# taz.de -- Göttinger Forschung zu linker Militanz: Der kommende Aufsatz | |
> Die Uni Göttingen will „Linksextremismus“ erforschen. Die autonome Szene | |
> aber will das nicht. Sie befürchtet eine Einmischung des Staates. | |
Bild: Keinen Bock auf eine Studie über linke Militanz: Die autonome Szene in G… | |
GÖTTINGEN taz | Als am Vormittag des 11. November andernorts mit närrischem | |
Spektakel die Karnevalssaison eingeleitet wurde, zogen vor dem Gebäude des | |
Göttinger Instituts für Demokratieforschung Demonstranten auf. Vor dem | |
Eingang kippten sie einen großen Haufen Papierschnitzel ab. Sie zogen | |
Absperrband vor die Tür und knüpften daran ein Transparent mit dem Spruch | |
„Verfassungsschutz abschaffen“. | |
Das Institut, so erklärten die Protestierenden ihre Aktion, arbeite für | |
oder zumindest im Sinne des Geheimdienstes. Im Verdacht haben die | |
Aktivisten dabei vor allem die Forschungen zum Linksextremismus. | |
Seit dem Juli existiert die „Bundesfachstelle Linke Militanz“, sie ist am | |
Institut für Demokratieforschung angesiedelt. Im Rahmen des Bundesprogramms | |
„Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und | |
Menschenfeindlichkeit“ fließen zwar Mittel vom Familienministerium, doch es | |
handele sich „um unabhängige Grundlagenforschung“, versicherte der | |
Politologe und wissenschaftliche Mitarbeiter des Institutes, Julian | |
Schenke, am Donnerstag der taz. „Eine Einmischung von Sicherheitsbehörden | |
oder Regierungsinstitutionen ist ausgeschlossen.“ | |
Dasselbe gelte für die ebenfalls am Institut angesiedelte „Forschungs- und | |
Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in | |
Niedersachsen“. Sie beschäftigt sich mit Rechtsextremismus, religiösem | |
Fundamentalismus und linker Militanz im Bundesland Niedersachsen. | |
## Radikale Linke in den Blick nehmen | |
Die Fördermittel seien dem Landesverfassungsschutz infolge des NSU-Skandals | |
gegen seinen Willen von der rot-grünen Landesregierung abgenommen worden, | |
so Schenke. Gleichwohl nutzt diese Forschungsstelle aber auch offen | |
zugängliches Material, das der niedersächsische Verfassungsschutz | |
bereitgestellt hat. | |
Die Bundesfachstelle will dagegen die radikale Linke in ganz Deutschland | |
und Europa in den Blick nehmen. Bis Ende 2019 wollen die Forscher nach | |
eigenen Angaben Erkenntnisse zur Rekrutierung und Zusammensetzung, zu | |
inneren Kommunikationsweisen und zu Entscheidungsprozessen der Szene | |
gewinnen. Und pädagogische Ansätze „zur Prävention demokratiefeindlicher | |
Aspekte linksradikaler Denk- und Verhaltensweisen“ entwickeln. „Dabei | |
fassen wir Radikalität nicht als per se verwerflich auf“, betont Schenke. | |
Um an ihr Forschungsziel – „eine wissenschaftlich fundierte Ethnologie der | |
linken Militanz“ – zu gelangen, wollen die Göttinger Forscher zunächst | |
lokale Milieus untersuchen. Schenke drückt das so aus: „Im Rahmen | |
definierter lokaler Strukturen wollen wir Handlungsmotive und | |
Radikalisierungsgründe, Mentalitäten und Einstellungsmuster, | |
infrastrukturelle Vernetzungen und Aktionsformen wie unter einem Brennglas | |
analysieren.“ | |
Als Methoden kämen etwa leitfadengestützte und biografisch-narrative | |
Interviews, Gruppendiskussionen, die Analyse und Deutung politischer | |
Schriften sowie von Debatten in sozialen Netzwerken und auch „Feldforschung | |
im Sinne von teilnehmender Beobachtung“ infrage – „allerdings ganz ohne | |
klandestine Praktiken und unter Gewährleistung wissenschaftlicher | |
Datenschutzrichtlinien“. | |
Erste Publikationen und Forschungsberichte will das Institut bereits ab | |
2018 vorlegen. Ein ehrgeiziger Zeitplan, denn ob die Forschungsobjekte wie | |
erhofft mitmachen, erscheint äußerst fraglich. Eine Frau, die in der | |
Göttinger autonomen Szene unterwegs ist, sagte: „Ich kann mir nicht | |
vorstellen, dass sich unsere Gruppe für Befragungen zur Verfügung stellt | |
oder duldet, dass Wissenschaftler zu unseren Treffen kommen.“ | |
Schenke hingegen hebt hervor, dass die Arbeit von Behörden wie dem | |
Verfassungsschutz kritisch beurteilt werde. Dies sei „selbstverständlicher | |
Teil unserer Analyse“. Ein wesentlicher Teil der Arbeit bestehe auch darin, | |
adäquatere Begrifflichkeiten zu finden, „den Extremismusbegriff halten wir | |
selbst für unzureichend“. | |
Proteste wie die „Schnipsel-Aktion“ am 11. November verdammen die Göttinger | |
Wissenschaftler ungeachtet ihrer Klarstellungen nicht: „Handelt es sich | |
hier doch um die Ausübung demokratischer Rechte in einer stets | |
konfliktgeladenen politischen Kultur.“ | |
30 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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