# taz.de -- Sicherheit und Persönlichkeitsrechte: Härter, schärfer, weiter | |
> Union und SPD fordern Law & Order, dabei wurden in der letzten | |
> Legislaturperiode Sicherheitsmaßnahmen drastisch ausgeweitet. Eine | |
> traurige Bilanz. | |
Bild: Dunkle Bedrohung? Videokameras überwachen auch die, die selbst keinen An… | |
München taz | Am Donnerstagnachmittag reiste Thomas de Maizière eigens nach | |
München. Die neue „Zentrale Stelle für Informationstechnik im | |
Sicherheitsbereich“ (Zitis) inspizierte der Bundesinnenminister. Schon seit | |
Wochen preist der CDU-Mann deren „große Bedeutung“. Tatsächlich wird Zitis | |
ein Novum: Erstmals will der Bund dort selbst Instrumente entwickeln, um | |
verschlüsselte Kommunikation zu knacken. | |
Die Terroranschläge im vergangenen Jahr hätten die Sicherheitsbehörden auch | |
vor „technische Herausforderungen“ gestellt, sagt de Maizière. Eine davon: | |
das verschlüsselte Kommunizieren von Verdächtigen etwa über Whatsapp oder | |
Telegram. Bis zu 400 Experten sollen bei Zitis nun für Polizei und | |
Verfassungsschutz Techniken zur Entschlüsselung von Chats und zur | |
Überwachung von Massendaten entwickeln. Problem nur: Bisher hat die Behörde | |
laut Bundesinnenministerium nur 17 Mitarbeiter gefunden. | |
Die Opposition übt auch so heftige Kritik. Einen „Frontalangriff auf die | |
Integrität und Vertraulichkeit digitaler Kommunikation“ nennen die Grünen | |
Zitis. Auch „Reporter ohne Grenzen“ spricht von einem „Paradigmenwechsel�… | |
„Weil der Staat erstmals systematisch Kommunikation und Endgeräte angreifen | |
wird.“ | |
Indes: Zitis bildet nur den Endpunkt einer ganzen Reihe von | |
Überwachungsmaßnahmen, welche die Bundesregierung in der vergangenen | |
Legislaturperiode auf den Weg brachte. Im folgenden eine Bilanz, eine | |
traurige. | |
## Gesichtserkennung via Kamera | |
Es ist der jüngste Streich. Seit August läuft am Berliner Bahnhof Südkreuz | |
ein Probebetrieb: Ein halbes Jahr werden Softwares getestet, die mit | |
Überwachungskameras Gesichter automatisch erkennen sollen – vorerst nur von | |
Testpersonen, die ihre Fotos freiwillig für eine Datenbank übergeben haben. | |
„Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein“, sagt Bundesinnenminister | |
Thomas de Maizière (CDU). Man teste, „was auf der Grundlage der heute | |
vorhandenen Technik möglich ist“. | |
Inzwischen gibt es breite Kritik. Offen ist auch, ob die Transponder der | |
Teilnehmer nicht noch mehr Daten erheben als bekannt. Die | |
Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff fordert, das Projekt | |
auszusetzen. Und warnt: Werde die Gesichtserkennung flächendeckend | |
eingesetzt, stelle das einen „erheblichen Grundrechtseingriff“ dar. | |
## Staatstrojaner | |
Der Beschluss kam im Hauruckverfahren: Seit Juli darf die Polizei verdeckt | |
ein Spähprogramm, den „Staatstrojaner“, auf Computer oder Smartphones | |
installieren, um so Kommunikation abzufangen, bevor sie verschlüsselt wird, | |
etwa via WhatsApp. Bei einer Onlinedurchsuchung darf der Trojaner noch | |
mehr: Die Polizei kann den gesamten Inhalt einer Festplatte ausforschen. | |
Bei Terrorverdacht war der Polizei das auch vorher schon gestattet, nun | |
gilt es auch bei Mord oder Raub, bei der Entschlüsselung auch schon bei | |
Drogendelikten oder Steuerhinterziehung. | |
Noch aber besteht kaum Gefahr: Die Ermittler bekommen den Trojaner | |
technisch nicht hin. Die Datenschutzinitiative „Digitalcourage“ hat bereits | |
eine Verfassungsbeschwerde gegen die Maßnahmen angekündigt: Der Eingriff in | |
die Grundrechte sei unverhältnismäßig, das Gesetz sei „klar | |
verfassungswidrig“. | |
## Neuer BKA-Datenpool | |
Als „Zeitenwende“ lobt de Maizière das neue BKA-Gesetz. Damit wird die | |
Polizei-IT grundsätzlich modernisiert. Künftig gibt es nun aber auch eine | |
zentrale Datenbank, in der – vom Mörder bis zum Fahrraddieb – alle | |
Tatverdächtigen und Delikte erfasst sind und auf die alle Ermittler Zugriff | |
