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# taz.de -- Debatte um „toxische Männlichkeit“: Problematische Kerle
> Ob bei Protesten, Parties oder Fußballspielen: Gewalt geht überwiegend
> von Typen aus. In Bezug auf Hamburg führt die Diskussion aber auf ein
> Nebengleis.
Bild: Die Inszenierung unangenehmer Maskulinität erklärt nicht alles, was in …
Junge Männer mit entblößten Oberkörpern stürmen wie von Sinnen einer Wand
von Polizisten entgegen. Junge Männer mit wutverzerrten Gesichtern
schmeißen mit Flaschen, Steinen, Gehwegplatten. Junge Männer treten, völlig
enthemmt und aus vollem Halse Beschimpfungen brüllend, gegen
Schaufensterscheiben, fackeln Autos ab, plündern Läden.
Man muss nicht dabei gewesen sein in Hamburg, es reicht, Videoaufnahmen und
Fotos zu betrachten, um feststellen zu können: Bei den Hamburger
G20-Krawallen lag, übrigens auch bei prügelnden Polizeibeamten, verdammt
viel Testosteron in der Luft. Das Sexualhormon also, dem, besonders in
Verbindung mit einem in Stresssituationen erhöhten Kortisonspiegel, eine
aggressivitätsfördernde Wirkung nachgesagt wird: Imponiergehabe,
Kampfverhalten, übersteigerte Risikobereitschaft bei verringertem
Schmerzempfinden und herabgesetzter Empathie gegenüber Mitmenschen.
Na, woran erinnert uns das? An so ziemlich jedes andere Ritual enthemmter
Jungmännlichkeit. Zum Beispiel an Hooligankrawalle während und am Rande von
Fußballspielen. An gewalttätige Neonaziaufmärsche. An Straßenschlachten und
Schlägereien vor Clubs oder am Rande von Straßenfesten.
Wo auch immer Gewalt und Aggressivität in der Öffentlichkeit zum Problem
werden: Stets sind es Gruppen junger Männer, die dabei besonders im
Mittelpunkt stehen. Die Kölner Silvesternacht, in der Frauen von
Männerhorden begrabscht und durch die Straßen gehetzt wurden, ist
unvergessen. Auch in Hamburg geriet der Straßenprotest zu einer
Inszenierung unangenehmer Maskulinität. Unter den mit Sonnenbrillen und
schwarzen Kapuzen vermummten Gestalten waren zwar auch einige als Frauen zu
erkennen – und es gibt auch Bilder von sehr jungen Frauen, die Barrikaden
bauen. Die in Hamburg bisher festgenommenen Krawallmacher sind allerdings
laut Behörden in ihrer überwiegenden Mehrheit junge bis sehr junge Männer
vom Schulalter an bis um die 30.
## Gibt es ein Problem mit jungen Männern?
Hat unsere Gesellschaft also ein Problem mit jungen Männern? Oder vielmehr
mit dem, was der britische Autor Jack Urwin in einem vielbeachteten Buch
„toxische Männlichkeit“ genannt hat – und damit einen Modebegriff geprä…
hat? Toxische Männlichkeit, die Urwin vor allem in der sogenannten
Lad-Kultur der britischen Postarbeiterklasse verortet, äußert sich vor
allem in Sprachlosigkeit, Gewalt und auch einer gehörigen Portion
unreflektierten und verantwortungslosen Verhaltens.
Als besonders krasses Beispiel zieht Urwin seinen eigenen Vater heran: Der
starb 51-jährig allein im Bad an einem Herzinfarkt – seiner Familie hatte
er zuvor nie von seinen Herzproblemen erzählt und auch beim Arzt war er nie
gewesen: Er hatte es vorgezogen, sich selbst zu behandeln. Mit rezeptfreien
Pillen und jeder Menge Alkohol. Folgerichtig, irgendwie, dass der Sohn
dieses Vaters auch unfähig war, zu trauern und lieber den witzigen Macker
raushängen ließ, Alkohol und Beziehungsunfähigkeit inklusive – bis zum
Zusammenbruch. Urwins Aussteigerbericht namens „Boys don’t cry“ fand auch
in Deutschland so viele LeserInnen, weil er ein Phänomen beschreibt, das
universell scheint.
Selbst in modernen demokratischen Gesellschaften, in denen
Geschlechterrollen scheinbar fluider sind als noch vor einer Generation,
hält sich noch immer hartnäckig ein Bild von Männlichkeit, das aus einem
Zeitalter stammt, in dem Männer noch ihre Körperkraft in Minen verkauften
und damit die Familie ernährten: Ein Mann hat stark, mutig, ja sogar
aggressiv zu sein, er redet nicht über seine Gefühle und braucht keine
Hilfe.
