# taz.de -- Mahnwachen von „LebensschützerInnen“: Mahnen, wachen, hetzen | |
> AbtreibungsgegnerInnen versuchen, schwangere Frauen vor Beratungsstellen | |
> einzuschüchtern. Ihre Aktionen werden immer aggressiver. | |
Bild: Schon im März protestierten AbtreibungsgegnerInnen vor einer ProFamila-B… | |
An einem kalten Morgen im März 2018 bildet rund ein Dutzend Menschen einen | |
Halbkreis vor einem unscheinbaren Haus im Frankfurter Westend. Die meisten | |
von ihnen stehen, wie auf einem Video im Netz zu sehen ist, einige knien | |
auf dem Boden und murmeln Gebete. Die Knieenden haben Rosenkränze in der | |
Hand, die Stehenden halten Schilder hoch, auf denen Ultraschallbilder von | |
Embryonen zu sehen sind. „Ich bin eine Person“, steht darauf, oder | |
„Ungeborene haben Menschenrechte.“ | |
Das Haus, vor dem die ultrakonservativen ChristInnen das Ave Maria beten, | |
ist die Beratungsstelle von Pro Familia. Pro Familia berät Frauen, die | |
schwanger sind. Um zur Beratung zu gelangen, müssen diese nun an den | |
AbtreibungsgegnerInnen vorbei. | |
Die AktivistInnen der sogenannten Mahnwache belagerten Pro Familia 40 Tage | |
lang. Ab dem 26. September, ein halbes Jahr nach dieser Aktion, soll es nun | |
wieder losgehen – zum vierten Mal schon, wiederum in Hessen, aber auch in | |
Pforzheim und München. Die Geschäftsführerin der Frankfurter Pro Familia, | |
Claudia Hohmann, seufzt, wenn man sie darauf anspricht. „Das kostet uns | |
viel zu viel Energie“, sagt sie. „So kann das nicht bleiben.“ | |
In Hessen, dem Bundesland, in dem [1][die Ärztin Kristina Hänel] zu Hause | |
ist, mehren sich Aktionen selbsternannter LebensschützerInnen. [2][Radikale | |
AbtreibungsgegnerInnen] haben Hänel im November angezeigt, weil sie auf | |
ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche | |
durchführt. Seit der Anzeige organisieren sich von Hessen aus ÄrztInnen, um | |
sich zu wehren. | |
## Auch ein politischer Streit | |
Politisch wird darüber gestritten, ob [3][der Paragraf 219a], der das | |
Werbeverbot für Abtreibungen regelt, verändert oder abgeschafft werden | |
soll. Gleichzeitig verstärken die radikalen AbtreibungsgegnerInnen ihre | |
Aktivitäten. Und noch eine andere Institution in Hessen ist seit November | |
in ihren Fokus geraten: Der Sternengarten aus Wiesbaden. | |
Sternenkinder werden Kinder genannt, die vor, während oder bald nach der | |
Geburt sterben und deren Eltern der Verein in der Trauerphase begleitet. | |
Sternengarten heißt eine Wiese im hinteren Teil des weitläufigen Friedhofs | |
der hessischen Landeshauptstadt. Mit Metallstäben sind Holzsterne in den | |
Boden gesteckt, grüne, lila-farbene, braune, die Farben schon ein wenig | |
verblichen. Hier bestattet der Verein seit 2012 alle Kinder, die in | |
Wiesbaden vor Ende der 24. Schwangerschaftswoche tot zur Welt kommen. | |
Der Sternengarten arbeitet dafür mit Kliniken zusammen, die die toten Föten | |
so lange aufbewahren, bis die nächste Bestattung ansteht – drei Mal | |
jährlich, in einem gemeinsamen Sarg. In diesem Sarg liegen allerdings nicht | |
nur Kinder, die gewollt waren und tot zur Welt kamen – sondern auch | |
diejenigen Föten, die abgetrieben wurden. „Wir fragen nicht, woher die | |
Föten kommen“, sagt die Sternengarten-Vorsitzende Susanne Fichtl. „Wir | |
wollen den Eltern einfach die Möglichkeit geben, Abschied zu nehmen.“ | |
Ende Juni allerdings bekam die menschenrechtspolitische Sprecherin der | |
grünen Bundestagsfraktion, Margarete Bause, Post. Auf dem Deckblatt des | |
Briefes ist die Gebäudefront des Südfriedhofs zu sehen, darüber ist in | |
deutlicher Anspielung auf Auschwitz der Schriftzug „Abtreiben macht frei“ | |
montiert. | |
