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# taz.de -- Projekte gegen Linksextremismus: Fehlende Grundlage
> Niedersachsens Landesregierung fördert Projekte gegen Linksextremismus
> und beruft sich dabei auf eine Studie, die solche Projekte für unnötig
> hält.
Bild: Nachwuchs für den schwarzen Block möchte die Landesregierung gern verhi…
Hannover taz | Es ist eine seltsam verschwurbelte Ausschreibung, die das
niedersächsische Justizministerium und der Landespräventionsrat
Niedersachsen da am 25. März vom Stapel gelassen haben. 65.000 Euro stellt
das Ministerium zur Verfügung, für „die Entwicklung von wirkungszentrierten
Maßnahmen zur universellen oder spezifischen Prävention von
Linksextremismus und/oder politisch links motivierter Gewalt“.
Und man hat es offenbar eilig, das Geld loszuwerden: Projektanträge müssen
bis zum 15. Mai eingereicht werden, die Projekte selbst sollen dann
zwischen dem 1. Juni und dem 31. Dezember durchgeführt werden. Wobei es
erst einmal nur um die Konzeptentwicklung geht – die praktische Umsetzung
folgt dann frühestens im nächsten Jahr.
Grundlage für den Förderaufruf ist die Studie [1][„Linksextremistische
Erscheinungsformen und insbesondere linke Gewalt in Schleswig-Holstein“],
die der Landespräventionsrat Kiel in Auftrag gegeben hat. [2][][3][An
dieser Studie gab es damals viel Kritik.] 60.000 Euro hatte die
Beratungsfirma Ramboll Management Consulting kassiert. Dafür hat sie die
Daten des Verfassungsschutzes und des kriminalpolizeilichen Meldedienstes
noch einmal ausgewertet, sich die vorhandene Fachliteratur angeguckt, drei
Expert:innen befragt und einen Online-Fragebogen aufgesetzt. Den Fragebogen
verschickte die Consultingagentur großzügig an alle, von denen sie meinte,
sie hätten schon einmal mit Linksextremen zu tun haben können.
Beantwortet wurde der Fragebogen allerdings nur von 73 „Stakeholdern“ wie
das Unternehmen sie nennt. Dabei handelte es sich den Autoren der Studie
zufolge überwiegend um Mitarbeiter:innen in den Kommunen, aus den Bereichen
Bildung, Jugendhilfe und Justizvollzug.
Interessant ist dabei, dass selbst bei den 73 Mitarbeiter:innen aus der
Praxis, die überhaupt antworteten, 86 Prozent sagten, Linksextremismus sei
in ihrem Arbeitsbereich eigentlich irrelevant. 70 Prozent der Befragten
sagten außerdem, sie hätten noch nie Kontakt zum Linksextremismus gehabt.
Einen Bedarf an spezieller Prävention sehen die meisten dementsprechend
nicht.
Das entspricht wiederum dem, was auch die in der Studie zitierten
Expert:innen sagen: „Bezüglich möglicher Präventionsmaßnahmen kommen
Vertreter der Wissenschaft zu dem Schluss, dass es keine speziell auf
Linksextremismus gerichtete Präventionskonzepte benötigt, sondern
phänomenübergreifend oder phänomenunspezifisch gearbeitet werden soll.“ So
steht es auf Seite 47 der Studie.
Aber soweit hat man im Justizministerium vielleicht auch nicht gelesen. Der
Ministeriumssprecher Christian Lauenstein lobt die Studie als „die
aktuellste Zusammenfassung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Prävention
des Linksextremismus, die vorliegt“.
Die Ausschreibung, schreibt Lauenstein auf Anfrage, sei Teil der
längerfristig vorbereiteten [4][Ausweitung der Programme zur
Extremismusprävention], die bereits im Oktober 2018 beschlossen worden sei.
„Dazu gehörte unter anderem die Einbeziehung der Prävention des
Linksextremismus, die in den bisherigen Programmen nicht enthalten war.“
Auch für Projekte zur Prävention von Rechtsextremismus und Antisemitismus
gab es Förderaufrufe.
Das widerspricht nur so ziemlich dem, was die besagte Studie an
Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen formuliert. Die plädiert nämlich
vor allem dafür, die klassische Schulsozialarbeit und Jugendarbeit zu
stärken und in Anti-Mobbing- und Beteiligungsformate zu investieren – statt
eine ideologische Diskussion zu eröffnen.
Rätselhaft bleibt, warum die Landesregierung hier überhaupt so dringenden
Handlungsbedarf erkennen will. Es gibt keinen dramatischen Anstieg bei
linksextremen Straftaten, Niedersachsen hat ein sehr viel größeres Problem
mit Rechtsextremen und Islamist:innen – das wird selbst aus den
Polizeistatistiken und dem Verfassungsschutzbericht deutlich, die selten
auf dem linken Auge blind sind.
## 25.000 Euro gehen an die Uni Osnabrück
Die Grünen hatten die Ausweitung des Extremismusprogrammes deshalb von
Anfang an kritisiert. Julia Hamburg (Grüne) verweist vor allem darauf, dass
die Mittel im Kampf gegen rechts bei Weitem nicht ausreichten: „Die mobile
Beratung braucht deutlich mehr Stellen, um den Bedarf abzudecken, und die
Beratung von Betroffenen rechter Gewalt steht aktuell auch auf der Kippe.“
Möglicherweise hat die Landesregierung das ja aber auch längst eingesehen
und möchte es nur nicht so gern zugeben: Ein Teil der Fördersumme, 25.000
Euro, geht an ein Forschungsprojekt der Uni Osnabrück, das sich mit der
Erforschung von Freundschaften unter Teenagern und ihrer
identitätsstiftenden Wirkung befasst.
Mit dem Rest können bis zu vier Projekte gefördert werden, die für je
15.000 Euro ein Konzept entwickeln, wie man die „positive, auf
demokratisch-freiheitlichen Werten basierende Identitätsentwicklung bei
Jugendlichen“ fördert. Das hilft dann bestimmt gegen rechts und links und
alles andere.
1 May 2020
## LINKS
[1] https://www.landesdemokratiezentrum-sh.de/index/materialien.html
[2] /Studie-zu-Linksextremismus/!5563809
[3] /Studie-zu-Linksextremismus/!5563809
[4] /Niedersachsen-kuerzt-Mittel-gegen-Rechts/!5540799
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Niedersachsen
Prävention
Extremismus
Linksextremismus
Radikale Linke
Rechtsextremismus
Extremismus
Autonome Szene
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