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# taz.de -- Politologe über die Zukunft der SPD: „Opposition allein reicht n…
> Um aus der Krise zu kommen, muss die SPD für sich klären, was noch
> sozialdemokratisch ist, sagt der Politologe Matthias Micus.
Bild: Die SPD nach der Bundestagswahl: Die Luft ist raus
taz: Herr Micus, noch im Frühjahr wurde Martin Schulz von seiner Partei als
neuer Messias gefeiert. Jetzt hat er das schlechteste SPD-Ergebnis der
Nachkriegsgeschichte eingefahren. Was hat er falsch gemacht?
Matthias Micus: Mein Eindruck ist, dass er sich zu sehr von seinen
PR-Beratern im Willy-Brandt-Haus in eine rhetorische Pose hat drängen
lassen, die durchschaubar nicht echt war, sondern antrainiert und
angeeignet gewirkt hat. Schauen Sie sich seine Wahlkampfreden an: Da machte
er Kunstpausen und versuchte den Eindruck zu vermitteln, als würden sich
spontane Emotionen bei ihm aufbauen. Aber das wirkte alles einstudiert und
dadurch wenig glaubhaft. Das ist etwas, was wir gegenwärtig
interessanterweise auch in Österreich beobachten können. Christian Kern
wurde bei seinem Antritt als Bundeskanzler zunächst auch als linker
Hoffnungsträger gefeiert. Aber jetzt hat sich der SPÖ-Chef sichtbar in eine
Rolle hineinpressen lassen, die er als Person nicht naturwüchsig verkörpert
und die ihm nicht liegt. Deshalb wirkt er mittlerweile eher wie ein plumper
Laiendarsteller.
Schulz hatte also nur ein Performanceproblem?
Das Performanceproblem war ein wichtiger Faktor, der mit dazu geführt hat,
dass Schulz so schnell abgestürzt ist und am Ende vielleicht sogar Ballast
für die Partei war. Dazu kommen selbstverständlich viel grundsätzlichere
Fragen. Was man auch bei diesem Wahlkampf wieder sehr stark gesehen hat,
ist die Orientierungslosigkeit der Sozialdemokraten. Es ist diesmal ein
Paradox zu beobachten gewesen: Ab Mai hat die SPD beinahe im Wochentakt
Programmpapiere veröffentlicht und ihre Vorstellungen zu den
unterschiedlichsten Politikbereichen konkretisiert. Das hat sich zuletzt
dahingehend gesteigert, dass sie im Prinzip jedes Thema, das irgendwie
aufkam, versucht hat, aufzugreifen und für sich zu verwerten. Aber eben
durch dieses Themenüberangebot, durch das permanente Hin und Her, wusste
man am Ende überhaupt nicht mehr, wofür Schulz und die SPD nun eigentlich
stehen, was sie wollen. Durch die permanenten Themenschwenks ist der
Eindruck entstanden, sie würden für überhaupt kein Thema mehr richtig
stehen.
Die SPD scheint in einem Dilemma zu stecken: Sie hat in alle Richtungen
verloren, zu fast gleichen Anteilen gingen Stimmen zur AfD, zur FDP und der
Linkspartei, leicht weniger zu den Grünen. Was soll da die SPD machen?
Die Richtungslosigkeit der Wählerabflüsse ist nicht so schwer zu erklären.
Die SPD und ihre Mitglieder und Anhänger sind orientierungslos, sie wissen
nicht mehr, wofür die Sozialdemokratie steht. Welches Ziel will sie
erreichen, auf welchem Weg und für welche Gruppen? Da ist momentan bei der
SPD alles diffus und beliebig. Auch die thematische Betonung ihrer
Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit wirkt nicht überzeugend, weil in diesem
Feld ihr Kurs in den letzten anderthalb Jahrzehnten extrem schwankend war.
