| # taz.de -- Umgang mit Paragraf 219a: Selbstbestimmung ist Ländersache | |
| > Die Hamburger Gesundheitsbehörde veröffentlicht Adressen von ÄrztInnen, | |
| > die Abtreibungen durchführen. Andere Länder halten diese Informationen | |
| > bislang zurück. | |
| Bild: Immer wieder ein Grund, auf die Straße zu gehen: der Paragraf 219a | |
| HAMBURG taz | 47 Jahre nach dem „Wir haben abgetrieben“-Cover des Magazins | |
| Stern wird erneut über Schwangerschaftsabbrüche und deren rechtliche | |
| Grundlage gestritten, seit Monaten schon. Im Fokus steht dabei der | |
| Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs, der das „Werben“ für Abtreibungen | |
| verbietet, mit anderen Worten: der ÄrztInnen verbietet, beispielsweise auf | |
| ihrer Homepage darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche | |
| vornehmen. Im Netz findet man in den meisten Gegenden in Deutschland daher | |
| nur schwer Informationen über dieses Thema. | |
| Außer in Hamburg, denn da läuft es besser als in den meisten anderen | |
| Bundesländern: Die Hamburger Gesundheitsbehörde informiert auf ihrer Seite | |
| ganz offen über die verschiedenen Möglichkeiten eines straffreien | |
| Schwangerschaftsabbruchs. Darunter findet sich ein schlichter Link, der zu | |
| einer „Liste der Praxiseinrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche | |
| vornehmen“ führt, geordnet nach Bezirken. | |
| Googelt eine Frau hingegen in Niedersachsen, Bremen oder Schleswig-Holstein | |
| nach Informationen, findet sie zwar welche zur Rechtslage, zur | |
| Kostenübernahme, dazu führen die Länder Adressen einiger | |
| Konfliktberatungsstellen auf, deren Besuch vor einem | |
| Schwangerschaftsabbruch rechtlich vorgeschrieben ist. Kontakte zu ÄrztInnen | |
| in ihrer Nähe finden sich aber nicht im Netz. Wie das Versorgungsnetz vor | |
| Ort ist, erfahren Frauen in der Regel erst in der Beratung. | |
| Seit zehn Jahren steht die Hamburger Liste nun schon im Netz. Warum gibt | |
| das Land hier die Richtung vor? Mareike Neuschulz, die Sprecherin der | |
| Hamburger Gesundheitsbehörde erklärt, man habe sich damals für die | |
| Veröffentlichung der Adressen entschieden, weil „ungewollt schwanger | |
| gewordene Frauen sonst nur über teils erhebliche Umwege in Erfahrung | |
| bringen können, welche Einrichtungen Abbrüche durchführen und welche | |
| Methoden angewandt werden“. Anderenfalls würde das Recht der Frauen auf | |
| freie Arztwahl und ihr Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt, sagt | |
| Neuschluz. | |
| Juristisch sieht sich die Behörde auf der sicheren Seite, da sie nichts an | |
| der Information verdiene und diese auch nicht in „grob anstößiger Weise“ | |
| veröffentliche, was laut Paragraph 219a verboten ist. | |
| ## Frauenrechte um Jahre zurückgeworfen | |
| Nun ziehen andere Länder womöglich nach: Berlin verkündete Anfang April, | |
| eine Liste mit ÄrztInnen ins Netz stellen zu wollen. In Bremen fordert die | |
| Bürgerschaftsfraktion der Linken gerade in einem Antrag, auf der Webseite | |
| des Gesundheitsamtes ebenfalls öffentlich zu machen, welche ÄrztInnen | |
| abtreiben. „Wir dürfen nicht tatenlos einer Entwicklung zusehen, die | |
| versucht, Frauenrechte um Jahrzehnte zurückzuwerfen“, sagt die | |
| Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Claudia Bernhard. SPD, Grüne und FDP | |
| befürworten die Idee – die CDU hingegen will an der Praxis festhalten, | |
| wonach es Kontakte zu ÄrztInnen erst in der Beratung gibt. | |
| Einen Anspruch auf Vollständigkeit erfüllt aber auch die Hamburger Liste | |
| nicht. Sie wurde gerade erst aktualisiert, 42 Einrichtungen sind dort | |
