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# taz.de -- 20 Jahre Hildesheimer Literaturinstitut: Längst keine Nesthocker m…
> Schreibschulen normieren den Literaturbetrieb. Doch ist dieser Einfluss
> gut? Darüber streiten sich auch zum Jubiläum in Hildesheim die Geister.
Bild: Studierende im Studiengang „Kreatives Schreiben“ an der Universität …
Institutsprosa? Erst mal Institutsprosit! Denn ein nicht kleiner Teil des
gegenwärtigen Literaturbetriebs stößt dieses Wochenende in Hildesheim auf
das 20-jährige Jubiläum des dort ansässigen Literaturinstituts an und
blickt damit auf eine eigene junge Geschichte der Gegenwartsliteratur
zurück. Dem Literaturinstitutsbashing tritt die akademische
Schriftstellerkohorte mittlerweile mit einem Augenzwinkern entgegen. Das
Schlagwort „Institutsprosa“, mit dem das Feuilleton in den vergangenen
Jahren auf manch ein Debüt aus dem Schreibschulkontext eingedroschen hat,
haben sich die literarischen Ausbildungsstätten selbstironisch angeeignet
und nennen ihre Lesebühnen oder die nun erscheinende Hildesheimer
Jubiläumsanthologie ebenso.
Institutsprosa steht dabei längst nicht mehr nur für eine, so der
Dauervorbehalt, homogene und erfahrungsarme Nesthockerliteratur, die durch
die akademische Einhegung angeblich stilistisch und thematisch blass
daherkomme. Institutsprosa steht mittlerweile auch für eine gewandelte
literarische Kultur, die sich ohne die Wirkkraft von Schreibschulen gar
nicht mehr denken lässt. Denn ein Blick auf die Publikationslisten der
Institute in Leipzig, Wien, Biel oder Hildesheim, in die Verlage,
Literaturhäuser und -agenturen offenbart: Akademische Schreibschulen sind
zu zentralen Produktionsstätten von Gegenwartsliteratur geworden, und es
ist zu erwarten, dass ihr Einfluss noch zunehmen wird.
Für diejenigen, die nach Einsendung ihrer Textproben und einer
künstlerischen Eignungsprüfung angenommen werden, können sich die
Literaturinstitute als wertvolle Beschleuniger für die künstlerische
Entwicklung erweisen, und nicht zuletzt – dank einer gut ausgebildeten
Patronagekultur – als Eintrittskarte in das literarische Feld. Der ein oder
andere Alumnus ist mittlerweile selbst zum Gatekeeper an der ein oder
anderen Verlagstür aufgestiegen. Und da noch über die Studienzeit hinaus
für viele Ehemalige ein quasipatriotisches Nostalgiegefühl fortzubestehen
scheint, hilft man sich im literaturbetrieblichen Treppenhaus gegenseitig
nach oben.
Nicht selten kehren Ehemalige als „Meisterfiguren“ in die literarische
Werkstatt zurück und widmen sich den Erfahrungslernprozessen ihrer Eleven.
So bildet sich mit wachsender Zahl der Literaturinstitute ein alternatives
Versorgungssystem für Autor*innen aus, wie es sich in den USA im Zuge der
Creative-Writing-Kultur schon längst etabliert hat. Der Seminarraum mag
nicht ganz so glamourös sein wie die Lesebühne, verspricht aber ein
geregeltes Einkommen und erlaubt, sich literarisch ein wenig unabhängiger
von den ökonomischen Anforderungen des Buchmarkts zu entfalten.
## In Hildesheim entsprungene Sexismusdebatte
Der bevorzugte Professorenautor scheint dabei der poeta doctus zu sein,
der gelehrte Dichter, gern männlich, weiß und mit bildungsbürgerlichem
Hintergrund, gern mit ein, zwei Poetikdozenturen in petto. Dass im
vergangenen Jahr der Gründungsvater des Hildesheimer Instituts, Hanns-Josef
Ortheil, als Institutsdirektor durch die Schriftstellerin Annette Pehnt
abgelöst wurde, kann aber zumindest als Zeichen einer sich langsam
wandelnden Einstellungspolicy hinsichtlich der männerdominierten
Professor*innenschaft gedeutet werden. Vielleicht ja ein Ergebnis der
[1][ebenfalls in Hildesheim entsprungenen Sexismusdebatte], in der sich
2017 Ehemalige und Studierende institutsübergreifend über
Diskriminierungserfahrungen und die fehlende Sichtbarkeit von Frauen an
Schreibschulen aussprachen.
