# taz.de -- Porträt Andrea Nahles: Die Anti-Merkel | |
> Andrea Nahles wird Chefin der SPD-Bundestagsfraktion. Fraglich ist, ob | |
> sie in der Opposition das Verhältnis zur Linkspartei entkrampfen kann. | |
Bild: Andrea Nahles gilt auch im Kostüm noch immer als Kämpferin | |
Am Montagabend ist die SPD-Welt wieder in Ordnung. Beim Gartenfest des | |
Seeheimer Kreises moderiert Johannes Kahrs, Chef der SPD-Rechten, launig | |
„das neue Dreamteam der Partei“ an: Martin Schulz, der Parteichef bleibt, | |
und [1][Andrea Nahles, die Fraktionschefin wird]. Schulz witzelt, Nahles | |
sei nicht seine Traumfrau, denn mit der wäre er seit 30 Jahren verheiratet. | |
Aber er würde mit Nahles hervorragend zusammenarbeiten. Friede, Freude, | |
SPD. | |
Die Stimmung ist heiter, etwas zu entspannt [2][für 20 Prozent]. Die | |
Anflüge von Kritik an Nahles sind verflogen. Sie galten ohnehin mehr der | |
Art, wie Schulz diese Personalie verkündet hatte. Von oben. Wie immer. | |
Schulz und Nahles sind die Schlüsselfiguren, die die SPD nach diesem halben | |
Zusammenbruch wieder in die Spur bekommen sollen. Nahles wird die | |
einflussreichste Frau, die es in 154 Jahren Sozialdemokratie je gab. Als | |
Chefin der kleinsten SPD-Bundestagsfraktion, die es je gab. Das klingt nach | |
Modell Trümmerfrau. Irgendjemand muss ja aufräumen, wenn die Jungs die | |
Sache in den Sand gesetzt haben. | |
Andrea Nahles ist 47 Jahre und hat den klassischen Weg einer SPD-Linken | |
hinter sich. Sie war Juso-Chefin, Ziehkind von Oskar Lafontaine, Kritikerin | |
der Agenda 2010. Als Generalsekretärin schlug sie nach 2009 moderate Töne | |
an. Als Arbeitsministerin wandelte sie sich endgültig zur Realpolitikerin, | |
die [3][auf das Machbare zielt]. In der Union redet man anerkennend über | |
die Exfrontfrau der SPD-Linken. Fleißig, gut vorbereitet, zäh, stets mit | |
einem brauchbaren Referentenentwurf bewaffnet, so der Tenor. In | |
Verhandlungen um Geld mit Finanzminister Wolfgang Schäuble habe sie sich | |
tapfer geschlagen. Das gilt als Ausweis echter Professionalität. | |
## Das krawallige Image klebt | |
In Hintergrundgesprächen in Berlin machte sie sich in den letzten vier | |
Jahren eher rar. Und hielt lange ein in der Berliner Politik recht seltenes | |
Schweigegelübde durch. Kein Wort dazu, wie Gabriel die SPD führte, kein | |
freundliches, kein abfälliges. Sie redete lieber diszipliniert über | |
Leiharbeitsverträge oder Betriebsrenten. Das Amt macht die Frau. Dass sie | |
als Ministerin ein Aktivposten war, darüber herrscht Einigkeit von | |
CDU-Konservativen bis zu linken SPDlern. | |
Nahles hat Jeans und Lederjacke längst durch Hosenanzüge ersetzt. Ihr | |
engster Verbündeter in der SPD ist Olaf Scholz, der Law-and-Order-Mann und | |
cleverste SPD-Rechte. Doch den langsamen Wandel der Andrea Nahles haben | |
viele nicht so recht mitbekommen. Irgendwie klebt das Image, sperrig und | |
schwierig zu sein, an ihr. Das Bild der krawalligen Juso-Chefin ist | |
langlebig. | |
Juni 2017. SPD Parteizentrale, Willy Brandt Haus. Nahles präsentiert das | |
Rentenkonzept für den SPD-Wahlkampf. Es ist ein typischer Auftritt, sie | |
kennt Fakten und Details. Als ihr die Frage eines Journalisten nicht | |
gefällt, rollt sie mit den Augen und signalisiert unübersehbar, dass sie es | |
für eine Zumutung hält, sich so einen Unfug anhören zu müssen. Sie gibt | |
