Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zweiter Tag Wettlesen beim Bachmann-Preis: Berührt von schlichter …
> An diesem Freitag war alles drin – Bomben in Afghanistan, souveräne
> Erzählerinnen und wagemutige Sprachperlen. Und die Jury war in Form.
Bild: Heißer Favorit für den Bachmannpreis: Steffen Popp.
KLAGENFURT taz | Dieser zweite Lesetag hier beim Bachmannpreis in
Klagenfurt war auf vielfältigen Ebenen interessant, viel interessanter als
der erste Tag und immer wieder leuchteten Grundpositionen eines heutigen
Erzählens seitens der Autoren und damit einhergehend auch Grundpositionen
eines aktuellen Sprechens über Literatur seitens der Juroren auf. Zum
großen Teil lag das daran, dass alle gelesenen Texte untereinander
grundverschieden, aber jeweils in sich den eigenen Maßstäben nach gut
gemacht waren; so konnte die Jury immer wieder dazu kommen, grundsätzliche
Positionen, wenn nicht gleich zu klären, so doch deutlich anzusprechen. Und
das machte die Jury dann eben oft gut.
Als erster las Rinus Reichlin, gerade in seiner Zurückhaltung ein
ausgefuchster Erzähler, eine gut gebaute Episode, die sich um den deutschen
Auslandseinsatz in Afghanistan dreht. Sie beginnt mit einer Bombe und
mündet dann in ein moralisches Dilemma: ein Arzt wird unschuldig schuldig,
indem er von der Explosion verwirrt auf eine Frau schießt. Die Aufgabe für
die Jury war dann, wie sie die unzweifelhaft clever erzählte Geschichte
einordnet: Kolportage sei zu streng, mendelte sich heraus, aber ein neues
Erzählen sei hier eben auch nicht auszumachen. Nur Meike Feßmann, die sich
als Jurorin für diesen zweiten Tag offenbar vorgenommen hatte, streng zu
ihren Kollegen zu sein, war sich für das „Öffnen eines erzählerischen
Raums“, das der Text leiste, in die Bresche.
Nach Reichlin kam Maja Haderlap, als Einwohnerin Klagenfurts Lokalmatadorin
und für viele ein Geheimfavorit für das Festival. Ihr Text war das genaue
Gegenteil von Reichlin: leise, fein nuanciert, präzise Bilder, von
„großartiger Schlichtheit“ sprach die Jurorin Daniela Strigl, als
Bezugspunkt wurde Adalbert Stifter erwähnt. In dem Text geht es um
Erinnerungen an die Besetzung Sloweniens und Partisanenkämpfe im Zweiten
Weltkrieg; eine Tochter geht mit ihrem Vater durch den Wald und versucht,
dessen bergende und zugleich gefährdende Macht zu verstehen. Doch so genau
das alles ist, Maja Haderlap legt hier auch eine Heldengeschichte vor; sie
beschreibt starke Großmütter und widerspenstige Männer im Wald – ein Lob
des Archaischen, des Dörflichen, des Nichtvergesellschafteten in der
gebirgigen Waldlandschaft zwischen Österreich und Jugoslawien schimmert
durch. Meike Feßmann, Burkhard Spinnen und Hubert Winkels markierten als
Juroren wenigstens vorsichtig Einwände.
## Dampfende Texte, herbe Schönheit
In einer schwierigen literaturkritischen Disziplin zeigte die Jury von da
an an diesem Tag große Form: beim Aufschließen komplizierter Texte. Bei dem
irgendwie sehr dampfenden Text von Julya Rabinowich fing das an. Seine
„starken weiblichen Bilder für einen Ekel über einen Männerkörper“ (wie…
Feßmann) wurden analysiert, die geballte Aggressivität der Hauptfigur wurde
herausgestellt. Aber das allzu „Hochinstrumentalisierte“ der Sprache
(Spinnen) glücklicherweise auch.