Reizvoll an dieser Debatte war nicht zuletzt, dass die Erfahrungsberichte
der Studierenden einen intimen Einblick in die soziale Situation und Praxis
innerhalb der Studiengänge erlaubten. Denn was lernt man eigentlich, wenn
man die singuläre Schreibarbeit um die Austauschprozesse innerhalb einer
Schreibschule erweitert?
Das Studium selbst gestaltet sich – je nach Curriculum des jeweiligen
Instituts unterschiedlich gewichtet – als eine Mischung aus detaillierter
Arbeit am Text, Literaturtheorie und -geschichte sowie
Literaturbetriebslehre. In Textwerkstätten mit den Kommiliton*innen oder in
Form von Lektoratsgesprächen mit den lehrenden Autor*innen steht die
Arbeit an der Sprache im Zentrum: Hier wird Literatur zum Handwerk. Die
literarischen Wachstumsabdrucke können sogleich in der jährlich
erscheinenden Werkschau, den hauseigenen Schreibschulanthologien,
veröffentlicht und als literarische Visitenkarten an die Verlage gesendet
oder auf Lesungstouren vorgestellt werden.
Dabei werden Literaturinstitute häufig als Schutzraum deklariert, in dem
eine freie kreative Entfaltung ermöglicht werden soll. Dennoch diffundiert
der Literaturbetrieb – und mit ihm die marktlogische Antizipation der
Buchmarkttrends – über die semiöffentliche Situation in den Schreibschulen
auch in die Schreibräume der angehenden Autor*innen. Die zentrale Frage
dahinter ist die, inwiefern der Markt durch die im Schreibschulkontext
erlernten Erwartungserwartungen nicht stets am Debüt mitschreibt.
## Ein paar Institutsgläser zerspringen lassen
Die Überformung der an Schreibschulen produzierten Literatur durch eine
opportunistische Vorausschau dessen, was wohl gut bei den Verlagen ankommt,
ist sicherlich eine der größten Gefahren, die mitunter in die beklagten
homogenen Schreibweisen und eine inhaltistische Trendliteratur münden kann.
Man muss schon eine sehr widerständige Debütantin sein, um sich durch den
dauerhaften Zaungast Literaturbetrieb im eigenen Schreiben nicht ständig
eingeschränkt zu fühlen.
Überhaupt ist verwunderlich, dass angesichts der vielen Möglichkeiten zur
Zusammenarbeit, die sich durch den Wechsel vom Heimschreiben in den
Seminarraum ergeben, und der kollektiven Praxis, die den
Literaturinstituten zugrunde liegt, weiterhin am literarischen Solo
festgehalten wird. Als Schwellenritual hin zum „echten“ Betrieb ist die
Veröffentlichung des Debüts weiter unabdingbar.
Wiederum ein Blick auf die Förderstrukturen des literarischen Felds
erklärt, warum das Einzelprojekt als Abschlussarbeit obligatorisch bleibt:
Ob Literaturpreisvergaben oder Aufenthaltsstipendien, stets wird der Solist
belohnt und das literarische Ensemblespiel ignoriert. Schade eigentlich,
denn in und um die Institute haben sich vielstimmige Praxiskollektive, wie
die Literaturzeitschrift P.S. Politisch Schreiben. Anmerkungen zum
Literaturbetrieb, gebildet, die Abstand vom literaturbetrieblichen
Benchmarking nehmen und sich den Entstehungsprozessen einer (nicht nur)
institutsproduzierten Literatur widmen.
Die in den Schreibschulen geballte Gestaltungskraft jedenfalls könnte noch
sehr viel progressiver genutzt werden, um fragwürdige literaturbetriebliche
Strukturen umzuschreiben. Dahinter steht die Frage, welche eigenen
Pfadabhängigkeiten Literaturinstitute dafür aufgeben müssten. Man könnte
also heftig auf die nächsten 20 Jahre anstoßen und dabei ein paar
Institutsgläser zerspringen lassen.
15 Jun 2019
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## AUTOREN
Sonja Lewandowski
## TAGS
Hildesheim
Literaturbetrieb
Jubiläum
Literatur
Patriarchat
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