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# taz.de -- Angezeigte Ärzt*innen über Paragraf 219a: „Wir halten dagegen“
> Am Freitag debattiert der Bundesrat über Paragraf 219a, der „Werbung“ f�…
> Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Drei Protokolle von Ärzt*innen, die
> angezeigt wurden.
Bild: Nicht nur die angezeigten Ärzt*innen, auch ihre vielen Unterstützer*inn…
[1][Paragraf 219a] verbietet die „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche.
Darunter fällt auch, wenn eine Ärztin auf ihrer Webseite sachlich darüber
informiert, dass sie diese durchführt. Derzeit laufen Ermittlungsverfahren
gegen mehrere Ärzt*innen. Drei von ihnen berichten von ihren Erfahrungen.
## „Das ist meine Pflicht“
Kaum war das Urteil gegen Kristina Hänel im November 2017 ergangen, wurde
mir eine Strafanzeige wegen Paragraf 219a zugestellt. Wer mich angezeigt
hat, weiß ich bisher nicht.
Der Text „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch
gehört zu unseren Leistungen“ steht bereits seit mehreren Jahren auf
unserer Website und kann erst nach mehreren Klicks gefunden werden.
Nach dem Prozess haben wir den Eintrag bewusst nicht von unserer Seite
genommen. Glücklicherweise konnte ich schnell juristischen Beistand finden
und die Vernetzung mit den anderen betroffenen Frauenärztinnen ist bestens.
Aktuell hat sich nichts für meine Patientinnen geändert, ich führe meine
Arbeit in der mir gebotenen ärztlichen Pflicht fort, unterstütze und berate
meine Klientinnen in der schwierigen Situation einer
Konfliktschwangerschaft. Zu meiner Aufgabe als Frauenärztin gehört es nicht
nur, die junge Patientin mit Verhütungswunsch oder die älter werdende Frau
mit Wechseljahrbeschwerden zu betreuen, sondern auch die ungewollt
Schwangere. In Deutschland treiben 100.000 Frauen im Jahr ab. Es gehört zu
unserer Arbeit, diese Frauen als Ärztin und Arzt medizinisch gut zu
behandeln, doch dafür müssen die Frauen uns und unsere Beratung auch finden
können.
Wird der § 219a so verstanden, wie es die Strafanzeigenden und die uns
juristisch Verfolgenden tun, verhindert er die sachliche Information und
Suche nach Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche nach der medikamentösen
und operativen Methode durchführen. Es gibt eine nicht unerhebliche Zahl
von Frauen, die Angst haben, ihren eigenen Arzt zu fragen, brüske Antworten
bekommen haben oder sogar weggeschickt wurden.
Meine Pflicht ist es, die durch das Grundgesetz geschützte Freiheit der
Information und die psychische und körperliche Gesundheit der betroffenen
Frauen zu schützen. Eine Anwendung des Paragrafen, die unsere sachliche
Information kriminalisiert, verhindert das. Besonders Frauen in konservativ
geprägten Regionen Deutschlands leiden sehr darunter. Wie soll eine Frau in
ihrer Not an sachliche Information gelangen, wenn nicht über das Internet?
Ein Fall ist mir sehr eindrücklich in Erinnerung: Eine junge muslimische
Frau, die aus einer sehr traditionellen Familie stammte, kam mit Angst um
Leib und Seele zu mir. Sie war schwanger, aber nicht verheiratet, was
natürlich nicht tragbar gewesen wäre. Sie konnte mich nur finden, weil sie
über das Internet gesucht hat. Ich werde nie ihre Dankbarkeit dafür
vergessen, sie und ihren Freund geschützt und behandelt zu haben.
Protokoll: Hanna Voß
***
## „Der Paragraf soll weg“
Einige Wochen, nachdem ich auf der Titelseite der taz meine Solidarität mit
der Kollegin Kristina Hänel erklärt hatte, bekam ich Post vom
Polizeipräsidium. Gegen mich werde ermittelt wegen des Verdachts der
verbotenen „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 219a StGB…
und ich solle Stellung nehmen.
Angezeigt hat mich die „Inititative Nie Wieder“ von Klaus Günter Annen. Mit
dem habe ich schon seit 10, 15 Jahren zu tun. Damals hatte ich auf meiner
Webseite eine Liste von Operationen, die ich durchführe. Ich bin operativ
tätiger Gynäkologe, ich operiere den ganzen Tag. Da stand alles, was ich
durchführe, von Ausschabungen und Laseroperationen über Bauchspiegelungen
bis Abzessspaltungen. Und der Schwangerschaftsabbruch stand eben auch auf
dieser Liste. Ich wusste damals gar nicht, dass man das nicht
draufschreiben darf. Ich bekam dann einen Anruf vom Staatsanwalt. Der sagte
mir, wenn ich den Eintrag runternähme, sei das erledigt. Das habe ich
getan. Ich bekam danach mehrmals wöchentlich Faxe , in denen stand dann in
etwa „Sie töten ungeborene Kinder“ und etwas von „Mord“ und
„Hinrichtungsmethoden“, und unter dem Datum: „65 Jahre nach Auschwitz“.
Damals ging es mir nicht gut damit, das muss ich sagen. Inzwischen nervt es
mich vor allem. Für mich ist es keine Werbung, wenn ich mich mit einer
Kollegin solidarisiere. Ich wollte kein Drückeberger sein. Und warum soll
ich eine Sache, die ich doch tue, nicht auf meine Webseite schreiben
dürfen?
