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# taz.de -- Debatte über Männermacht an der Uni: Schule für Schreiben und Se…
> Am Hildesheimer Literaturinstitut lehrt nur eine Frau. Eine studentische
> Polemik hat eine Debatte über männliche Machtstrukturen angestoßen.
Bild: Hat Tradition: Männerdominierte Literatur.
Hildesheim taz | Das Hildesheimer Literaturinstitut hat ein
Sexismus-Problem. Dieser Satz, so knapp und einleuchtend er zunächst
scheint – welche Institution hat im Jahr 2017 kein Sexismus-Problem mehr? –
hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Im Mai erschien in der studentischen
Zeitschrift Faltblatt unter dem Pseudonym Solo eine kurze Polemik zu
sexistischen Strukturen an der Schreibschule, die zur Universität
Hildesheim gehört. Die unerwartet großen Wellen, die der Text schlug, sowie
seine unangenehm personalisierte Rezeption legen offen, wie wenig
konsensfähig seine zugrunde liegende Annahme ist.
Auf dem Literaturfestival Prosanova, das dieses Jahr durch seine diverse –
sprich: nicht männlich dominierte – Kuration auffiel, formierte sich eine
Gruppe von von Sexismus betroffenen Studierenden und AbsolventInnen aus
Hildesheim, Leipzig, Wien und Biel. Ihre ernüchternden Erfahrungsberichte
sind auf dem Blog der Zeitschrift Merkur erschienen.
So schreibt etwa die Autorin Anke Stelling, wie wenig sich seit ihrer Zeit
als Studentin bis 2013, als sie als Gastdozentin zurückkehrte, am Deutschen
Literaturinstitut Leipzig verändert hat: nicht das strukturelle
Abhängigkeitsverhältnis der mehrheitlich weiblichen Studierenden von den
mehrheitlich männlichen Lehrenden, auch nicht das Reflexionsvermögen der
Studierenden selbst.
Es ist kein Zufall, dass in Hildesheim neben derzeit sechs Männern mit
Jenifer Becker nur eine Frau Literatur und Schreiben unterrichtet – als
wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Studentinnen am Institut sind dagegen
mit achtzig Prozent in der Mehrheit. Hieran einzelnen Figuren wie Christian
Schärf oder Hanns-Josef Ortheil, dem Gründervater des Instituts, die Schuld
zu geben, würde das Thema verfehlen.
Die Benachteiligung von Frauen ist vielmehr auch im Literaturbetrieb ein
strukturelles Problem, das alle betrifft: Während die LeserInnenschaft von
Belletristik zum größten Teil weiblich ist, wird es Frauen in
Schreibschulen, Verlagen und bei Literaturpreisen noch immer schwer
gemacht, wenn nicht aktiv und bewusst durch Einzelne, so doch zumindest
durch Etiketten wie „Frauenliteratur“ oder „Fräuleinwunder“.
In den letzten zwanzig Jahren ging etwa der Georg-Büchner-Preis nur fünfmal
an eine Frau, die Gender Pay Gap im Kulturbereich beträgt 28 Prozent: Und
nur jedes vierte Buch, das im Feuilleton (in drei von vier Fällen von einem
Mann) besprochen wird, ist von einer Autorin.
Bei der aktuellen Debatte geht es allerdings mehr um die alltäglichen und
konkreten Diskriminierungserfahrungen, etwa in Textwerkstätten. Es scheint,
als produziere Hildesheim alle paar Jahre eine selbstreflexive Debatte über
Strukturen, die die Universität zu überwinden sich schwer tut.
Die Stoßrichtung hat sich dabei freilich geändert: Kritisierte der Verleger
Florian Kessler, vormals selbst Veranstalter des Hildesheimer
Junge-Literatur-Festivals „Prosanova“, mit seinem Artikel „Lassen Sie mich
durch, ich bin Arztsohn“ vor drei Jahren noch den Klassismus seiner
ehemaligen Schreibschule, wird jetzt die Forderung laut, dass auch die
Arzttochter vorbehaltlos gefördert und gefordert wird, ohne dabei auf ihr
Frausein oder gar ihren Körper reduziert zu werden.
Auch wenn Sexismus mittlerweile zumeist subtiler daherkommt, ist es für
Studentinnen nicht immer einfach, auf einem männlich dominierten Campus zu
bestehen: „Während ‚die Jungs‘ mit den jüngeren Dozenten Fußball spiel…
oder gucken, lege ich viel Wert darauf, wenigstens beim Biertrinken danach
dabei zu sein“, so Alina Herbing auf dem Merkur-Blog: „Außerdem bin ich
Hiwi der Institutsleitung und so halte ich mich in den kommenden Jahren
fast nur noch in Männergruppen auf, als einzige oder eine von wenigen
Frauen, was ich natürlich bemerke, aber lange nicht reflektiere.“
Die Faltblatt-Redaktion hat mittlerweile ein geradezu demütiges Schreiben
veröffentlicht, in dem sie sich dafür entschuldigen, dass Vorwürfe weder
„explizit ausgeführt, kontextualisiert noch in irgendeiner Art und Weise
begründet werden“. Nachdem die Institutsleitung der studentischen Redaktion
des Magazins zunächst das Gespräch verweigerte, ihr kurzfristig sogar mit
einer Klage wegen Beleidigung drohte, setzten sich die Lehrenden am 4. Juli
zu einer Podiumsdiskussion mit der Studierendenschaft zusammen.
Der erste Schritt zu einem offenen Dialog ist also getan. Studierende
formulierten konkrete Forderungen an die Institutsleitung wie etwa die
Öffnung der Literaturlisten, die in den meisten Seminaren von weißen,
männlichen Autoren dominiert wird, hin zu einer vielfältigeren
AutorInnenschaft.
Auch die Vergabe von hilfswissenschaftlichen Stellen an Studierende wurde
diskutiert, die bislang nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern
intransparent über individuelle Anfragen besetzt wurden: „Ich habe noch nie
einen männlichen Hiwi gehabt, weil ich lieber mit Frauen zusammenarbeite“,
rechtfertigt sich Christian Schärf, der Institutsleiter.
Die Sensibilität für Machtstrukturen, die sich die Studierenden wünschen,
ist nicht bei allen Lehrenden zu spüren, immer wieder wird die Relevanz der
Diskussion infrage gestellt. Ein Bewusstsein für die Macht des Sprechenden
scheint bei manchen Beteiligten noch nicht angekommen zu sein, was bei
LiteraturwissenschaftlerInnen bedenklich ist.
Dadurch, dass die Debatte längst über Hildesheim hinausgewachsen ist, wird
eine andere, personelle Frage der Schreibschule politisiert: Eine Professur
für „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ soll besetzt werden, zu
den Berufungsvorträgen Ende Juni waren vier Frauen und zwei Männer geladen.
Eine weiblich besetzte Stelle wäre natürlich vor allem ein Signal an die
Studierendenschaft und nach außen, dass Geschlechtersensibilität in der
Ausbildung von Autorinnen und Autoren sehr wohl eine Rolle spielt.
Den Dialog im Sande verlaufen zu lassen und weiterhin auf den Erfolg der
geförderten männlichen Absolventen zu setzen, kann aber auch für die
aktuelle Institutsleitung in Hildesheim keine Option sein. Es wäre schade
um fünfzig Prozent der Literatur, die wir lesen sollten.
Der Autor studierte bis 2016 am Hildesheimer Literaturinstitut.
21 Jul 2017
## AUTOREN
Kornelius Friz
## TAGS
Patriarchat
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