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# taz.de -- Debatte Diesel-Fahrverbote: Im Schongang geht es nicht!
> Fahrzeuge nachrüsten, Dieselsteuer anheben, E-Autos fördern: Deutschland
> braucht eine echte Verkehrswende ohne Rücksicht auf die Autobauer.
Bild: Freie Fahrt für freie Bürger: morgendlicher Berufsverkehr in Berlin-Mit…
Die deutsche Politik tut alles, so scheint es, um die Autokonzerne weiter
zu schonen und die notwendige Verkehrswende auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
zu verschieben. Nun könnte sie auch noch Unterstützung von der Justiz
bekommen. Am heutigen Donnerstag [1][entscheidet das
Bundesverwaltungsgericht] darüber, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge auch
ohne Gesetzesänderung schon jetzt rechtmäßig sind.
Entscheidet das Gericht gegen Fahrverbote, bestätigte es damit den jetzigen
Kurs der Politik, möglichst alles zu vermeiden, was die Autoindustrie
unter Druck setzt. Dabei hatte die EU Deutschland unter Androhung von
Strafzahlung aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um [2][die
hohe Luftbelastung in den Städten] in den Griff zu bekommen. Dass
Dieselfahrzeuge daran einen hohen Anteil haben, ist unstrittig. Insofern
geht über kurz oder lang an Diesel-Fahrverboten kein Weg vorbei.
Erkennt das Bundesverwaltungsgericht aber Fahrverbote als rechtmäßig an,
wird dies den Druck auf die Politik und die Hersteller erhöhen. Sie wären
gezwungen, endlich die erforderlichen Maßnahmen einzuführen, um besonders
dreckige Dieselfahrzeuge von den Straßen zu verbannen. Die Kommunen wären
gezwungen, Straßen zu sperren, um Strafzahlungen an die EU zu vermeiden.
Die Autokonzerne sähen sich – endlich – genötigt, Modelle mit übermäßig
hohem Stickoxidausstoß nachzurüsten.
Verhältnismäßig einfach und effektiv wäre die Einführung einer blauen
Plakette, um die Feinstaubwerte zu mindern. Dass es bisher nicht gelungen
ist, diese einzuführen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass man die
Autoindustrie schonen will. Die fadenscheinige Ausrede, man könne die
Verbote nicht kontrollieren, ist absurd: Verkehrsteilnehmer sind nicht erst
seit Einführung der Umweltzonen daran gewöhnt, sich an Verkehrsregeln zu
halten – auch wenn nicht jede Ordnungswidrigkeit sofort geahndet wird.
Die Politik könnte zur Senkung der Feinstaubwerte eine E-Auto-Quote für
Neufahrzeuge einführen, die Dieselsteuer anheben und umweltfreundliche
Technologien fördern. Vieles ist denkbar und alles zusammen würde sicher
auch zum gewünschten Erfolg führen. Doch leider ist allen Vorschlägen
gemein, dass auf die Autoindustrie Kosten und Umsatzeinbußen zukämen.
## Endlich eine ÖPNV-Debatte
Und so steht ein anderer Vorschlag plötzlich im Raum: [3][der kostenlose
öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV)]. Die Forderung der EU, für bessere
Luft in deutschen Großstädten zu sorgen, beantworteten die
Bundesumweltministerin, der Kanzleramtschef und der Verkehrsminister mit
einem Brief an den EU-Umweltkommissar: Sie schlagen vor, mithilfe eines
unentgeltlichen Nahverkehrs in einigen Modellregionen die Luftqualität in
den Innenstädten zu verbessern. Von Diesel-Fahrverboten oder anderen
Maßnahmen, die die Autokonzerne übermäßig belasten, ist nicht die Rede.
Grundsätzlich ist es eine gute Idee, den ÖPNV günstiger zu machen, davon
profitieren vor allem einkommensschwache Personen. Bisherige Erfahrungen
mit kostenlosem ÖPNV haben durchaus bestätigt, dass dieser deutlich stärker
genutzt wird. Ein Beispiel ist Templin in Brandenburg, wo 1998 Gratis-ÖPNV
für alle eingeführt wurde. Die Fahrgastzahlen stiegen innerhalb eines
Jahres von 41.000 auf 350.000. 2001 waren es sogar schon mehr als eine
halbe Million. Dadurch stiegen auch die Betriebskosten; Mittel zur Deckung
fehlten. 2003 wurde das Projekt eingestellt.
In Deutschland wird der ÖPNV zu einem guten Anteil durch Nutzergebühren
finanziert. Fiele dieser Anteil weg, dann entstünden erhebliche
Finanzierungslücken. Wenn mehr Menschen umsteigen, bräuchte man auch
zusätzliche Züge und zusätzliches Personal. Die Verkehrsbetriebe agieren
vielerorts schon jetzt an der Belastungsgrenze. Kurzfristig würde der
kostenlose ÖPNV somit schon deshalb nicht helfen, umweltschädliche
Emissionen zu senken, weil schlicht Kapazitäten fehlen.
Sinnvoller erscheint [4][das Wiener Beispiel], dort gibt den ÖPNV für einen
Euro am Tag (Jahreskarte für 365 Euro). Nutzerbeiträge fließen weiterhin,
die Einnahmen in Wien sind sogar gestiegen. Tübingen wiederum hat eine
Bürgerabgabe zur Finanzierung des kostenlosen Nahverkehrs vorgeschlagen.
## Autoindustrie muss in Vorleistung treten
Es müssten gigantische Summen in die Hand genommen werden, um den ÖPNV
vollständig kostenfrei zu machen. Wo doch schon heute der Bedarf an
Infrastrukturinvestitionen groß ist: zum Beispiel für Ladesäulen für
Elektroautos, die Modernisierung von Strecken und Fahrzeugen oder die
Schaffung einer deutschlandweiten Bezahlplattform für intermodale Angebote.
Die Kosten dafür können beispielsweise durch eine Anhebung der Dieselsteuer
– die Dieselsteuererleichterung kostet die SteuerzahlerInnen pro Jahr über
7 Milliarden Euro – gedeckt werden.
Aber es geht in der gesamten Diskussion ja gar nicht um die Stärkung des
Nahverkehrs. Sondern darum, zu vermeiden, dass die Autokonzerne in die
Pflicht genommen werden. 9 Millionen Diesel-Pkws müssen nachgerüstet
werden, was pro Fahrzeug durchschnittlich 1.500 Euro kosten würde. Die
Autoindustrie scheut diese Kosten, und die Politik lässt ihr dies weiter
durchgehen. Stattdessen werden Strategien ersonnen, die über die
SteuerzahlerInnen finanziert werden sollen. Die Kommunen sollen es
ausbaden, indem sie unliebsame Straßensperrungen durchführen oder bei
weiterer Untätigkeit der Bundespolitik saftige Strafen an Europa bezahlen
müssen.
Es muss jetzt endlich eine nachhaltige Verkehrswende auf den Weg gebracht
werden – ohne Rücksicht auf die Interessen der Autolobby. Dazu gehört
sicher auch ein attraktiver und preiswerter Nahverkehr. Doch dies kann nur
ein Baustein von vielen sein. Zuallererst muss die Autoindustrie in
Vorleistung treten. Hoffentlich sieht das Bundesverwaltungsgericht dies
genauso.
22 Feb 2018
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## AUTOREN
Claudia Kemfert
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