Richtig großartig kriegte die Jury es dann hin, die herbe Schönheit des
Textes von Nina Bußmann zu fassen und einzuordnen. Eine überaus klug
gebaute Lehrer-Schüler-Geschichte rund um eine Ohrfeige, die – man weiß es
als Leser nicht richtig – vielleicht auch gar nicht wirklich stattgefunden
hat. Ein Schüler provoziert jedenfalls einen Lehrer, der wiederum einsieht
dass der Schüler nur das will, was alles wollen: „dass ihr Tun nicht ohne
Folgen blieb“. Burkhard Spinnen hob geradezu ins Gesellschaftsdiagnostische
ab: Früher seien in Schulromanen die Frage nach Freiheit und Lebenssinn
gestellt worden, heute würde die Frage, ob überhaupt irgendetwas passieren
könne in diese Stelle treten. Man merkte vielen Mitgliedern der Jury bei
diesem Text ihren Spaß an, sich gegenseitig einfach auch mal gelungene
Aspekte erzählen zu können. Wenn etwas relativierend angemerkt wurde, dann
nur, dass die Erzählerin vielleicht einen Tick zu souverän ist; zu
allmächtig kann sie der Versuchsanordnung ihrer Figuren zuschauen.
Am Schluss dieses zweiten Tages las Steffen Popp, der als Lyriker schon
einige Bekanntheit erreicht hat. Es geht um eine Spurensuche in einem
thüringischen Dorf – schöne Sprachperlen werden an einer Schnur aufgereiht,
und den Zusammenhang stiften, das muss bzw. kann dann zu einem Gutteil der
Leser. Daniela Stringl fand gute Begriffe, um das zu fassen: Sie sprach von
einer poetischen und sozialen Kartografie und dem Versuch, eine Art EEG des
Dorfgeschehens aufzuzeichnen.
In der Tat erweist sich Steffen Popp in dieser Geschichte als
assoziationsreicher und wagemutiger Baumeister von sprachlicher Schönheit –
und ganz nebenbei geht es bei ihm auch noch darum, das Arbeit des
Sozialismus in Gestalt seiner Gebäude und Arbeitsverfahren zu durchstöbern.
Burkhard Spinnen, eher an handfest erzählter Prosa orientiert, merkte an,
dass er zwar die Schönheiten dieser Sprache wahrnehmen können, aber sich
doch irgendwie frage, wozu das alles führen solle. In der Vortragsituation
des Bachmannfestivals (als Zuhörer kennt man die Texte vor dem Vortrag ja
nicht) konnte man sich als Zuhörer aber von dieser Schönheit auch schlicht
berühren lassen.
Haderlap, Bussmann, Popp, das sind jetzt die Favoriten für den diesjährigen
Bachmannpreis. Mal sehen, wer am letzten Lesungstag am Samstag noch
dazukommen wird.
8 Jul 2011
## AUTOREN
Dirk Knipphals
Dirk Knipphals
## TAGS
Sucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch über Sucht und Prekarität: Fixierung auf die eigene Scholle
Im Suchkreislauf der Selbstfindung: Nina Bußmann verwirrt in ihrem Roman
„Dickicht“ kunstvoll die Erzählfäden.
1. Tag Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt: Experimentelles Schaumschlagen
Erst plätscherte es literaturhausmäßig dahin. Doch dann stritten die
Juroren ganz unerwartet leidenschaftlich über die Legitimität der
experimentellen Literatur.
Dritter Tag Wettlesen beim Bachmann-Preis: Ein wattiges Gefühl
Erwartet man von Literatur ein authentisches Sprechen oder eine kluge
Sprachinszenierung? Diese Frage wurde am Samstag in Klagenfurt diskutiert.
Vorher wurde gelacht.
Erster Tag Wettlesen beim Bachmann-Preis: Traumata mit vordergründigen Mitteln
Ein Siegertext war in Klagenfurt noch nicht dabei. Dafür ballten sich in
den vorgetragenen Texten die Traumata – und die literarischen Mittel waren
allzu vordergründig.
Bachmannpreis in Klagenfurt: Der Autorenkampf ist deine Party
In idyllischer Umgebung spielen sich Dramen ab, der Wörthersee fungiert als
Gemeinschaftsstifter und Einsammacher: eine Einstimmung auf den
Bachmannpreis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.