## „Trauerfeier“ und Kränze | |
Statt Holocaust, wird hier suggeriert, finde in Wiesbaden der „Babycaust“ | |
statt – ein gebräuchlicher Ausdruck der internationalen | |
Anti-Abtreibungsgemeinde. „Ich weiß von mindestens drei weiteren | |
Abgeordneten, die diesen Brief auch bekommen haben“, sagt Bause. | |
Wiesbaden, heißt es in dem Schreiben, sei ein „Hauptknotenpunkt der | |
deutschen Abtreibungsindustrie“. Die Leichen der „im Mutterleib ermordeten | |
Kinder“ würden auf dem Grabfeld U12 des Südfriedhofs beerdigt. Deshalb lade | |
man zur Trauerfeier auf dem Südfriedhof ein. | |
Mitte Juli, am Tag der angekündigten „Trauerfeier“, steht die | |
Sternengarten-Vorsitzende Susanne Fichtl mit weiteren MitstreiterInnen in | |
der imposanten Eingangshalle des Wiesbadener Friedhofs. Am selben Tag, für | |
den die „Trauerfeier“ angekündigt wurde, sagt sie, hatte der Sternengarten | |
eine der jährlichen drei Bestattungen von Embryonen geplant. Die habe der | |
Verein allerdings abgesagt – aus Angst, hetzende AbtreibungsgegnerInnen | |
könnten auf nichtsahnende Eltern treffen. Falls nun doch Eltern auftauchen, | |
die von der Absage nichts mitbekommen haben, will Fichtl vorbereitet sein. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass Fichtl und ihre KollegInnen mit den | |
AbtreibungsgegnerInnen zu tun haben, erzählt sie. Im November – kurz, | |
nachdem die AfD in den Bundestag eingezogen war, was der Gemeinde der | |
AbtreibungsgegnerInnen Rückenwind gibt – wurde ein Kranz für eine der | |
Bestattungen geschickt. | |
## Strippenzieher im Dunkeln | |
Erst spät habe sie bemerkt, dass auf der Schleife der Schriftzug „Für alle | |
im Mutterleib ermordeten Kinder“ stand, sagt Fichtl. Einige Monate später | |
sei an einem Bestattungstermin ein Mann mit einem LKW vor dem Friedhof | |
vorgefahren, auf dessen Plane ein kleiner weißer Sarg zu sehen war – | |
mitsamt dem Schriftzug „Heute wieder mit im Sarg: Die Mordopfer aus | |
Deutschlands größter Abtreibungsklinik“. „Wir waren total geschockt“, s… | |
Fichtl. | |
Die Strippenzieher hinter den Aktionen bleiben oft im Dunklen. Zuzuordnen | |
sind sie der sogenannten Lebensschutzbewegung, die [4][zum Teil weltweit | |
vernetzt ist], auf politische Strukturen zurückgreifen kann und darüber | |
auch finanzielle Förderung bezieht. Öffentlich sichtbar werden zumindest im | |
Fall von Hessen oft Männer in mittleren und älteren Jahren, die | |
erzkatholischen Kreisen nahestehen. | |
So hat den Brief an die Bundestagsabgeordneten, der Abtreibungen in Bezug | |
zu Auschwitz setzt, der 90jährige Vorsitzende der Zentrumspartei | |
unterzeichnet, Gerhard Woitzik. Die Partei war in der Weimarer Republik | |
Vertreterin des katholischen Deutschlands und ist heute eine Splitterpartei | |
mit bundesweit wenigen hundert Mitgliedern. | |
Die Partei verschickte auch schon mal einen Flyer, der auf den ersten Blick | |
aussieht wie der Werbezettel einer Pizzeria. Im Innenteil jedoch sind | |
blutige, zerstückelte Embryonen als Pizzabelag zu sehen, angeklagt wird | |
„die Abtreibungsindustrie“. | |
## Unglücklich gelaufen | |
Diesmal jedoch versucht sich die Partei im Nachhinein von der Aktion, | |
Abtreibungen mit dem Holocaust zu vergleichen, zu distanzieren. Das sei | |
„alles ein bisschen unglücklich gelaufen“, sagte Generalsekretär Christian | |
Otte der taz. „Das Foto und der Spruch“ seien nicht angemessen gewesen. Und | |
sowieso habe Woitzik nicht gewusst, worauf er sich da einlasse: Er habe nur | |
eine Unterschriftsdatei zur Verfügung gestellt, aber weder den endgültigen | |
Text noch die Fotomontage gekannt, die später verschickt worden sei. | |
Der eigentliche Strippenzieher hinter der Mail sei ein Mann namens Markus | |
