# taz.de -- Geschlechterrollen in der „Mädchen“: „Der ewige Vorwurf ist … | |
> Die Chefredakteurin der „Mädchen“, Silvia Isla-Salazar, über | |
> Frauenbilder, Sexualisierung von Mädchen und Verhaltensregeln für Jungen. | |
Bild: „Mädchen sind sehr mit Mädchenthemen beschäftigt“ – Fußball geh… | |
taz: Frau Isla-Salazar, Sie sind die Chefredakteurin der Mädchen, des | |
auflagenstärksten Magazins für junge Frauen zwischen 12 und 17 Jahren. Wozu | |
eine Zeitschrift extra für Mädchen? | |
Silvia Isla-Salazar: Die Mädchen funktioniert wie die große Schwester. Es | |
gibt während der Pubertät tausende Fragen, mit denen man nicht zu den | |
Eltern geht. Diese Themen fängt die Mädchen auf – Jungs, Freundschaften, | |
Schule, Smartphones, Mode und Beauty. Sport und coole Bands spiegeln sich | |
auch wider, aber letztendlich sind Mädchen schon sehr mit Mädchenthemen | |
beschäftigt. Also ich will jetzt gar nicht sagen, Mädchen sind rosa, Jungs | |
sind blau, aber ich glaube, Make-up ist eher ein Mädchenthema. | |
Was ist mit Jungs, die sich gerne schminken und Mädchen, die sich für | |
Gaming interessieren? | |
Ich habe doch gerade gesagt, dass ich nicht meine: „Mädchen sind rosa, | |
Jungs sind blau“, ganz im Gegenteil. Natürlich gibt es Jungs, die sich | |
gerne schminken, natürlich wird das Thema Transgender auch immer | |
salonfähiger, wir unterscheiden da überhaupt nicht. Wir haben | |
Gaming-Themen, wir haben YouTube-Themen. Aber es gibt einfach einen | |
deutlichen Unterschied. Es ist der ein oder andere Junge, der sich | |
schminkt, und es sind nach wie vor eher Mädchen, die sich schminken. Da | |
muss man ja nur mal in die Stadt gehen und gucken, wie viele Männer Make-up | |
tragen. Das ist dieser ewige Vorwurf, den ich wirklich absurd finde. | |
Vorwurf? | |
Dass wir Unterschiede machen. Das tun wir ja gar nicht. In der nächsten | |
Ausgabe haben wir ein Mädchen in der Fotostory, das skatet. Da kann man | |
auch sagen, es sind eher die Jungs, die boarden. Nein, Mädchen tun das auch | |
gerne und das spiegeln wir auch im Heft wider. Wir fangen das sehr wohl | |
auf, wir stellen das auch nicht als Besonderheit raus, sondern als | |
Selbstverständlichkeit. Aber genauso selbstverständlich wie Make-up und | |
Liebe. | |
Welches Frauenbild wollen Sie also vermitteln? | |
Wichtig ist uns, dass unsere Mädels selbstbewusst sind. Es gibt in jedem | |
Heft im Bereich Leben ein Selbstbewusstseinsthema. Der Grundgedanke ist, | |
dass wir den Mädchen auch vermitteln müssen: „Bleib bei dir, tu nur das, | |
was du willst.“ Auch beim Thema „Traumbody“ auf dem aktuellen Cover. Da | |
kann man nun auch wieder in den wunden Punkten wühlen, aber man kann auch | |
sagen: „Wir nehmen dieses Thema auf.“ Haben Sie selbst Kinder? Wenn man | |
selbst Kinder hat, dann weiß man, dass die gerne jede Menge Schmarrn essen | |
und natürlich gibt es da von uns Aufklärung. Wir sagen nicht, „du musst | |
Diät machen“, sondern wir sagen, „du musst essen“ und zeigen leckere | |
Rezepte. | |
Bei den „Traumbody“-Seiten steht aber auch „Um fit und schön in den Somm… | |
zu starten“ und „desto mehr Fett kann dein Körper verbrennen“. Da schwin… | |
der Subtext mit, dass Schönheit wenig Fett und viele Muskeln bedeutet. Da | |
steht also nicht der Gesundheitsgedanke im Vordergrund, sondern die Optik. | |
Wenn Sie sich mit einem Arzt unterhalten, wird der Ihnen sagen, wie viele | |
Jugendliche übergewichtig sind. Wir motivieren Mädels, sich zu bewegen, | |
weil es unheimlich wichtig ist. Und natürlich sollen sie Pizza essen, sie | |
sollen auch Schokolade essen. Aber wenn ich eine Pizza esse und dazu einen | |
Liter Cola trinke, muss ich wissen, dass ich das nicht auf Dauer machen | |
kann oder ich mich ein bisschen bewegen muss. Das sind Informationen, die | |
man nicht in der Schule lernt. Das ist genauso, als würde ich | |
Geschlechtskrankheiten tabuisieren und mich hinterher wundern, wenn ich | |
mich mit irgendwas angesteckt habe. Wir halten die Kinder ja nicht dazu an, | |
wir sagen ja nicht: „Du bist nur schön, wenn du schlank bist“, sondern ganz | |
bewusst sagen wir: „Jeder Mensch hat eine andere Figur, jeder Mensch ist | |
individuell.“ | |
Es gibt etwas, das nennt sich „implizite Prädikation“. Dazu gehören so | |
Wörter wie „Traumfigur“. Die Zusammensetzung impliziert, dass es eine Figur | |
gibt, die nicht traumhaft ist – ohne, dass man sagt: „Nur ein schlanker | |
Körper ist schön.“ Sehen Sie die Gefahr, dass dieser Subtext übermittelt | |
wird, ohne, dass Sie das wollen? | |
Nein. Ich sehe die Gefahr, dass es Menschen gibt, die sich da hinsetzen und | |
