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# taz.de -- CDU-Politiker Wolfgang Schäuble: Der ewige Minister
> Wolfgang Schäuble wird in Europa gefürchtet, in Deutschland aber geliebt.
> Die Zuneigung ist jetzt, zu seinem 75. Geburtstag, größer denn je.
Bild: Wie weiter? SPD und FDP schielen auf Wolfgang Schäubles Amt
Berlin/Hannover taz | Als der Abend zu Ende geht, hört Wolfgang Schäuble,
dass er weitermachen wird. Der CDU-Kreisvorsitzende Dirk Toepffer erzählt
es ihm in seinem Schlusswort. Am Nachmittag, berichtet Toepffer, war er
noch im Umland: Betriebsbesichtigung in einer Lastwagenwerkstatt mit
Rundgang und warmen Buffet.
Das Essen musste er aber stehenlassen, weil der Bundesfinanzminister, der
ja extra zum Wahlkampfabend nach Hannover gereist war, jetzt dort wartete
und er, der Kreisvorsitzende eben dort das Schlusswort halten sollte. „Ich
muss wirklich los, ich muss den Schäuble verabschieden“, habe er dem
Werkstattchef also gesagt. Der habe den Kopf schief gelegt und gefragt:
„Wieso? Hört er denn auf?“
Das Publikum im Saal lacht an dieser Stelle. Als es sich wieder beruhigt
hat, ruft der Kreisvorsitzende: „Nach allem, was ich heute gehört habe,
kann ich sagen: Nein, noch lange nicht!“
Wolfgang Schäuble kommt gut an, jetzt, wo er 75 Jahre alt wird. Besser als
je zuvor. Der Finanzminister knurrt und grummelt und wird doch immer
beliebter. Während des Wahlkampfs gaben in einer ARD-Umfrage 70 Prozent der
Befragten an, mit seiner Arbeit zufrieden zu sein – so viele wie nie zuvor
in seiner jahrzehntelangen Karriere.
## Das Wort „ich“ fällt nicht
Die CDU schätzt ihn als Patron des konservativen Flügels, der trotzdem
loyal zur Kanzlerin steht. Kein anderer Minister der Union hat ein größeres
Standing als Schäuble. Aber heißt das wirklich, dass er nach der Wahl
weitermacht?
Es ist Ende August, als der Finanzminister vor geladenen Parteigästen in
Hannover spricht. Eine Stunde solo, drei Minuten Applaus, danach noch eine
halbe Stunde Fragen aus dem Publikum. Schäuble verteidigt seine
Sparpolitik, spottet über Martin Schulz und fordert mehr Härte in der
Asylpolitik. Spricht er über die Zukunft, beginnen seiner Sätze mit „Wir
müssen“ und „Wir werden“. Das Wort „Ich“ fällt dagegen nicht.
Der CDU-Politiker spricht in diesem Wahlkampf nicht über seine Zukunft. Das
könnte daran liegen, dass er am Montag vor der Wahl 75 wird und so langsam
kürzer treten möchte. Noch viel eher könnte es aber daran liegen, dass in
der Frage nach dem nächsten Finanzminister auch die künftigen
Koalitionspartner mitreden möchten. Im Moment kommen SPD, FDP und Grüne als
Juniorpartner der Union infrage. Zwei der drei Parteien interessieren sich
für das Finanzministerium.
Die FDP wirbt im Wahlprogramm mit Steuersenkungen im Gegenwert von 30
Milliarden Euro und könnte das am ehesten mit einem eigenen Finanzminister
umsetzen. In Interviews hat sich Parteivize Wolfgang Kubicki bereits ganz
offen um den Posten beworben.
## Grüne wollen lieber mit Kernthemen punkten
Die SPD hatte schon 2013 auf das Ressort geschielt. Während der
Koalitionsverhandlungen rieten einflussreiche Sozialdemokraten ihrem
Parteichef Sigmar Gabriel, das Finanzministerium zu übernehmen. Steuern,
Haushalt, Euro: Der Finanzminister redet überall mit. Am Ende entschied
sich Gabriel dann doch für das Wirtschaftsministerium, weil er davon
ausging, sich dort stärker profilieren zu können. Heute halten das viele in
der Partei für einen Fehler, vielleicht sogar Gabriel selbst.
Nur die Grünen zeigen wenig Interesse an Schäubles Job. Vor der letzten
Bundestagswahl hatte Spitzenkandidat Jürgen Trittin noch mit einem eigenen
Steuerkonzept geworben. Nach den 8,4 Prozent will das aktuelle
Spitzenpersonal lieber mit den grünen Kernthemen punkten.
Als Cem Özdemir am vergangenen Sonntag mit Wolfgang Schäuble bei Anne Will
saß, dozierte er über Kohlekraftwerke und den Dieselskandal. Um 22.05 Uhr
stritt er kurz mit Schäuble über die Investitionspolitik der CDU. Um 22.07
Uhr waren die beiden dann wieder beim Verbrennungsmotor.
Der rechte Parteiflügel wäre in einer Koalition mit der Union offenbar
bereit, Schäuble als Finanzminister zu schlucken. Mit dem linken Flügel
gäbe es dann aber Probleme. „Unser Europa kann sich Schäuble nicht mehr
leisten. Die Austeritätspolitik und sein Versuch, Griechenland aus dem Euro
zu werfen, haben Europa gespalten“, sagt zum Beispiel der Abgeordnete Sven
Kindler, bei den Grünen für die Haushaltspolitik zuständig. Schäuble stehe
für deutsche Dominanz, „Germany first“ dürfe aber nicht länger das Leitb…
der Regierung sein.
