# taz.de -- EuGH begrenzt Fluggastdaten: Schwere Eingriffe ins Grundrecht | |
> Die Vorratsdatenspeicherung für Fluggäste wird verkürzt. Die Auswertung | |
> muss sich laut EuGH künftig auf Terror und schwere Kriminalität | |
> beschränken. | |
Bild: Pro Fluggast werden derzeit bis zu 19 Datengruppen erfasst – zum Beispi… | |
Karlsruhe taz | Die europaweit geltende anlasslose Speicherung von | |
[1][Fluggastdaten muss deutlich beschränkt] werden. Das hat der Europäische | |
Gerichtshof (EuGH) auf eine Vorlage des belgischen Verfassungsgerichtshofs | |
entschieden. Betroffen ist auch das deutsche Fluggastdatengesetz von 2017. | |
Pro Fluggast werden derzeit bis zu 19 Datengruppen erfasst und gespeichert: | |
zum Beispiel Reiseziel, Reisepartner, Telefon, E-Mail-Adresse, Kontodaten | |
und Sonderwünsche beim Essen. Diese Daten werden fünf Jahre lang | |
gespeichert. Nach sechs Monaten werden die Daten zwar „depersonalisiert“, | |
so dass sie nicht mehr einer konkreten Person zugeordnet werden können. Bei | |
Bedarf kann dies allerdings (nach richterlicher Genehmigung) wieder | |
rückgängig gemacht werden. | |
Die Speicherpflicht geht auf eine 2016 beschlossene [2][EU-Richtlinie] | |
(PNR-Richtlinie) zurück. Allerdings geht das deutsche Gesetz noch über das | |
von der EU geforderte Minimum hinaus. Erfasst werden nicht nur alle Flüge | |
in die EU oder aus der EU heraus, sondern auch alle Flüge zwischen | |
EU-Staaten. Nur bei rein innerstaatlichen Flüge (etwa von München nach | |
Hamburg) sollen die Passagierdaten nicht gespeichert werden. | |
## System kontinuierlicher Überwachung | |
Die Fluggastdaten werden zum einen mit Fahndungsdateien wie Inpol und SIS | |
(Schengener Informationssystem) abgeglichen. Mit den Daten sollen aber auch | |
bisher unbekannte Straftäter anhand bestimmter „Muster“ erkannt werden. Wer | |
zum Beispiel die gleichen Reiserouten nutzt wie Drogenkuriere und sich auch | |
sonst wie ein Drogenkurier verhält, muss mit einer individuellen | |
Überprüfung rechnen. Für die Auswertung ist in Deutschland das | |
Bundeskriminalamt zuständig. | |
Der EuGH stellte nun fest, dass die EU-Richtlinie ein „System | |
kontinuierlicher, nicht zielgerichteter und systematischer Überwachung“ | |
schafft. Es gehe hier um „fraglos schwerwiegende Eingriffe“ in die | |
Grundrechte der Flugreisenden, so der unmissverständliche Kommentar. Die | |
Richtlinie sei nur dann mit EU-Recht vereinbar, wenn sie „eng ausgelegt“ | |
und die Befugnisse der Behörden auf das „absolut Notwendige“ begrenzt | |
werden, betont der EuGH. | |
So darf bei der Auswertung der gespeicherten Fluggastdaten keine künstliche | |
Intelligenz im Rahmen maschinell lernender Systeme mehr eingesetzt werden, | |
wenn sie nicht menschlich gesteuert und kontrolliert wird. Der EuGH sieht | |
die Gefahr, dass die so entstehenden Algorithmen zu vielen | |
Falschverdächtigungen führen. In den Jahren 2018 und 2019 waren immerhin | |
fünf von sechs Treffern „falsch positiv“, führten also zu einem falschen | |
Verdacht. Deshalb müssten auch sonst alle Treffer aus der Mustererkennung | |
sorgfältig daraufhin überprüft werden, so der EuGH, ob hier wirklich | |
verdächtiges Verhalten entdeckt wurde. | |
## Datenauswertung auf Terror und Kriminalität beschränken | |
Außerdem sollen die Fluggastdaten nicht mehr fünf Jahre gespeichert werden, | |
sondern nur noch sechs Monate. Nur wenn jemand bei den Überprüfungen | |
aufgefallen ist, soll eine längere Speicherung der Daten möglich sein. | |
Die Auswertung der Daten muss sich künftig auf Terror und auf schwere | |
Kriminalität beschränken, die mit dem Flugverkehr zu tun hat, etwa | |
Flugzeugentführungen. Dagegen sind Ermittlungen wegen vieler anderer | |
Delikte wie Mord, Vergewaltigung und Umweltkriminalität nicht mehr möglich. | |
Die Fluggastdaten dürfen auch nicht zu ganz anderen Zwecken, wie | |
verbesserten Grenzkontrollen, genutzt werden. | |
Und schließlich sollen die Fluggastdaten auf Inner-EU-Flügen nur noch | |
ausnahmsweise vorsorglich gespeichert werden, insbesondere wenn es eine | |
akute terroristische Bedrohung gibt. | |
Das EuGH-Urteil begrenzt zwar die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten | |
spürbar, diese bleibt aber grundsätzlich bestehen. Der EuGH hält sogar eine | |
Vorratsdatenspeicherung für Bahn- und Schiffsreisen für möglich – aber | |
natürlich nur, wenn sie sich auf das absolut Notwendige beschränkt. Das | |
Urteil betrifft die Auslegung der EU-Richtlinie, hat also Bedeutung für die | |
gesamte EU. Allerdings wurde beim EuGH noch nicht über anhängige Vorlagen | |
des Verwaltungsgerichts Wiesbaden zur Fluggastdatenspeicherung entschieden. | |
21 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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