alles sezieren und alles vom Spaß befreien und alles aburteilen. Wir sagen | |
nicht „eine Traumfigur“, sondern „deine Traumfigur“. Das ist subjektiv. | |
Ich habe die Zeitschrift seziert und noch etwas gefunden: Bei Birdy, die | |
immer die Stylingtipps gibt, stellt Miriam in der Maiausgabe die Frage: | |
„Liebe Birdy, ich bin absoluter Fan der angesagten Blousons. Weil ich | |
ziemlich breite Hüften habe, sehen die bei mir nur semigut aus. Hast du | |
einen Stylingtipp für mich?“ Birdy rät ihr, lange Blousons zu tragen. Warum | |
unterstützt sie die Komplexe? | |
Warum soll sie ein Gefühl, das ein Mädchen hat, ignorieren und sagen, „das | |
ist totaler Schwachsinn, das fühlst du jetzt gerade nicht“? Wenn dieses | |
Mädchen breitere Hüften hat und sie möchte dafür Stylingtipps, ist auch das | |
legitim. | |
Medien produzieren aber Wirklichkeit. Wenn man das gängige Schönheitsideal, | |
wie eben eine bestimmte Breite der Hüften, nicht mehr reproduzieren würde – | |
würden die Komplexe der Mädchen weggehen? | |
An erster Stelle stehen die Eltern, die ihre eigenen Kinder stärken und | |
ihnen Selbstbewusstsein vermitteln sollten. Es gibt Tausende Dinge auf | |
dieser Welt, die Menschen zu dem machen, was sie sind. Ich mache ein Heft | |
für die Bedürfnisse meiner Leserin. Die hat solche Fragen und genau darauf | |
werden wir eingehen und das werden wir auch weiterhin machen. Weil diese | |
Fragen einfach da sind. | |
Nicht nur in Bezug auf Styling werden Ratschläge gegeben, sondern auch fürs | |
Flirten. Diese Tipps sind meistens Verhaltensregeln. Wirken die nicht | |
verunsichernd auf ohnehin schon verunsicherte Teenies? | |
Ich glaube, man ist entweder ein unsicherer Typ oder nicht. Daran wird eine | |
Zeitschrift nichts ändern. Wir können Anregungen geben, aber wir sind keine | |
Therapiezeitschrift. | |
Manche Botschaften in Ihrem Magazin sind widersprüchlich. Ein Mädchen soll | |
lernen, sie selbst zu sein, darf aber laut Flirttipp auch nicht zickig | |
sein. | |
Das eine ist eine Selbstbewusstseinsbotschaft, beim anderen geht es ums | |
Balzgehabe. Das eine schließt ja das andere nicht aus. Es findet auf | |
unterschiedlichen Ebenen statt. | |
Und das kommt bei der Leserin an? | |
Ich glaube schon, dass es von der Reife abhängt, welche Leserin es gerade | |
liest. Unsere Leserin ist zwischen 12 und 17 Jahren alt, die Reife ist also | |
sehr individuell. Diejenige, die sich bei dem jeweiligen Thema angesprochen | |
fühlt, die wird diese Botschaft aufnehmen. | |
Es dreht sich viel um das Kennenlernen von Jungs, um Beziehungen und Sex. | |
Warum ist diese Sexualisierung so stark im Vordergrund? | |
Ich kann nicht unter den Teppich kehren, dass Jugendliche schon anfangen zu | |
fummeln. Das ist einfach so. Dass sie irgendwann miteinander schlafen. Auch | |
das ist so. Ich kann die Augen verschließen und sagen: „Meine Tochter macht | |
so was nicht. Die ist ganz brav. Die liest Rilke.“ Ne. Ist so nicht. Die | |
liest Rilke in der Schule und fummelt in der Freizeit. Jeder, der was | |
anderes behauptet, ist ein Lügner. Natürlich sind das Themen, die wichtig | |
sind und natürlich spiegeln wir diese Themen wider. | |
Zum Beispiel gibt es in der Rubrik „Lustiges und Wissenswertes über Penis, | |
Orgasmus und Co.“ in der Juni-Ausgabe die „Sex Facts“. Da steht: „7 % d… | |
Mädchen kommen beim Sex immer zum Orgasmus.“ In welchem Zusammenhang sehen | |
Sie die Tipps, in denen Mädchen nahegelegt wird, sich auf eine bestimmte | |
Weise zu verhalten, damit sie bei Jungs ankommen und diese niedrige | |
Orgasmusquote von 7 Prozent? | |
Das sind keine Tipps in der Rubrik, wie es auch in der Headline steht. Das | |
sind lockere Facts zum Schmunzeln und Angeben auf dem Schulhof. | |
Entsprechend wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dieses in einen | |
Zusammenhang zu bringen. | |
Können verunsicherte junge Frauen, die lernen, sich so zu verhalten, dass | |
es Jungs gefällt, also die ganzen Tipps im Bett abstellen und sich nur | |
darauf konzentrieren, was sie selbst wollen? | |
Da hängen Sie sich jetzt an einem einzigen Satz auf. An einem Satz im | |
ganzen Heft. Ich würde mir aber auch wünschen, es gäbe eine | |
Jungszeitschrift, in der man den Jungs sagt: „Hey, wenn du mit deiner | |
Freundin ausgehst, dann sei nicht so ein Stoffel, ignorier sie nicht oder | |
pupse nicht in ihrer Anwesenheit herum.“ Es wäre schön, wenn auch Jungs mal | |
ein paar Verhaltensregeln gesagt werden würden. Ich finde das gar nicht | |
verkehrt. | |
4 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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