# taz.de -- SPD-Parteitag in Wiesbaden: Nun abstimmen, später debattieren | |
> Die SPD will sich erneuern, alle Hoffnungen richten sich auf die | |
> designierte Vorsitzende Andrea Nahles. Alle? Nein. Es wird auch Verdruss | |
> geben. | |
Bild: Andrea Nahles (r.) und ein Reisender, der den Zug verpasst hat | |
BERLIN taz | Am Sonntag wird etwas für die SPD doppelt Ungewöhnliches | |
passieren. Beim Parteitag in Wiesbaden werden die GenossInnen nicht nur | |
die erste Parteichefin überhaupt wählen, es gibt auch mehr als eine | |
Kandidatin. Die Arrivierte, Fraktionschefin Andrea Nahles, tritt als | |
Favoritin an. Alles andere als ein deutlicher Sieg mit wenigstens 75 | |
Prozent wäre überraschend. | |
Die Neue, [1][Simone Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg], ist ihre | |
Gegenkandidatin. Sie wirkt frisch, links, unverbraucht, nicht so stark von | |
der Arbeit in Apparaten geprägt wie Nahles. Aber Chancen hat sie wohl | |
nicht. | |
Das liegt auch am Timing. Carsten Schneider, parlamentarischer | |
Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, hält die Wahl von Nahles für | |
„den Abschluss eines Prozesses“ – nämlich des wirren Wegs vom donnernd N… | |
zum erst zaghaften, dann selbstverständlichen Ja zur Regierungsbeteiligung. | |
[2][Diesen Weg hat wesentlich Nahles gebahnt]. Jetzt, nach Schulz-Hype und | |
seinem Scheitern, Streit und Basisvotum zur Groko stehen erst mal alle | |
Signale auf innerparteilichen Frieden. Oder fast alle. | |
Denn es fühlt sich anders an als 2013, als die Basis ebenfalls den Eintritt | |
in die Regierung durchwinkte. Damals rasteten sofort die normalen | |
SPD-Reflexe ein. Regieren ist wichtig, die Fraktion nicht so sehr, die | |
Partei darf beim Parteitag die Hand heben. Jetzt ist die Stimmung etwas | |
anders. | |
## Die SPD und der Paragraf 219a | |
Yannick Haan, SPD-Ortsvorsitzender in Berlin-Mitte und Netzpolitiker, | |
glaubt, dass es „noch immer aufgestaute Wut über die Große Koalition gibt�… | |
die auch in Wiesbaden zum Vorschein kommen kann. 2013 hatte die SPD noch | |
die Illusion, dass solide Regierungsarbeit reicht, um auch bei Wahlen | |
erfolgreich zu sein. „Jetzt“, so Haan, „fragen viele, was wir falsch | |
gemacht haben und wie sich verhindern lässt, dass wir nächstes Mal bei 15 | |
Prozent landen.“ Das Gefühl sich auf einem sinkenden Boot einzurichten, ist | |
noch immer da. | |
Die Antwort der SPD-Spitze auf dieses Unbehagen lautet: Nahles. Die soll | |
als Partei- und Fraktionschefin ein alternatives Machtzentrum zu der Riege | |
der SPD-MinisterInnen bilden, die schnell im tagesaktuellen Regierungsmodus | |
sind. Allerdings ist bislang nicht zu erkennen, wo Nahles einen Deut von | |
der Regierungslinie abweicht oder weitergehende Ziele formuliert. | |
Dass die SPD, angetrieben von Partei und Fraktion, in der Regierung | |
eigenständiger auftritt als in der letzten Koalition, dafür gibt es bislang | |
kein Indiz. Im Gegenteil: Beim Paragrafen 219a übte sich Nahles in | |
vorauseilender Konfliktvermeidung. Wenn es beim Parteitag ein Ventil für | |
den Verdruss gibt, dürfte es die Kritik an Nahles’ Zickzackkurs beim 219a | |
werden. | |
## Debattencamp geplant | |
Das Zauberwort in der Partei lautet derzeit Erneuerung. Die SPD soll eine | |
nach außen offene, nach innen durch und durch demokratische Organisation | |
werden. Das jedenfalls proklamiert Generalsekretär Lars Klingbeil. Ende des | |
Jahres soll es ein Debattencamp geben, das Ideen der Basis sammelt, hat | |
Klingbeil vergangene Woche vorgeschlagen. Die SPD-Spitze soll diese Ideen | |
im kommenden Jahr bündeln und zu einem Zukunftsprogramm verdichten. | |
Zudem will Klingbeil digitale Beteiligungsformate populär machen – ein | |
anspruchvolles Vorhaben bei einer weitgehend dezentral organisierten Partei | |
mit 450.000 Mitgliedern und einem Durchschnittsalter von 60 Jahren. Ob | |
dieser Erneuerungsversuch erfolgreicher sein wird als die bisherigen, wird | |
man im nächsten Jahr beurteilen können. | |
Neu für die SPD-Kultur ist auf jeden Fall, dass die Delegierten in | |
Wiesbaden überhaupt die Wahl haben. Das letzte Mal, dass es in der SPD eine | |
Kampfkandidatur um einen Spitzenjob gab, liegt eine Weile zurück. 2005 | |
wollte eine aufstrebende Jungpolitikerin gegen den Willen der SPD-Spitze | |
Generalsekretärin werden. Sie gewann, der damalige SPD-Chef Müntefering | |
trat zurück. Ihr Name: Andrea Nahles. | |
20 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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