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# taz.de -- Verhandlungen zum Paragraf 219a: Steiniger Weg zu straffreien Infos
> Zwei Ärztinnen stehen wegen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen
> vor Gericht. Von der GroKo ist zu Paragraf 219a noch nichts zu hören.
Bild: Sind angeklagt wegen des Verstoßes gegen Paragraph 219a: Natascha Nickla…
BERLIN taz | Ich will dieses Gefühl der Schlinge um den Hals weghaben“,
sagt Nora Szász. Die Schlinge, das ist Paragraf 219a, im Strafgesetzbuch
angesiedelt bei den „Straftaten gegen das Leben“. Das ist der
Gerichtstermin, den die Ärztin und ihre Kollegin Natascha Nicklaus am
Mittwoch am Kasseler Amtsgericht haben. Das ist das Gefühl, Zielscheibe
radikaler Abtreibungsgegner zu sein.
„Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös mit Mifegyne“ steht
auf der Webseite der beiden Ärztinnen. Die Staatsanwaltschaft sieht darin
eine nach Paragraf 219 a verbotene „Werbung für den Abbruch der
Schwangerschaft“ und hat Szász und Nicklaus angeklagt. Einschüchtern lassen
will Szász sich aber nicht: „Wir kämpfen für einen Freispruch.“
Auch die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die aus denselben Gründen bereits
im November 2017 [1][zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde],
sollte bald wieder vor Gericht stehen. Ihre Berufungsverhandlung am
Gießener Landgericht war schon für nächste Woche festgesetzt – doch am
Montag hob das Gericht den Termin überraschend auf. Wegen des hohen
öffentlichen Interesses sei der Saal zu klein, so die Begründung. Einen
neuen Termin gibt es noch nicht.
Hänel fühlt sich im Recht, aber anders als noch im November will sie keinen
Freispruch mehr. „Mit dem aktuellen Wortlaut des Paragrafen 219 a ist ein
Freispruch eigentlich gar nicht möglich“, sagt Hänel. „Deswegen will ich
zum Bundesverfassungsgericht.“
## Auslöser einer Debatte
Sie könnte dafür den Weg durch die Instanzen gehen. Aber das würde viel
Zeit und Geld kosten. „Wir werden wahrscheinlich das Gericht anregen, das
Verfahren auszusetzen und den Fall dem Bundesverfassungsgericht
vorzulegen“, sagt Hänels Anwalt Karlheinz Merkel. „Ich denke, wir haben
gute Aussichten, dass Karlsruhe sagt: Zumindest die Ärzte müssen von der
Bestrafung ausgenommen werden.“
Hänels Fall hat eine [2][politische und gesellschaftliche Debatte]
ausgelöst. Um „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche, wie es der Name des
Paragrafen suggeriert, geht es dabei nur am Rande. Vielmehr ist die Frage,
ob Ärzt*innen überhaupt öffentlich darüber informieren dürfen, dass sie
Schwangerschaftsabbrüche durchführen – oder ob ungewollt Schwangere diese
Information hinter verschlossenen Türen erhalten sollen, etwa in
Beratungsstellen. Hänels Ziel ist klar: „Ich will Rechtssicherheit für
Ärztinnen und Ärzte, und ich will Informationsfreiheit für Frauen“, sagt
sie.
Angezeigt wurden Szász, Nicklaus und Hänel von denselben beiden Männern:
Der eine betreibt eine Webseite namens „Babycaust“, auf der er Abtreibungen
mit dem Holocaust gleichsetzt. Der andere [3][erklärte im taz-Interview],
das Anzeigen von Ärzt*innen sei „halt so mein Hobby“. Gerade hat er Szász
wieder angezeigt – weil sie in einem Interview gesagt hat, dass in ihrer
Praxis Abtreibungen durchgeführt werden.
Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland noch immer ein Tabu – und das
ist auch gewollt. Paragraf 219 a soll dem Gesetzgeber zufolge „verhindern,
dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales
dargestellt und kommerzialisiert wird“.
## Die Debatte bewegt etwas
Nora Szász sagt: „Das ist nichts, womit man sich medizinisch profilieren
kann.“ Die Folge: Die Zahl der Ärzt*innen, die den Eingriff durchführen,
ist gering, und sie sinkt. Gerade mal 1.200 Mediziner*innen sind es
[4][nach taz-Recherchen] deutschlandweit. Der RBB-Sendung „Kontraste“
zufolge sind das 40 Prozent weniger als 2003.
Doch seit der Debatte über den Paragrafen bewegt sich etwas. Zum Beispiel
an der Berliner Charité. Dort organisiert die Gruppe Medical Students for
Choice (MSFC) [5][sogenannte Papaya-Workshops]. Dabei zeigen Gynäkologinnen
ehrenamtlich den Eingriff an den uterusähnlich geformten Früchten und
erläutern interessierten Studierenden die verschiedenen Methoden des
Abbruchs. Denn das, kritisieren die Studierenden, komme an der Uni kaum
vor.