Wir haben in unserer Praxisklinik anfangs keine Schwangerschaftsabbrüche
gemacht. Aber dann kam Pro Familia auf uns zu mit der Bitte, das doch
sauber und legal zu machen. Damals, vor über 20 Jahren, wurden solche
Sachen im Rhein-Main-Gebiet teilweise in irgendeinem Keller gemacht. Mein
damaliger Partner war nicht begeistert, aber ich habe gesagt, wir machen
das.
Die Frauen kommen heute teilweise [2][aus über 100 Kilometer Entfernung] zu
mir. Das liegt unter anderem daran, dass wir recht nah an der Grenze zu
Bayern liegen. Es kommen auch Patientinnen zu uns, die einen
Beratungsschein haben und vorher schon woanders waren, dort aber abgelehnt
wurden; nicht alle Ärzte machen Abbrüche in der elften oder zwölften Woche,
obwohl sie es dürften.
Dass ein Wegfall des § 219a den Schutz des ungeborenen Lebens bedrohen
würde, ist Quatsch. Für mich ist einzig die Patientin entscheidend. Aber
ich frage immer: „Sind Sie sicher?“ Meist kommt dann ein klares „Ja“. W…
ich aber sehe, dass eine Frau unsicher ist oder sogar anfängt zu weinen,
dann schicke ich sie nach Hause. Viele, die ich wegschicke, kommen
tatsächlich nicht wieder.
Natürlich verfolge ich die aktuelle politische Diskussion. Von
Gesundheitsminister Jens Spahn bin ich maßlos enttäuscht. Ich habe ihn
früher für einen etwas Progressiveren gehalten. Der war für mich der
kommende Mann, der vielleicht auch Merkel mal ablösen könnte. Aber seine
Aussagen – dass man am Paragrafen nichts ändern sollte – das kann ich nicht
nachvollziehen. Ich bin pessimistisch, dass dieses Jahr noch etwas
passiert. Aber ich wünsche mir, dass der Paragraf möglichst schnell
wegkommt. Protokoll: Dinah Riese
***
## „Ich fühle mich im Recht“
Ich begleite Frauen mit Kinderwunsch, Frauen, die schwanger sind, und
Frauen, die ungewollt schwanger sind. Als ÄrztIn will und muss ich all
diesen Frauen helfen. Das ist meine Aufgabe. Auf der Website unserer
Gemeinschaftspraxis stehen seit sechs Jahren die Leistungen, die meine
Kollegin Natascha Nicklaus und ich anbieten. Darunter fallen zwölf
ambulante Eingriffe, zum Beispiel Abbrüche operativ oder medikamentös mit
der Abtreibungspille Mifegyne. Wegen diesem einen Halbsatz wurden wir
angezeigt.
Bis dahin spielte der Paragraf 219a in unserer konkreten Arbeit keine
Rolle. Ich hatte von KollegInnen gehört, die angezeigt wurden, aber uns hat
es nicht betroffen, das dachten wir. Wir wurden seit letztem Sommer sogar
mehrfach angezeigt. Zweimal online von Markus Krause* und einmal
schriftlich von Klaus Günter Annen. Krause hat auch verfolgt, ob wir den
Eintrag von der Website genommen haben, was natürlich nicht der Fall ist.
Er hat uns deshalb aktuell noch einmal angezeigt, von der Polizei
gefordert, unsere „strafbare Internetseite“ zu entfernen und den Server
sicherzustellen. Bisher ist noch nichts passiert.
Diese beiden Herren haben sich auf Anzeigen gegen ÄrztInnen spezialisiert,
die Abbrüche durchführen und darüber informieren. [3][K. hat das in einem
Interview als sein „Hobby“ bezeichnet], das finde ich bizarr. Leider haben
beide mit ihren Untaten schon Schaden angerichtet: So gibt es
offensichtlich immer weniger ÄrztInnen, die sich trauen, über
Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Webseite zu informieren. Und es gibt
ganze Städte und Regionen, wo ungewollt schwangere Frauen kein Angebot mehr
zum Abbruch finden, obwohl dies laut Gesetz gewährleistet sein sollte. Das
ist besorgniserregend.
Aber damit ist jetzt Schluss, wir halten dagegen. Zusammen mit Kristina
Hänel und mit viel Unterstützung unter anderem aus der Bevölkerung und aus
dem bundesweiten Netzwerk Arbeitskreis Frauengesundheit kämpfen wir dafür,
solchen Leuten wie Annen und H. das Handwerk zu legen. Der Paragraf 219a
muss auch deshalb gestrichen werden, damit wir ÄrztInnen mit diesem
perfiden Anzeigenunwesen nicht weiter kriminalisiert und belästigt werden
können.
Unser Prozesstermin ist der 29. August vorm Amtsgericht in Kassel. Ein
Grundinstinkt in mir sagt: Ich fühle mich im Recht, ich will freigesprochen
werden. Wir werden sehen, wie der Richter entscheidet, und hoffen sehr
darauf, dass es möglichst schnell zu einer politischen Lösung mit
Abschaffung des Paragrafen 219a kommen wird. Die Anklage und der
bevorstehende Prozess sind eine unglaubliche Belastung. Zugleich gibt es
aber auch viel Mutmachendes. Von unseren PatientInnen kommt täglich
Zuspruch, viele nehmen großen Anteil an der Situation. Sie schreiben Mails
und Briefe oder sprechen uns auf die Anklage an. Ältere Frauen erzählen
mir, wie sie in jüngeren Jahren unter schwersten Bedingungen Abbrüche
hatten. Das sind sehr intensive Begegnungen, und überall ist Solidarität.
„Ich stehe voll hinter Ihnen“ ist ein Satz, den mir viele meiner
Patientinnen sagen. Das ist schön zu spüren und gibt mir Kraft,
durchzuhalten. Protokoll: Patricia Hecht
* Name von der Redaktion geändert
27 Apr 2018
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