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# taz.de -- Mobilitätsexperte über Verkehrswende: „Verkehr muss Chefsache w…
> Geht es nur um Fahrverbote für Diesel-Pkw? Nein, sagt Christian Hochfeld.
> Wichtig seien ein Verkehr ohne fossilen Treibstoff, neue Märkte und
> lebenswerte Städte.
Bild: Warum nannte man das gleich noch Individualverkehr?
taz am wochenende: Herr Hochfeld, mal angenommen, Angela Merkel macht Sie
zum Verkehrsminister: Was wären Ihre wichtigsten Aufgaben?
Christian Hochfeld: Ich würde alles dafür tun, dass die Kanzlerin das
Verkehrsthema zur Chefsache macht. Das war es in den letzten Jahren nicht.
Dabei ist der Verkehr der Hauptschuldige dafür, dass wir unsere Klimaziele
nicht erreichen, er repräsentiert 800.000 Jobs und die wichtigste deutsche
Industrie, die vor einem fundamentalen Wandel steht. Deshalb kann nur das
Kanzleramt die Verkehrswende einleiten, sie ist wichtiger Teil der
Modernisierung unserer Gesellschaft.
Was stünde noch an?
Ein Strategiewechsel in Brüssel. Statt CO2-Grenzwerte für Autos zu
verwässern, müssen wir auf schärfere Standards drängen. Wir brauchen viel
mehr effiziente und elektrische Fahrzeuge für die Klimaziele. Die Weichen
dafür werden bis Anfang 2019 gestellt, also müssen wir schnell handeln. Und
je weniger wir europäisch schaffen, umso schwerer wird es, national
nachzusteuern. Wenn wir national Kraftstoff teurer machen oder eine Maut
einführen, wächst der Widerstand in der Bevölkerung. Die Verkehrswende
braucht aber Mehrheiten.
Was ist in Deutschland für eine Verkehrswende nötig?
Wir brauchen schrittweise eine Umstellung der Abgaben auf Kraftstoffe.
Steuervorteile für Diesel sind da nicht zukunftsweisend. Um das Neue in die
Welt zu bekommen, müssen wir uns auch darum kümmern, wie das Alte aus der
Welt kommt.
Sie wollen den Fehler der Energiewende vermeiden: nicht festzulegen, was
verschwinden soll.
Genau. Mit der Energiewende im Stromsektor kriegen wir immer mehr
Erneuerbare in den Markt, senken aber unsere CO2-Emissionen nicht, wenn wir
die Kohle nicht rausnehmen. Daraus müssen wir für die Verkehrswende lernen.
Deswegen muss auf einen nationalen Konsens zum Kohleausstieg auch ein
Konsens zum Öl- und Gas-Ausstieg folgen. Am besten in der Kommission, die
die Regierung zum Verkehr plant.
Da würde sich der Verkehrsminister Hochfeld ja viele Feinde machen. Wer
wäre der gefährlichste Gegenspieler?
Diejenigen, die am meisten davon profitieren, wenn sich nichts ändert. Das
ist sicher die Mineralölwirtschaft, die könnte aber in Zukunft noch
Geschäfte machen mit synthetischen Kraftstoffen. Mit dem Pariser
Klimaschutzabkommen haben wir beschlossen, über kurz oder lang aus den
Fossilen auszusteigen.
Die Energiewende hat erst nach einer Katastrophe richtig Fahrt aufgenommen.
Ist der Dieselskandal das Fukushima der Autoindustrie?
Der Dieselskandal ist ein GAU für das Vertrauen in die Automobilbranche. Da
kommen wir nur raus, wenn wir die Krise auch als Chance sehen. Es geht
nicht darum, nur kurzfristig Fahrverbote zu vermeiden, sondern darum, unser
Verkehrssystem umzubauen.
Am kommenden Dienstag [1][entscheidet das Bundesverwaltungsgericht] über
Fahrverbote in Städten. Egal, wie das ausgeht – ist der Diesel für Pkw in
Deutschland mittelfristig tot?
Ich sehe ihn im Moment auf der Intensivstation. Technisch gesehen würde man
ihn noch für eine Weile aus dem Krankenbett kriegen, aber das ist teuer.
Viele Kunden haben das Vertrauen in den Diesel verloren. Deshalb glaube ich
nicht an seine Genesung.
Die Autohersteller sind aber nicht in einer Krise. Ganz im Gegenteil.
Ja, in der Autobranche gibt es Rekorde bei Produktion und Gewinnen. Dieser
Erfolg macht leider träge. Trotzdem: In den Unternehmen verstehen immer
mehr, dass sie bereits in einem Überlebenskampf sind. Andere wollen am
enorm erfolgreichen Geschäftsmodell der letzten 125 Jahre festhalten: Pkw
mit Verbrennungsmotor zu verkaufen.
Werden die deutschen Autobauer enden wie die Stromkonzerne? Zerbröckeln,
weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben?
Die Autobauer haben den Schuss gehört, aber in der Politik ist noch nicht
angekommen, was der anstehende Strukturwandel bedeutet. Die Hersteller
kündigen Milliarden-Investitionen an, und die Politiker sind beruhigt. Was
sie nicht sehen: Natürlich investieren die Konzerne in neue
Antriebstechniken, automatisiertes Fahren und neue Dienstleistungen. Aber
wenn wir keinen Leitmarkt dafür in Deutschland aufbauen, werden die
Produktion und die Arbeitsplätze abwandern. Heute gehen deutsche E-Autos
nach China, in die USA, nach Norwegen. Die sicherste Art, einen E-Golf zu
bekommen, ist, einen Zug nach Norwegen zu stoppen.