Miller, der ihm, Otte, aber nicht näher bekannt sei. Miller ist seinerseits | |
bereits als Akteur der Lebensschutzbewegung hervorgetreten – und als | |
Mitglied der Zentrumspartei. Weder Woizik noch Miller waren für die taz zu | |
erreichen. | |
Das Ziel all dieser Aktionen: Die Arbeit des Sternengartens soll unmöglich | |
gemacht werden. Und Abtreibungen in Deutschland sollen wieder bestraft | |
werden. | |
Das wollen auch die Betreiber der Website 40daysforlife.com, die die | |
„Mahnwachen“ vor Pro Familia ankündigen. Die Betreiber sitzen in den USA. | |
Ihre Mission, so heißt es auf der Website, ist es, durch „Beten und Fasten“ | |
Gottes Willen zu erfüllen und „Herzen und Köpfe von einer Kultur des Todes | |
zu einer Kultur des Lebens“ zu bringen – also zu einem Ende von | |
Abtreibungen. | |
## Das Ziel: ein umfassender Rollback | |
Die genauen Beziehungen zu den Organisatoren der Frankfurter Mahnwachen | |
bleiben im Dunkeln. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau allerdings | |
hat einer der Hintermänner Verbindungen zu Agenda Europe – einem | |
ultrakonservativen Netzwerk, das an einem umfassenden Rollback sexueller | |
und reproduktiver Rechte arbeitet und europaweit exzellent vernetzt ist. | |
Agenda Europe hat Kontakte bis ins Europäische Parlament, in die | |
EU-Kommission und den Vatikan (die taz [5][berichtete]). | |
Der Sternengarten-Verein hat kaum Optionen, sich gegen die Aktionen zu | |
wehren. Zum angekündigten Termin auf dem Wiesbadener Südfriedhof ist keineR | |
der AbtreibungsgegnerInnen gekommen. „Trotzdem sind diese ständigen | |
Aktionen unheimlich belastend“, sagte Fichtl. Zwar gebe es vielleicht die | |
Möglichkeit, Einzelnen Hausverbote auf dem Friedhof zu erteilen. | |
„Aber wir kennen ja nicht alle – und ich will ja auch nicht jeden | |
verdächtigen.“ Zwischendurch, sagt Fichtl, habe der Verein schon überlegt, | |
einfach aufzuhören. Das hätten sie aber schnell wieder verworfen: „Wir | |
machen nichts Falsches“, sagt Fichtl. „Und wir können die Eltern ja nicht | |
einfach allein lassen.“ | |
Zumindest im Fall des Flyers mit dem Auschwitz-Tor hat die Grüne Margarete | |
Bause Anzeige erstattet. „Bei der Verharmlosung des Holocausts und der | |
Verächtlichmachung der Opfer gibt es gar kein anderes Vorgehen“, sagte sie. | |
„Diese Leute müssen in die Schranken gewiesen werden.“ | |
## Gegenwehr ist schwierig | |
Gegen die Mahnwachen vor Pro Familia in Frankfurt engagiert sich seit März | |
immerhin das Frauenrechtebündnis in der Stadt, das sich für das Recht von | |
Frauen auf Selbstbestimmung und ergebnisoffene Beratung bei ungewollter | |
Schwangerschaft einsetzt. | |
Doch jenseits dessen gestaltet sich auch hier die Gegenwehr schwierig: Ein | |
Gutachten, das die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im | |
Bundestag, Cornelia Möhring, im Juli in Auftrag gab, sollte klären, welche | |
Möglichkeiten es gibt, Bannmeilen um Beratungsstellen einzurichten. | |
Bannmeilen jedoch seien mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht | |
vereinbar, so das Fazit des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. | |
Möhring hofft nun auf eine andere Möglichkeit: die Änderung des | |
Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Das regelt, dass der Gesetzgeber | |
störungsfreie Beratungen gewährleisten muss. Diese Möglichkeit werde | |
momentan juristisch geprüft, sagte Möhring. Bis dahin allerdings dürfte es | |
noch dauern. Und die „Mahnwache“, die ab dem 26. September angekündigt ist, | |
wird wohl stattfinden. | |
Das Bündnis Frankfurt für Frauen*rechte hat tägliche Protestkundgebungen | |
dagegen angemeldet. | |
25 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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