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# taz.de -- Anwalt über heimliches Datensammeln: „Das Ausmaß lässt sich er…
> Anwalt Sven Adam vertritt Betroffene, über die der Staatsschutz wohl
> illegal Daten gesammelt hat. Daran, dass die gelöscht wurden, hat er
> Zweifel.
Bild: Beliebtes Ausspähobjekt für die Polizei: Linker Aktivist
taz: Herr Adam, wurden Sie auch vom Staatsschutz beobachtet?
Sven Adam: Also, was ich weiß, ist, dass der niedersächsische
Verfassungsschutz mal personenbezogene Daten über mich in seinen Akten
hatte. Das ist allerdings eine andere Geschichte. Im gegenwärtigen Fall
geht es ja um den Göttinger Staatsschutz, der über vermutlich mehrere
Hundert Leute, Großteils aus dem linkspolitischen Spektrum, und über
mehrere Jahre hinweg Daten gesammelt hat. Ob über mich auch Akten geführt
wurden, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich vertrete aber anwaltlich 24 von den
Betroffenen, bei denen wir wissen, dass Akten über sie geführt wurden.
Diese hatten Klagen vor dem Verwaltungsgericht eingereicht, um diese
Praktiken als illegal feststellen zu lassen, denn es gibt schlicht keine
rechtliche Grundlage für eine derartige Form der Datensammelei.
Göttingens Polizeipräsident hat eine „rückhaltlose Aufklärung“ versproc…
Gleichzeitig wurde aber bekanntgegeben, dass die gesammelten Daten bereits
2016 allesamt gelöscht worden seien. Dementsprechend ist eine Aufklärung
nun natürlich nicht mehr möglich. Wie sollen die Betroffenen denn sonst
erfahren, was über sie an Daten gesammelt wurden, wenn die Ordner nun
angeblich vernichtet wurden? Außerdem geht es hier um mehrere Hundert
Personen. Da kann es im Nachhinein gar keine Aufklärung geben, wer
betroffen war und was über diese Leute an Informationen gesammelt wurden –
sofern denn die Ordner wirklich nicht mehr existieren sollten. Deshalb ist
davon auszugehen, dass versucht wird, die Sache im Sand verlaufen zu
lassen.
Sie glauben nicht, dass die Daten wirklich gelöscht wurden?
So recht glauben will es hier niemand. In den 1980ern, im Zuge der
Göttinger Spudok-Affäre, wurde das auch schon behauptet und stimmte im
Nachhinein nicht. Wir haben deswegen Einsicht in die Löschprotokolle
gefordert. Nur weil sich jemand hinstellt und sagt, die Daten seien
gelöscht worden, ist das noch kein Beleg.
Sie hatten wegen der behaupteten Löschung der Daten Strafanzeige gegen
Beamte des Staatsschutzes gestellt. Warum?
Soweit wir wissen, wurden die Daten auf Betreiben des Staatsschutzleiters
geführt und auch, angeblich voriges Jahr, vernichtet. Diese Akten sind aber
rechtlich betrachtet Urkunden und dürften nicht einfach von demselben
Beamten ohne Weiteres vernichtet werden. Sie gehören dem Land
Niedersachsen. Ich könnte, wenn ich Staatsanwalt wäre, auch nicht einfach
von mir geführte Ermittlungsakten verbrennen. Darüber dürfte ich nicht
eigenwillig entscheiden.
Für den Staatsschutz reichte es offenbar, dass man beispielsweise friedlich
an einer Demonstration teilnimmt, um überwacht zu werden. Was sagt das
Gesetz dazu?
Dafür gibt es rechtlich keine Grundlage. Für eine derartige
personenbezogene Datensammlung braucht es das Vorliegen einer Gefahr. Nur
weil jemand friedlich an einer Demonstration teilnimmt, geht von ihm oder
ihr keine Gefahr aus. Wir wissen außerdem von einer Person, die mal bei
einer Gerichtsverhandlung als Besucher anwesend war. Das hat dem
Staatsschutzkommissariat der Göttinger Polizei offenbar gereicht, um über
sie ebenfalls Daten zu sammeln. Das ist schon gruselig. Insgesamt muss man
sagen, dass wir bisher noch viel zu wenig Informationen haben. Aber es
reicht aus, um das Ausmaß zu erahnen.
Schon seit Jahrzehnten scheint illegales Datensammeln der Polizei in
Göttingen üblich zu sein, immer richtete es sich gegen linke AktivistInnen.
Warum gerade in der Universitätsstadt?
Ja, man kann sagen, dass das eine Tradition hat. Auch im gegenwärtigen Fall
gibt es Daten, die bereits vor 17 Jahren rechtswidrig gesammelt wurden.
Göttingen war schon in den 1980ern und 90ern eine linke Hochburg, in der es
auch noch mehr zur Sache ging. Aber heute? Das ist nicht mal mehr
vergleichbar. Wir vermuten, dass den Staatsschützern in den letzten Jahren
der eigentliche Auftrag abhandengekommen ist. Also haben sie sich mit
dieser absurden Datensammlung selbst wieder einen geschaffen. Dass der
Feind links steht und dass dort massenweise Daten gesammelt wurden, hatte
dabei aber immer eine Kontinuität.
Sie sind als Anwalt bundesweit tätig. Gibt es in anderen Städten eine
ähnliche Praxis des Staatsschutzes?
Davon ist natürlich auszugehen, andernorts wird es sicherlich ähnlich
gemacht. Dass es hier in Göttingen regelmäßig auffliegt, könnte damit
zusammenhängen, dass die Größenordnung eine andere ist. Wenn es so viele
Fälle gibt, muss zwangsläufig auch mal etwas auffliegen. Oder sie sind hier
einfach nur zu selbstsicher und zu dreist, sodass diese Fälle immer wieder
herauskommen.
Halten Sie es durch die Ausschreitungen um den G20-Gipfel in Hamburg für
wahrscheinlich, dass die linke Szene nun noch stärker in den Blick der
Behörden gerät?
Als unbedachter Reflex ist dies ja nun sogar vielfach gefordert worden und
sicherlich werden die G20-Ereignisse seitens der Polizei auch als
vermeintliche Rechtfertigung für weitere ausufernde illegale
Datenspeicherungen verwendet werden. Es bleibt aber dabei, dass für alle
Maßnahmen der Polizei und auch für eventuelle Strafverfahren nur das
maßgeblich ist, was eine Person konkret getan hat und nicht, was für eine
Einstellung die Person hat. Ein linkes Gedankengut, das friedliche
Teilnehmen an Versammlungen, das Wohnen in Wohngemeinschaften oder das
Zuhören bei politischen Veranstaltungen kann auch weiterhin kein Grund für
eine personalisierte Datenerhebung sein.
Mehr darüber, wie der Göttinger Staatsschutz die Daten von Linken
speichert, lesen Sie in der aktuellen Wochenendausgabe der taz-nord oder
[1][am E-Kiosk.]
9 Feb 2018
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André Zuschlag
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