## Erstmals Schuldenerleichterung für Griechenland?
Gerade in der Europolitik schlummern die Konflikte. Der Höhepunkt der Krise
ist überwunden, vorbei ist sie deshalb aber nicht. Sie wird auch die
nächste Bundesregierung beschäftigen – zumal nach der Wahl zentrale
Entscheidungen anstehen.
Sie muss zum Beispiel entscheiden, ob Europa den Griechen erstmals eine
Schuldenerleichterung gewährt. Der Internationale Währungsfonds (IWF)
fordert seit Jahren eine solche Erleichterung. Als Athen im Juli dringend
neues Geld benötigte, machte der IWF sie sogar zur Bedingung für die
Beteiligung am nächsten Hilfskredit. Aber Schäuble blieb stur und setzte
sich in den Verhandlungen durch: Über die Schuldenerleichterung werden EU
und IWF erst im nächsten Jahr entscheiden – nach dem Wahlkampf.
Wie sich die neue Bundesregierung dann verhält? Geht es nach Schäuble,
bleibt sie wohl hart. „Ich habe in Griechenland zeitweise ein paar
Sympathiepunkte verloren“, sagt der Finanzminister in Hannover. Das mache
aber nichts: Die Hauptsache sei, dass sich das Land so langsam erhole. „Das
wäre nicht geschehen, wenn sie nicht die Reformen gemacht hätten, zu denen
wir sie gedrängt haben. Und deswegen muss das in Europa so bleiben!“ Nach
einem Schuldenschnitt klingt das nicht.
FDP, Grüne und SPD sind hingegen für Schuldenerleichterungen – das aber in
grundverschiedenen Abstufungen. Die Liberalen wollen, dass Griechenland im
Gegenzug aus dem Euro austritt. Im Wahlprogramm fordern sie die Einführung
eines „geregelten Austrittsverfahrens“. Die Grünen fahren das Thema klein
und kritisieren im Wahlprogramm nur, dass die Große Koalition
„Erleichterungen für Griechenland behindert“ habe.
## Sozialdemokraten vermeiden G-Wort
Die Sozialdemokraten wiederum sind eigentlich für Schuldenerleichterungen,
haben das G-Wort in ihrem Wahlprogramm aber komplett vermieden. Auf einer
Linie liegen also weder Groko noch Jamaika. Fragt sich nur, wie wichtig die
Parteien das Thema in den Koalitionsverhandlungen nehmen.
Das gilt auch für ein zweites Thema: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
wirbt für einen Umbau der Eurozone. Sie soll ein eigenes,
milliardenschweres Budget für Investitionen bekommen, die ein
Euro-Finanzminister verteilt, den ein Euro-Parlament kontrolliert. Mit
Details zu seinem Vorschlag wartet Macron freundlicherweise bis nach der
Wahl in Deutschland. Entsprechend kurz kommt das Thema im
Bundestagswahlkampf.
Die SPD fordert im Wahlprogramm ebenfalls ein Eurobudget mit
„Wirtschaftsregierung für den Euroraum“ und eigenem Parlament. Die Union
ist mittlerweile nachgezogen: Angela Merkel kann sich grundsätzlich einen
Euro-Finanzminister und ein Eurobudget vorstellen, wenn auch „erst einmal
mit kleinen Beträgen“.
Als Merkel das im August auf der Bundespressekonferenz verkündete, warnte
FDP-Chef Christian Lindner sofort per Twitter, dass die Kanzlerin mit
„#Macron Umbau Währungsunion“ vorbereite und auf die Euro-Vertragsregeln
pfeife. Und die Grünen? Wollen einen „ökologisch-sozialen Zukunftsfonds“,
allerdings nicht als eigenes Eurozonenbudget, sondern im Rahmen des
EU-Haushalts. Fonds ist nicht gleich Fonds, hier kommt es in der nächsten
Bundesregierung auf die Details an.
## Wer wird Draghis Nachfolger?
Und dann wäre in der nächsten Legislaturperiode auch noch ein Posten in
Europa zu vergeben: Die Amtszeit von Mario Draghi, dem Chef der
Europäischen Zentralbank (EZB), endet 2019. Der Italiener stabilisierte
den Euro durch Zinssenkungen und den Ankauf von Staatsanleihen. Eine
lockere Geldpolitik, die in Berlin nicht alle gut finden.
Als Nachfolger des Italieners kommt Bundesbankchef Jens Weidmann infrage –
als Anhänger der harten Geldpolitik ein Gegenstück zu Draghi.
Sozialdemokraten und Grüne brennen nicht gerade für Weidmann, die Union hat
über den Spiegel aber schon vor Wochen lanciert, dass Merkel und Schäuble
fest entschlossen seien, ihn durchzusetzen.
Die Personalie würde ins Konzept des Finanzministers passen. Am
Wahlkampfabend in Hannover, kurz vor dem Schlusswort des Kreisvorsitzenden,
fragt eine Zuhörerin, wann die Zinsen endlich wieder hochgehen und sich das
Sparen für die Menschen wieder lohne. Schäuble beruhigt die Frau: Das
Schlimmste sei überstanden. Der Spielraum der Zentralbank werde wieder
größer. „Die EZB“, sagt der Finanzminister, „kann langsam wieder zu ein…
normalen Geldpolitik zurückkehren.“
18 Sep 2017
## AUTOREN
Tobias Schulze
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