Wenn man sich die Zielgruppen anschaut, arbeiten die Sozialdemokraten seit
Jahren mit wechselnden Mitte-Begriffen, von der „linken Mitte“ über die
„solidarische Mitte“ bis zur arbeitenden Mitte. Immer wird darunter nahezu
die gesamte Gesellschaft gefasst, von der Kassiererin bis zum
Familienunternehmer, von der Universitätsprofessorin bis zum Arbeitslosen.
Das ist ein Alles-und-Nichts-Kurs. Im Zuge dieses Bestrebens, im Prinzip in
alle gesellschaftlichen Milieus, so heterogen sie sind, gleichermaßen
auszustrahlen, ist die SPD aber sukzessive eine Weder-noch-Partei geworden,
die in kein Milieu mehr so richtig ausstrahlt und daher auch keine
Bindungswirkung mehr entfaltet. Deshalb verliert sie heute in alle
Richtungen.
Wie könnte die SPD einen Ausweg aus ihrer Krise finden?
Die SPD braucht einen Prozess einer neuen grundsätzlichen
Selbstvergewisserung: Es muss wieder klar werden, was eigentlich noch
sozialdemokratisch ist. Das ist allerdings eine langfristige Aufgabe. Da
muss man erst durch die Mühen der Ebene gehen. Aber es ist der einzige Weg,
wie die Partei auch wieder in die Offensive kommen kann. Wie sieht es denn
derzeit an der Parteibasis aus? Sie ist vollkommen phlegmatisch, nicht
einmal mehr in der Lage zur Artikulation von Frustration, Ärger, Zorn. Die
vorwiegende Gefühlsregung ist deprimiertes Gemurmel. Die SPD kann sich
jedoch nur dann an den Wahlurnen revitalisieren, wenn sie sich vorher
selbst revitalisiert hat. Das gelingt jedoch nicht durch
Präsidiumsbeschlüsse oder voluntaristische Akte an der Parteispitze.
Halten Sie die Entscheidung der SPD, auf keinen Fall wieder in eine
Koalition mit der Union zu gehen, für richtig?
Das ist sicher derzeit nicht verkehrt. Ich halte aber die Erwartungen, die
sich damit verbinden, für illusorisch. Nur weil die SPD in die Opposition
geht, wird es ihr noch nicht besser gehen. Nach drei Wahlen zwischen 20 und
26 Prozent dürfte es keine Alternative dazu geben, dass die SPD an einer
grundsätzlichen Reform der Sozialdemokratie arbeitet. Das dürfte in der
Opposition allenfalls etwas leichter fallen. Vor allem aber muss die Partei
das wollen und mit Ausdauer betreiben.
Nach dem Willen von Martin Schulz soll die bisherige Arbeitsministerin
Andrea Nahles neue Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion werden. Eine
kluge Wahl?
Es ist eine naheliegende Wahl. Die SPD verbindet den Gang in die Opposition
mit der Ankündigung, jetzt klare Kante zeigen zu wollen. Sie will sich
stärker abgrenzen von den sogenannten bürgerlichen Parteien, was ja
zwangsläufig bedeutet, sich wieder stärker links zu profilieren. Insofern
ist jemand wie Andrea Nahles auf dieser Position nicht abwegig. Sie hat
immer noch den Ruf, eine Parteilinke zu sein, und als Arbeitsministerin
setzte sie sozialdemokratische Herzensanliegen um. Was allerdings gegen sie
spricht: Nahles ist kein Zeichen der Erneuerung, weil sie seit zwei
Jahrzehnten in den Spitzengremien der SPD jeden Kurs mitgetragen hat.
Sehen Sie noch eine Perspektive für Martin Schulz als Parteichef?
Wenn die SPD eine selbstbewusste, lebendige Partei mit aktiven Flügeln und
einer diskussionsfreudigen Basis wäre, würde er sich nicht halten können.
Aber weil der Zustand der SPD so ist, wie er ist, glaube ich, dass Martin
Schulz gute Chancen hat, Parteivorsitzender zu bleiben.
27 Sep 2017
## AUTOREN
Pascal Beucker
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