Und um sich stark zu fühlen, braucht er vor allem das Publikum anderer
Männer. Und je riskanter und zerstörerischer eine Aktion vor diesem
Publikum ausfällt, desto größer fällt der Applaus aus – desto größer si…
aber die gefährlichen Folgen für unbeteiligte Dritte und die unmittelbare
Umgebung.
Männer begehen – und das ist jetzt keine Modediagnose, sondern
Kriminalstatistik – den Löwenanteil an sämtlichen Gewalttaten, von
häuslicher Gewalt über Körperverletzung und Sexualstraftaten bis zum Mord
oder Amoklauf. Die Männergewalt schadet auch den Männern selbst, wie Urwin
aufzeigt: Sie begehen viel häufiger Selbstmord als Frauen, sterben früher.
## Nicht so einfach
Lassen sich auch die Gruppenausschreitungen in Hamburg als Aufführung eines
toxischen Rituals lesen? Zusammen Steine schmeißen – und nach geschlagener
Schlacht reißt man sich das durchgeschwitzte Shirt vom Leib und ext
zusammen ein paar Bier, getragen vom Hochgefühl der eigenen Männlichkeit?
Oberflächlich betrachtet, hat das Erklärungsmodell „toxische Männlichkeit�…
einigen Charme. Damit lassen sich viele unfassbare Phänomene unserer Zeit
in einen Rahmen fassen, von den sinnlosen Gewaltorgien auf der Schanze bis
zur durch und durch toxischen Politik eines Donald Trump: Alles
fehlgeleitete Mannsbilder. Wenn die sich mal ihr Gender mainstreamen lassen
würden, wäre die Welt ein besserer Ort.
Doch so einfach ist es natürlich nicht. Ja, wir leben in einer patriarchal
geprägten Welt. Und, ja, Männergewalt ist in allen Bereichen der
Gesellschaft ein Problem. Aber jetzt alle Probleme dafür, was in Hamburg
schief gelaufen ist, den weißen Cis-Männern – seien sie aus Hamburg, oder
aus Berlin oder dem Baskenland angereist – anzulasten, ist viel zu einfach.
Dann nämlich müssten sich Frauen, Schwule, Lesben und Transpersonen aus der
Szene nicht mehr damit beschäftigen, was in Hamburg alles schief gelaufen
ist. Warum kleine Läden brannten, und den AnwohnerInnen, mit denen man sich
doch eigentlich solidarisieren wollte, der Kiez verwüstet wurde.
Nur zur Erinnerung: Auch Frauen schmeißen auf Demos Flaschen, auch Frauen
finden Gewalt geil oder, im Autonomensprech ausgedrückt: befürworten
Militanz. Und oft genug ist es nicht eine moderne und differenzierte
Variante von Männlichkeit, die gerade in militanten Kreisen gut ankommt,
zumindest nicht dann, wenn es „ums Ganze“ geht. Draußen auf der Straße
werden die toxischen Anteile der Szene hochgehalten: der berauschte Krieger
wider das System, in Hasskappe und Springerstiefeln, gern Muskeln zeigend
und mit Bierflasche in der Hand. Es war irritierend, wie viele
Medien-KommentatorInnen in ihrer Hamburg-Berichterstattung auf die Show
hereinfielen und mit bewunderndem Unterton die „austrainierten“ Oberkörper
der Randalierer hervorhoben, oder von „durchtrainierten Jungmännern“
schwärmten.
Es scheint angebracht, dass die autonome Szene sich kritisch mit ihren
toxischen Anteilen auseinandersetzt und darüber spricht, welches Bild sie
da in Hamburg vermittelt hat: muskelgestählt, gewaltbereit, aggressiv – und
überwiegend männlich.
Diese Debatte mag wichtig sein für die Binnendiskussion einer sich als
links begreifenden Szene. Für die öffentliche Diskussion führt sie aber auf
ein Nebengleis: Nicht über mangelnde Affektsteuerung junger Männer sollte
jetzt geredet werden. Das könnte den Verantwortlichen für das Hamburger
G20-Debakel so passen.
Dringend reden muss man jetzt erst mal über das Verhältnis der radikalen
Linken zur Gewaltfrage. Aber auch über eine Bundeskanzlerin, die es allen
Warnungen zum Trotz auf eine Eskalationslage in Hamburg anlegte. Reden muss
man auch über eine Landesregierung, die nicht in der Lage war, mit Protest
auf demokratische Weise umzugehen und zugleich die Sicherheit ihrer
BürgerInnen zu schützen. Und ganz dringend sollte man über das Agieren der
Polizei sprechen, das mit dem Wort „aggressiv“ nur unzureichend beschrieben
ist.
Vieles an Hamburg war toxisch. Und nur manches davon hatte direkt mit
problematischen Kerlen zu tun.
14 Jul 2017
## AUTOREN
Nina Apin
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