Es ist also genug Nachfrage da?
Den Herstellern wird es auch in Zukunft gut gehen. Sie können mit der alten
Technik des Verbrennungsmotors großen Gewinn in Deutschland machen und
dieses Geld dann anderswo in die neue Technik investieren. Die Frage ist
nur: Geht es auch dem Standort Deutschland gut? Die Gewerkschaften haben
inzwischen begriffen, dass man für die Jobs in Deutschland mehr bei der
Verkehrspolitik tun muss. Doch wenn erst Tausende von Metallern vor dem
Kanzleramt für die Verkehrswende demonstrieren, wird es wahrscheinlich zu
spät sein.
Die Regierung hat versucht, den Markt für E-Autos über eine Prämie
anzukurbeln. Eine gute Idee?
Nur zum Teil. Sie deckt nicht die Mehrkosten, es fehlt noch die
Lade-Infrastruktur. Vielleicht haben wir uns zu früh auf den Privat-Pkw
gestürzt. Da denken alle, ein Auto muss 1.000 Kilometer fahren können,
sonst erfüllt es nicht die Bedürfnisse. Aber wer fährt 1.000 Kilometer am
Stück? Sie müssten Ihre Harnblase vergrößern lassen, um diese Tankgröße
ausnutzen zu können. 300 bis 400 Kilometer Reichweite in Kombination mit
schnellem Laden reichen völlig aus. Wir hätten stärker versuchen sollen,
E-Fahrzeuge in die Flotten der gewerblichen Nutzung zu bringen, in den
kommunalen Betrieb, bei Taxis. Das hätte auch früher einen Markt für
erschwingliche Gebrauchtwagen geschaffen.
Kunden entscheiden beim Verkehr oft irrational, sie kaufen Geländewagen,
auch wenn sie sie nicht brauchen. Ist das nicht ein Riesenproblem für die
Verkehrswende?
Die Verkehrswende ist mehr, als nur den Antrieb auszuwechseln. Dazu gehört
auch eine andere Einstellung zur Mobilität, die Mobilitätswende. Das ist
der schwierigere Teil. Wir wollen aus autogerechten Städten lebenswerte
Orte machen. Dafür brauchen wir mehr Sharing-Angebote, kombiniert mit ÖPNV,
zu Fuß gehen und Rad fahren. Ein Teil des Irrationalen kann auch die
Attraktivität der neuen Mobilität steigern.
Ein E-Bike, mit dem ich genauso angeben kann wie mit dem Audi-Sportwagen?
Fahrgemeinschaften heißen jetzt „Ride-Pooling“ und haben auch einen
Coolness-Faktor. Die Mobilitätswende darf nicht als Zwang daherkommen. Das
ist ein starker Unterschied zur Energiewende. Sie merken dem Licht nicht
an, wie grün der Strom ist. Sie müssen Ihre Konsumgewohnheiten nicht so
ändern wie im Verkehr.
Wie wollen Sie Menschen überzeugen? Die Drohung mit dem Öko-Kollaps wirkt
nicht.
Ich bin wie viele andere Experten optimistisch, dass sich in fünf Jahren
mehr ändert als in 30 Jahren davor. Denn es gibt ganz neue Akteure auf dem
Markt, chinesische Autobauer, die großen Internetfirmen aus dem Silicon
Valley. Das bringt ungeheure Dynamik. In Kalifornien und Südchina stehen
riesige Summen an Risikokapital zur Verfügung. Die Investoren denken, dass
die neue Mobilität autonom sein wird, elektrisch und als Carsharing. Es
gab noch nie so viel Geld für die Mobilität von morgen, während der ÖPNV
chronisch unterversorgt ist. Die Frage ist deshalb: Wie kriegen wir das
Geld in die richtigen Kanäle?
Bei uns sind [2][Autoindustrie, Behörden und Politik eng verzahnt]. Ist da
eine Verkehrswende nicht eine unmögliche Aufgabe?
Mit den Worten der Kanzlerin: Sie ist alternativlos. Wenn wir das nicht
schaffen, erreichen wir unsere Klimaziele nicht und verlieren unsere
Wettbewerbsfähigkeit in der Mobilitätswirtschaft. Ich würde auch weniger
mit dem Klimaschutz argumentieren als vielmehr die wirtschaftlichen Chancen
in den Vordergrund stellen. Und die Lebensqualität vor allem in den
Städten, die Vorteile etwa für die Gesundheit durch saubere Luft und mehr
Bewegung.
Von dieser Alternativlosigkeit findet sich nichts im Koalitionsvertrag.
Nein, leider kann man trotz vieler guter Facetten aus dem Koalitionsvertrag
nicht herauslesen, wie dringend und wichtig diese Frage ist. Eigentlich
müssen wir nur wollen, aber wollen müssen wir schon. Ob Parlament und
Regierung das in den nächsten vier Jahren hinbekommen, ist offen.
24 Feb 2018
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## AUTOREN
Bernhard Pötter
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