überhaupt schnell mimisch zu verstehen, wenn ihr etwas nicht passt. Sie | |
lacht oft und laut, manchmal um Empörung auszudrücken. Es ist ein Lachen, | |
das irritiert. | |
Nahles, Arbeiterkind aus der Eifel, polarisiert. Sie ist, als Politikerin, | |
der Gegentypus zu Angela Merkel, die das Sachliche, Zurückgenommene, | |
Leidenschaftslose kultiviert hat. Nahles wirkt emotional, direkt, | |
unverstellt. Und schnell schroff. In der SPD fällt auch bei Genossen, die | |
sie sehr schätzen, das Wort derb. | |
## Sie hat gelernt, ihre Truppen zu sammeln | |
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kennt die neue Führungskraft | |
lange. „Sie ist ein Vollprofi“, sagt Lauterbach. Die neue Chefin denke | |
strategisch, sei offen für Beratung, verfüge über Drähte zur Parteilinken | |
und -rechten und habe Ministererfahrung. Dass endlich eine Frau zum Zug | |
kommt, finden viele in der Fraktion überfällig. „Ein Glücksfall“, so | |
Lauterbach. Und: „Sie hat das Emotionale deutlich reduziert.“ | |
Es gibt allerdings auch SPD-Linke, die der Aussicht auf die neue Chefin | |
weniger euphorisch entgegenblicken. Das werde stressig, weil Nahles Kritik | |
schnell als feindseligen Akt empfinde. Das sei typisch für Juso-Karrieren. | |
Die SPD-Nachwuchsorganisation sei das Trainingscamp, um Machttechniken | |
einzuüben. Dort habe Nahles gelernt, wie man die eigenen Truppen sammelt | |
und Loyalitäten schafft – und allen, die nicht zum eigenen Club gehören, zu | |
misstrauen. | |
Wenn man diese Bilder nebeneinanderhält, sieht man ein Wackelbild. Auf der | |
einen Seite eine freundliche, offene, kluge, wandlungsfähige Politikerin, | |
auf der anderen eine ehrgeizige, misstrauische Machtfrau, die nach oben | |
will. Und zwar nach ganz oben – ins Bundeskanzleramt. Als sie 19 war, gab | |
sie als Berufswunsch in der Schülerzeitung an: Hausfrau oder | |
Bundeskanzlerin. Das war, wie manche sagen, die sie gut kennen, mehr als | |
ein Scherz. | |
Als Fraktionschefin muss Nahles jetzt in die erste Reihe. Interessant wird, | |
wie sie mit der Linksfraktion und Sahra Wagenknecht klarkommt. Die dringend | |
nötige Entkrampfung ist möglich, aber nicht selbstverständlich. Kürzlich | |
attackierte sie beherzt „Wagenknechts Talkshow-Sozialismus“ – was eine | |
doppelte Aversion ausdrückte: die gegen den Linkspartei-Verbalradikalismus | |
und die Talkshow-Republik, in der Performance mehr zählt als Fakten. | |
## Mehr Talkshows, mehr verkaufen | |
Nahles wird, falls die Union mit Grünen und FDP regiert, als | |
Oppositionsführerin Merkel Kontra geben. Das wird der geübten Rednerin | |
leicht fallen. Doch sie muss auch außerhalb des Bundestages mehr in die | |
Öffentlichkeit drängen. Also dorthin, wo sie noch immer als die | |
Komplizierte gilt, die mit ihren herben Auftritten Widerstände mobilisiert. | |
Dorthin, wo sie als Krawallschachtel gilt. Dorthin, wo ihr Journalisten | |
dümmliche und unverschämte Frage stellen. | |
Sie wird mehr in Talkshows auftreten, wo es gilt, sich unter Kontrolle zu | |
haben und gut zu verkaufen. Und sie wird mehr in sozialen Medien unterwegs | |
sein, gegen die sie eine sympathisch altmodische Aversion pflegt. | |
Im Werbesprech heißt das: Andrea Nahles müsste sich neu erfinden. Das wird | |
sie nicht. Das hat sie noch nie gemacht. | |
27 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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