# taz.de -- Dritter Tag Wettlesen beim Bachmann-Preis: Ein wattiges Gefühl | |
> Erwartet man von Literatur ein authentisches Sprechen oder eine kluge | |
> Sprachinszenierung? Diese Frage wurde am Samstag in Klagenfurt | |
> diskutiert. Vorher wurde gelacht. | |
Bild: Legte einen sehr, sehr guten Text vor: Leif Randt. | |
KLAGENFURT taz | Der dritte und letzte Lesetag hier in Klagenfurt war etwas | |
seltsam. Es gab einen sehr, sehr guten Text zu hören und einen sehr, sehr | |
schlechten. Die Jury war einerseits lockerer als zuvor und redete freier | |
untereinander, verhedderte sich aber auch stellenweise schlimm miteinander. | |
Nur das Wetter, das muss ja auch einmal berichtet werden, war | |
gleichbleibend wunderschön. Wahrscheinlich werden Teilnehmer, Juroren und | |
Zuschauer zur Preisverleihung am Sonntag vormittag noch etwas brauner | |
erscheinen, als sie eh schon sind. | |
Der sehr, sehr gute Text stammte von dem 27-jährigen Berliner Autor Leif | |
Randt. In "Schimmernder Dunst über CobyCounty" schildert er ein | |
Wellnessleben, das vielleicht leicht in die Zukunft versetzt ist, in dem | |
man aber auch aktuelle Tendenzen sofort wiedererkennt: CobyCounty ist eine | |
Oasenstadt, in der alle Menschen entspannt sind, man es sich nett und | |
höchstens mal Kunst macht, die Lehrer ihren Schülern raten, sich in "reale | |
Charakter" zu verlieben, "unabhängig von class und race und gender". | |
Anhand eines Mittezwanzigjährigem wird erzählt, wie es sich anfühlt, in so | |
einer Rundumversorgungswelt nach eigenen Gefühlen zu suchen: wattig. Die | |
Geschichte vermittelt dabei keine Rebellion, sondern Angepasstheit und | |
höchstens eine sanfte Melancholie, die sich ständig selbstbeobachtet und | |
immer wieder feststellt, dass einem gar nichts fehlt. Die Jurorin Daniela | |
Strigl sprach in der Diskussion von einer "kapitalistischen Utopie des | |
neuen Menschen". Auch darüber hinaus von der Jury viel Lob, im Publikum | |
wurde freundlich gelacht. Nur die Jurorin Meike Feßmann drückte ihren | |
Willen zum Provoziertwerden aus. Der Text zeichne das Bild einer super | |
emanzipierten, aber auch super narzisstischen 68er-Elterngeneration, das | |
sie so nicht stehenlassen wollte: "Man muss die Provokation annehmen", so | |
Fessmann. In einigen Wochen wird der Roman erscheinen, aus dem dieser Text | |
stammt; spätestens dann kann man ja noch einmal darauf zurückkommen. | |
Der sehr, sehr schlechte Text dieses Tages stammt von dem 1971 geborenen | |
Schweizer Autor Michel Bozikovic, ein Text über harte Männer, in denen | |
manchen Figuren vollkommen ernstgemeint "die Lichter ausgehen", wenn sie | |
bewusstlos geschlagen werden – ein Text, als hätte Jean-Claude Vandamme | |
versucht, Chandler nachzumachen. Außer der Jurorin Hildegard E. Keller, die | |
den Text schließlich eingeladen hatte und ihn also verteidigen musste, sah | |
es die Jury genauso. | |
Außerdem las die Autorin Anne Richter einen Text mit unendlich vielen | |
Pathoszeichen: Er beginnt mit einer Beerdigung, es fließt viel Blut, jemand | |
stirbt an Krebs – was die Schreibhaltung betrifft, hatte Daniela Strigl, | |
die während der Diskussionen für manche zielsicher gesetzte Pointe sorgte, | |
das treffendste Bild: "So blutreich die Geschichte ist, so blutleer ist das | |
Erzählen." Was stimmte, der Stil hatte etwas Braves. Burkhard Spinnen | |
drückte es komplexer aus: Hier werde versucht, ein individuelles Sterben | |
mit dem allmählichen Sterben einer Region in Thüringen, wo die Geschichte | |
spielt, parallel zu setzen – "aber die erzählerische Anstrengung, das zu | |
verknüpfen, ist nicht groß genug". | |
Bei Thomas Klupp, dem vierten Autor dieses Tages und dem 14. und letzten | |
des gesamten Wettlesens, wurde dann am meisten gelacht – und sich dann aber | |
sofort gefragt, ob es schon reicht, wenn ein Text einen zum Lachen bringen | |
kann. Thomas Klupp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Literaturinstitut in | |
Hildesheim, an dem man Kreatives Schreiben lernen kann, hat einen völlig | |
unpornografischen Text über Pornografie vorgelegt und eine | |
Geisteswissenschaftssatire: An einem kulturwissenschaftlichen Institut in | |
Potsdam sollen die Inszenierungsweisen westlicher Pornografie untersucht | |
werden – dazu müssen der Ich-Erzähler und seine Konkurrentin auf die | |
mögliche Dozentenstelle von morgens bis abends Pornos sichten; eine | |
Situation, aus der Thomas Klupp unerschrocken Aberwitz und einen | |
Anti-PC-Humor schlägt. | |
Der Text ist schon wirklich sehr witzig, die Frage in der Jurydiskussion | |
war dann aber natürlich sofort, ob man nicht unter seinem Niveau lacht; | |
dieser Verdacht kommt ja immer leicht auf. Vor allem Hubert Winkels und | |
Daniela Strigl verteidigten das Niveau des Textes, sahen eine treffende | |
Schilderungen des Wahnwitzes eines ganz normalen universitären Alltags und | |
auch einen immanenten Mediendiskurs. | |
Unausgesprochen stand dabei eine Frage im Raum, die viele Diskussionen in | |
der Jury während der vergangenen drei Tage grundiert hatte: Erwartet man | |
von Literatur ein authentisches Sprechen, das ist die Fraktion, die Autor, | |
Sprache, Widerständigkeit ganz groß schreibt; oder erwartet man von ihr | |
auch eine kluge Sprachinszenierung, bei dieser Fraktion kommen Spiel mit | |
Erwartungshaltungen, Ironie und auch zum Tragen. Von den 14 Autorinnen und | |
Autoren vertrat Maja Haderlap die (verkürzt gesagt) Ernstliteraturfraktion | |
am eindringlichsten, und Steffen Pop vertrat die (ebenso verkürzt gesagt) | |
Inszenierungsliteraturfraktion insgesamt am überzeugensten. Und Nina | |
Bußmann ist die Autorin, auf die sich beide Fraktionen wohl am besten | |
einigen könnten. Mal sehen, für wen sich die Jury als Preisträger | |
entscheidet. | |
9 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Hildesheim | |
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