| vermerkt. Dass Behörden Kontakte zu ÄrztInnen vermitteln und betroffene | |
| Frauen in Hamburg nicht mehr auf Beratungsstellen als Mittler angewiesen | |
| sind, ist ein „wichtiger erster Schritt“, sagt Nicola Timpe, die Sprecherin | |
| der Hamburger Ärztekammer. Deren Delegiertenversammlung hat sich kürzlich | |
| einstimmig dafür ausgesprochen, das Informationsverbot abzuschaffen. Einen | |
| entsprechenden Antrag hatte Hamburg gemeinsam mit Berlin, Brandenburg, | |
| Bremen und Thüringen im Dezember im Bundesrat eingereicht. | |
| Solange sich aber an der Gesetzeslage nichts ändert, machen | |
| AbtreibungsgegnerInnen den ÄrztInnen und betroffenen Frauen das Leben | |
| schwer. Wer im Netz nach Informationen sucht, landet schnell auf | |
| zweifelhaften Seiten, wie der von Klaus Günter Annen, einem radikalen | |
| Abtreibungsgegner. Der Vorsitzende des evangelikalen Vereins „Nie Wieder“ | |
| nennt sich „Lebensschützer“, auf seinen Seiten babykaust.de und | |
| abtreiber.com hetzt er gegen Praxen und Kliniken und listet auf, gegen | |
| welche ÄrztInnen bereits Anzeige erstattet wurde. | |
| ## Drohungen, Klagen und wütende Mails | |
| Annen und andere AbtreibungsgegnerInnen denunzieren, bedrohen und verklagen | |
| reihenweise ÄrztInnen, die sich nicht an das Verbot halten. Die Gießener | |
| Ärztin Kristina Hänel wurde dafür im November zu einer Geldstrafe von 6.000 | |
| Euro verurteilt. | |
| Immerhin: Der Aufruhr macht sichtbar, wie schwer es für ungewollt | |
| Schwangere ist, an Informationen zu kommen. Seitdem die Ärztekammer sich | |
| gegen den Paragraf 219a positioniert hat, bombardiert Annen zahlreiche | |
| Hamburger ÄrztInnen mit wütenden Mails. Eine liegt der taz vor, er | |
| vergleicht darin die „Tötung von unschuldigen, wehrlosen, noch nicht | |
| geborenen Menschen“ mit Auschwitz und der Euthanasiebewegung. | |
| Auch die Gynäkologin Silke Koppermann hat Post von Annen bekommen. Sie | |
| sagt: „Es kann nicht sein, dass einzelne Radikalkonservative, die den | |
| ganzen Tag vor dem Computer hocken und Anzeigen verschicken, die Debatte | |
| derart hochkochen lassen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir im Jahr 2018 | |
| schon weiter sind.“ | |
| ## Viele ÄrztInnen sind vorsichtig geworden | |
| Koppermann war unter den 30 ÄrztInnen, die im November auf einem taz-Titel | |
| verkündeten: „Wir machen Schwangerschaftsabbrüche.“ Aus der Sicht der | |
| Gynäkologin wären umfassende vereinheitlichte Informationen zu | |
| Schwangerschaftsabbrüchen dringend nötig – zumal auf dem Land und in | |
| einigen städtischen, konfessionsgebunden Kliniken immer weniger | |
| Abtreibungen durchgeführt werden. Viele würden sich heute lieber „Ärger | |
| ersparen“, und führten daher keine Abtreibungen durch. | |
| Auch Koppermann selbst ist vorsichtig, was die Information in ihrer Praxis | |
| angeht. Auf der Homepage findet sich lediglich die Formulierung: „Es ist | |
| rechtlich nicht gestattet, über die Durchführung von | |
| Schwangerschaftsabbrüchen öffentlich zu informieren.“ Ein Kompromiss, mit | |
| dem die Gynäkologin selbst nicht zufrieden ist. | |
| Habe sich eine Schwangere gegen das Kind entschieden, sei ein zeitnaher | |
| Abbruch wichtig, sagt sie, denn so könne er noch mit Medikamenten | |
| durchgeführt werden. Je länger man wartet, desto größer wird der | |
| erforderliche Eingriff. „Durch das Werbeverbot werden keine Leben | |
| geschützt“, sagt Koppermann. „Es erhöht das Risiko für die Frauen und | |
| gehört daher abgeschafft.“ | |
| 2 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Lasarzik | |
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