Perspektiven auf Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Interviews des
Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft
e.V. ([6][AKF]) mit Ärztinnen und interessierten Frauen:
Das ändert sich nun: „In der aktuellen Revision der Lehrinhalte zum Thema
Schwangerschaftsabbruch hat die Charité (…) dem Aspekt der ethischen und
rechtlichen Implikationen ein größeres Gewicht als zuvor gegeben“, heißt es
aus der Pressestelle der Charité. Das Engagement seitens der Studierenden
betrachte man dabei „als zusätzlichen Impulsgeber“. MSFC-Mitgründerin
Alicia Baier ist zufrieden – vorerst: „Uns ist wichtig, dass auch die
medizinischen Aspekte mehr in den Fokus rücken“, sagt sie.
Rund 30 Verbände fordern mittlerweile die Abschaffung des Paragrafen,
darunter die Evangelischen Frauen in Deutschland, die Arbeiterwohlfahrt und
der Sozialverband. Er sei „Ausdruck eines haarsträubenden Frauenbildes und
gehört ersatzlos gestrichen“, erklärte auch DGB-Vize Elke Hannack. Ende
Juni schloss sich der Frauenrat der Forderung an – zu dem Dachverband
gehören auch konservative Frauenorganisationen wie etwa die Frauen-Union,
die sich im Februar explizit für die Beibehaltung ausgesprochen hatte.
## Stille im Bundestag
[7][Ende Mai stellte Berlin], das auch im Bundesrat auf eine Abschaffung
des Paragrafen 219 a drängt, als bundesweit zweite Stadt nach Hamburg
[8][eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten ins Netz], die
Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Bremen und die Region Hannover
arbeiten ebenfalls an solchen Listen.
An einem Ort jedoch herrscht auffällige Stille: im Bundestag. Und das,
obwohl das Ende des Paragrafen noch Anfang des Jahres fast schon
beschlossene Sache war. SPD, Linke und Grüne wollten ihn streichen, die FDP
ihn reformieren. Zwar war die Union strikt gegen jede Änderung – doch die
parlamentarische Mehrheit war da.
Dann aber stieg die SPD in die Regierungskoalition ein, ihr Gesetzentwurf
liegt seitdem auf Eis. Die Bundeskanzlerin versprach einen
Regierungsvorschlag. An dem arbeiten nun Justizministerin Katarina Barley,
Frauenministerin Franziska Giffey (beide SPD), Gesundheitsminister Jens
Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU). Das Thema indes scheint
in der Prioritätenliste nicht besonders weit oben zu stehen, schon gar
nicht vor der ins Haus stehenden Bayernwahl.
Die SPD hatte der Union seinerzeit ein Ultimatum gesetzt: Eine Lösung bis
zum Herbst, sonst wolle man mit den „reformwilligen“ Fraktionen
zusammenarbeiten. „Wir erwarten im Oktober den von Merkel zugesagten
Vorschlag“, bekräftigt nun Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der
SPD-Fraktion. Mindestens müsse der Tatbestand derart reduziert werden, dass
nur noch reißerische Werbung unter Strafe steht, sagt Fechner. „Noch besser
wäre es, Paragraf 219 a ganz zu streichen.“
## SPD und FDP auf Kompromisskurs
Die SPD ist auf Kompromisskurs – genau wie die FDP. Linke und Grüne
allerdings widersprechen: „Aufklärung und Informationen zum Thema
Schwangerschaftsabbruch zu kriminalisieren, ist nicht zeitgemäß“, sagt
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Und auch Ulle Schauws von den Grünen sagt: „Wir nehmen die SPD beim Wort
und erwarten, dass sie nach der Sommerpause den Weg für eine Abstimmung
ohne Koalitionszwang freimacht.“ Die Union will sich aktuell nicht zu
Paragraf 219 a äußern. Abgeordnete haben aber immer wieder betont, eine
Streichung keinesfalls mittragen zu wollen.
Kristina Hänel hat die Hoffnung auf den parlamentarischen Prozess fast
schon aufgegeben. Sie fürchtet, dass ein Kompromiss die Lage vielleicht
sogar schlechter macht, und drängt auf eine Abschaffung oder zumindest
gravierende Änderung. „Wenn die Politik das nicht schafft, dann soll sie
bitte bloß nicht rumpfuschen und mich den juristischen Weg gehen lassen“,
sagt die Ärztin.
28 Aug 2018
## LINKS
[1] /Geldstrafe-wegen-Abtreibungswerbung/!5466133
[2] /Reform-im-Abtreibungsrecht/!5493025
[3] /Abtreibungsgegner-ueber-219a/!5494752
[4] /Immer-weniger-Aerztinnen/!5487589
[5] /Thema-Abtreibung-im-Medizinstudium/!5502618
[6] https://www.akf-info.de/portal/2018/08/26/perspektiven-auf-informationen-zu…
[7] /Laendervorhaben-zum-Paragraf-219a/!5507083
[8] https://www.berlin.de/sen/gesundheit/themen/schwangerschaft-und-kindergesun…
## AUTOREN
Dinah Riese
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