haben. Vom „Ende des polizeilichen Datenschutzes“ sprechen die Grünen. | |
## Fußfessel für Gefährder | |
Auch das ist Teil des neuen BKA-Gesetzes: Gefährdern und verurteilten | |
Extremisten können künftig elektronische Fußfesseln angelegt werden, um | |
ihre Aufenthaltsorte zu kontrollieren. Nötig sind dafür eine richterliche | |
Anordnung und Hinweise, die Person könnte einen Anschlag begehen. Das | |
Problem: Wer Gefährder ist, legt die Polizei für sich fest, eine klare | |
Definition gibt es nicht. | |
Und Straftaten muss dieser bisher auch nicht begangen haben – ein Verdacht | |
genügt. Bisher werden alle Gefährder allerdings von den Ländern beobachtet: | |
Das Bundesgesetz hat praktisch also bisher keine Auswirkung. Einige Länder | |
wollen die Fußfessel aber nun ebenfalls einführen. | |
## Speicherung von Fluggastdaten | |
Ab Mai 2018 soll es losgehen: Dann sind Airlines verpflichtet, von ihren | |
Passagieren für sechs Monate die Namen, Kreditkartennummern, Gepäckstücke, | |
Mitreisende oder auch den Essenswunsch an das BKA weiterzuleiten. Danach | |
werden diese Daten anonymisiert und weitere fünf Jahre gespeichert. Wie | |
genau damit Terroristen und Kriminelle erkannt werden sollen, ist offen. | |
De Maizière hatte das Projekt lange gefordert, Ende April verabschiedete es | |
der Bundestag. Damit setzt Deutschland mit als erstes eine entsprechende | |
EU-Richtlinie um. Ob sie wirklich kommt, ist ungewiss: Erst kürzlich kippte | |
der Europäische Gerichtshof die Weitergabe von Fluggastdaten der EU an | |
Kanada. | |
## Kameras für Polizisten | |
Demnächst können Bundespolizisten mit Schulterkameras auf Streife gehen: | |
den Bodycams. Die Kameras werden an der Uniform getragen, sie sollen | |
Straftäter filmen und abschrecken. Einige Länder erproben die Bodycams | |
bereits. Datenschützer sind nicht begeistert: Die Kameras stellten einen | |
„nicht unerheblichen Eingriff“ in das Recht der Bürger auf informationelle | |
Selbstbestimmung dar, so etwa die NRW-Datenschutzbeauftragte. | |
## Mehr Videokameras im öffentlichen Raum | |
Im März beschloss der Bundestag: Künftig sollen private Einkaufszentren, | |
Sportarenen oder öffentliche Anlagen mit Kameras überwacht werden. Zwar | |
dürfen Datenschutzbehörden dies auch weiterhin prüfen, allerdings müssen | |
sie nun „Sicherheitsbelange in ihrer Abwägung stärker berücksichtigen“. | |
Diese gelten jetzt „als besonders wichtiges Interesse“. Der Richterbund hat | |
Bedenken: Mit der Maßnahme würden „ganz überwiegend Personen überwacht, d… | |
selbst keinen Anlass dafür geben“. Durch immer mehr Kameras entstehe ein | |
„diffuses Gefühl des permanenten Überwachtwerdens“. | |
## Kennzeichenlesesysteme | |
Auch das darf die Bundespolizei jetzt: Nummernschilder von Autos auf | |
Autobahnen automatisch erfassen. Die Fahndung nach über die Grenzen hinweg | |
aktiven Kriminellen soll so verbessert werden, heißt es im | |
Bundesinnenministerium. Stattfinden soll sie nur „anlassbezogen“: Wenn es | |
Straftaten gab oder „erhebliche Gefahren für Leib und Leben“ zu befürchten | |
seien. | |
## Vorratsdatenspeicherung | |
Es ist fast schon vergessen: Bereits 2015 beschloss die GroKo die | |
Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die SPD hatte sich lange | |
dagegen gesträubt, dann knickte sie ein. Zehn Wochen lang soll nun | |
gespeichert werden, wer wann mit wem wie lange telefonierte oder SMS | |
schrieb. Die Standortdaten von Handygesprächen sollen für vier Wochen | |
aufbewahrt werden. | |
Im Juli sollte das große Speichern eigentlich losgehen. Dann aber erklärte | |
das Oberverwaltungsgericht Münster die Vorratsdatenspeicherung als | |
unvereinbar mit EU-Recht. Die Bundesnetzagentur setzte den Speicherzwang | |
für die Internet- und Telefonanbieter daraufhin aus. Die Opposition fordert | |
nun die Vorratsdatenspeicherung „ein für alle Mal zu beerdigen“. | |
15 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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