo sich sein Vater versteckt hält: und zwar im | |
äußersten Westen des Bürgerkriegslandes Sudan, in welchem der IStGH ihm | |
nicht habhaft werden kann. | |
Die LRA wurde 1986 im Norden Ugandas ins Leben gerufen, zunächst mit dem | |
Ziel, gegen Ugandas Regierungsarmee zu kämpfen. Diese hatte unter der | |
Führung des heutigen Präsidenten Yoweri Museveni 1986 das Land erobert und | |
die Macht in der im Süden gelegenen Hauptstadt Kampala an sich gerissen. | |
Jahrzehntelang lieferten sich die LRA und die Armee im Norden des Landes | |
einen blutigen Krieg. | |
Gegründet wurde die LRA zunächst von Alice Lakwena, die sich von Geistern | |
berufen fühlte, eine Rebellion der Acholi-Ethnie auf Grundlage der zehn | |
Gebote anzuführen. Nachdem ihre Truppen 1987 beim Marsch auf Ugandas | |
Hauptstadt besiegt wurden, floh sie ins Nachbarland Kenia, wo sie 2007 in | |
einem Flüchtlingslager starb. | |
## 1,7 Millionen Menschen flohen vor der LRA | |
Ihr Nachfolger Kony führte den Kampf fort – wandte sich aber gegen die | |
eigene Bevölkerung. Unter seiner Führung wurden gezielt Schulen | |
angegriffen, um Kinder zu entführen und sie zu Kämpfern auszubilden. Die | |
über 60.000 Kindersoldaten begingen extrem brutale Verbrechen: Sie | |
schnitten Zivilisten die Zungen ab oder rammten ihnen Vorhängeschlösser | |
durch die Lippen, um sie am Verrat zu hindern. Fast die ganze Bevölkerung | |
des Nordens – über 1,7 Millionen Menschen – floh in die über 200 | |
Vertriebenenlager, die wiederum zu Angriffszielen der LRA wurden. | |
2006 zog sich die LRA aus Uganda zurück: in die Grenzregion zwischen | |
Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo. Unter Vermittlung von | |
Politikern aus Südsudan kam es zu Verhandlungen mit Ugandas Regierung. | |
[3][Ein Waffenstillstand wurde vereinbart]. Zwei Jahre lang zogen sich die | |
Verhandlungen hin, letztlich beharrte Kony darauf, dass der 2005 erlassene | |
Haftbefehl vom IStGH aufgehoben werde, was nicht geschah. | |
Die [4][Gespräche platzten 2008], die LRA zog sich in das dichte Unterholz | |
des Garamba-Nationalparks im Osten des Kongo zurück, wo sie Elefanten | |
abschlachteten und mit Elfenbein handelten. Dort wurden sie Ende 2008 von | |
Ugandas Armee bombardiert und flohen in den tiefen Dschungel der | |
Zentralafrikanischen Republik. Seitdem jagen vier regionale Armeen unter | |
einem Mandat der Afrikanischen Union nach Joseph Kony. | |
Von 2011 bis 2017 bekamen sie [5][Hilfe von US-Spezialeinheiten], doch | |
vergeblich – auch sie konnten Kony nicht schnappen. Seit 2017 versteckt | |
sich Kony in der sudanesischen Region Darfur, wo seit 2023 Krieg herrscht. | |
Die US-Regierung hat ein [6][Kopfgeld von fünf Millionen Dollar] auf ihn | |
ausgesetzt. | |
## Entschädigungen als Wahlkampftrick? | |
Mittlerweile haben die IStGH-Ermittler die Hoffnung aufgegeben, Kony lebend | |
zu fassen, bestätigen sie gegenüber der taz. Laut Aussagen seines Sohnes | |
Ali sei er krank und schwach und könne sich nur noch wenig bewegen. Sollte | |
er bald sterben, wird es schwer für den IStGH, die Akte zu schließen. Dazu | |
benötigen die Ermittler laut eigenen Angaben eine Leiche oder zumindest | |
DNA-Proben, um das Verfahren offiziell einzustellen. Damit schrumpft auch | |
die Chance, dass die Opfer je Gerechtigkeit erfahren – oder gar | |
Entschädigung erhalten. | |
Der IStGH hat für die Opferentschädigung bereits einen Trustfonds | |
aufgesetzt. 2014 hatten US-Spezialeinheiten [7][LRA-Kommandant Dominic | |
Ongwen] gefasst, er wurde nach Den Haag überstellt, angeklagt und 2021 | |
verurteilt. Anschließend ordneten die Richter an, dass die Gelder des | |
Trustfonds, der mittlerweile mehr als 50 Millionen Dollar enthält, | |
ausbezahlt werden. Seit April dieses Jahres werden die Gelder nun an lokale | |
Organisationen vergeben, um den Opfern zu helfen: [8][psychologische | |
Beratungen], Prothesen für die abgeschnittenen Gliedmaßen, ökonomische | |
Hilfe. | |
Viele betrachten diese Entschädigungszahlungen als Instrument von Musevenis | |
Regierungspartei, um die Bevölkerung im Norden bei den Wahlen im Januar | |
2026 auf ihrer Seite zu wissen. Denn das nun womöglich anstehende Verfahren | |
gegen Kony könnte nach einem Urteil weitere Reparationszahlungen nach sich | |
ziehen, stellt die Regierung in Aussicht. | |
Doch dies erzeugt Unmut zwischen den verschiedenen Gemeinden und Ethnien im | |
Norden. Denn die acht Tatorte, die in Konys Anklageschrift genannt werden, | |
– alles Vertriebenenlager, die von der LRA überfallen wurden, – sind genau | |
dieselben wie im Prozess gegen Ongwen, ebenso die Zeugen und die Beweise. | |
Diese Gemeinden bekommen nun mehr Entschädigungen als diejenigen, die | |
ebenso von der LRA angegriffen wurden aber im Prozess in Den Haag bislang | |
nicht behandelt wurden. | |
## Hauptverfahren ginge nur in Anwesenheit | |
Viele ehemalige Opfer und Kindersoldaten argumentieren stets, dass eine | |
juristische Aufarbeitung des Bürgerkrieges vor den traditionellen örtlichen | |
Dorfgerichten im Norden hätte stattfinden sollen, ähnlich wie es in Ruanda | |
nach dem Völkermord 1994 geschehen ist. Dies würde viel nachhaltiger zur | |
Versöhnung führen als langwierige Verfahren im mehr als 5.000 Kilometer | |
entfernten Den Haag. Immerhin wird die Anhörung der Anklagepunkte in einer | |
Schule in Gulu live per Video übertragen – und in die lokalen Sprachen | |
übersetzt. | |
Dennoch bleibt das ganze Verfahren umstritten. Das Rom-Statut, auf welchem | |
die IStGH-Gerichtsbarkeit aufbaut, sieht zwar die Bestätigung der Anklage | |
in Abwesenheit eines Angeklagten als legal an. Doch die Entscheidung des | |
Gerichts sowie die Anklageschrift muss dann im Anschluss dem Angeklagten | |
auch zugesandt werden – und das wird sich vor dem Hintergrund der | |
Kriegswirren in Sudan als schwierig erweisen. | |
Das Hauptverfahren kann nur in Anwesenheit Konys tatsächlich stattfinden. | |
Und auch wenn die Ermittler genau wissen, wo dieser sich aufhält, bleibt es | |
unwahrscheinlich, dass man seiner habhaft wird – außer er ergibt sich | |
selbst. | |
8 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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