# taz.de -- 1. Tag Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt: Experimentelles Schaumschl… | |
> Erst plätscherte es literaturhausmäßig dahin. Doch dann stritten die | |
> Juroren ganz unerwartet leidenschaftlich über die Legitimität der | |
> experimentellen Literatur. | |
Bild: Die Juroren des Bachmann-Wettbewerbs könnten sich auch mal eine neue Ins… | |
Die allerletzten zehn Minuten waren großartig – und rissen diesen ersten | |
Tag beim diesjährigen Bachmannwettlesen in Klagenfurt zum Glück ein Stück | |
weit heraus. Die in Berliner lebende Autorin Sabine Hassinger hatte den | |
Text „Die Taten und Laute des Tages“ gelesen, ein dichtes, sich | |
versperrendes, partiturartig sich um einen gestorbenen Vater und eine mit | |
ihrem nahenden Tod drohende Mutter herum mäanderndes Prosastück. | |
Und die Jury hatte in ihrer Diskussion nach einigem Hin und Her die | |
schwierigen Fragen des Verhältnisses zu sprachexperimentellen Erzählungen | |
am Wickel. Corinna Caduff, die einzige unter den sieben Juroren, die dieses | |
Jahr neu dabei ist, hat es charmant ungeschminkt ausgedrückt: „Zum einen | |
denke ich, ich muss mich da durcharbeiten, zum anderen habe ich aber auch | |
keine Lust dazu.“ | |
Und ihre Jury-Kollegin Meike Feßmann brachte noch eine Metaebene hinzu: | |
„Früher war die Legitimität des Experimentellen quasi von sich aus | |
verbürgt. Heute muss sie sich am jeweiligen Text erweisen.“ Da war die | |
Übertragungszeit des Senders 3sat zu Ende. | |
## Offener Schlagabtausch | |
Und es entstand etwas Unerwartetes: Zum ersten Mal an diesem Tag kam es zu | |
einem offenen Schlagabtausch. Die Juroren entspannten sich nämlich von | |
einem Moment auf den anderen, diskutierten dann aber eben noch zehn Minuten | |
lang weiter, nur unter sich und für das Saalpublikum. Es kam zu einer | |
offenen Kontroverse. | |
Der Juror Paul Jandl forderte einen „Artenschutz fürs Experimentelle in der | |
Literatur“. Der Juryvorsitzende Burkhard Spinnen polemisierte sofort heftig | |
dagegen. Artenschutz sei Verniedlichung und Abwertung, sagte er. Er | |
zitierte Marcel Beyers Wort von der „Gemütlichkeit des Experiments“, die zu | |
lange gegolten habe. Die Jurorin Daniela Strigl formulierte dagegen | |
wiederum ihre Dankbarkeit, dass es Texte gebe, über die man sich seinen | |
Kopf zerbrechen könne. | |
Meike Feßmann wiederum stimmte dem teilweise zu, sagte aber auch, dass der | |
jeweils einzelne Text sich diese Bereitschaft aber auch erwerben müsse und | |
der Text von Sabine Hassinger sei nun mal eher eine „experimentelle | |
Schaumschlägerei“. | |
Kurz, das war eine leidenschaftliche Debatte, die zudem sogar zu einem | |
Ergebnis führte. Ganz klar war hinterher, dass schwierige, fordernde | |
Literatur selbstverständlich ihre Berechtigung hat, die einzelnen Texte | |
sich aber ebenso selbstverständlich nicht hinter dieser allgemeinen Aussage | |
verstecken können; die Schwierigkeit muss eben auch attraktiv genug sein, | |
um von den Lesern genossen und geknackt werden zu können (wozu, darf man | |
hinzufügen, wie zuletzt etwa David Foster Wallace und Roberto Bolano | |
zeigten, ja vom Lesepublikum prinzipiell auch Bereitschaft besteht; ihre | |
Werke sind längst Bestseller). Das ist doch wirklich eine Formel, um sie | |
sich zu merken. | |
Solche offenen, direkten Momente, die etwas von einem Ereignis haben, sind | |
genau das, weshalb man als Beobachter nach Klagenfurt fährt. Für diesen | |
Moment ganz am Ende war man an diesem Donnerstag geradezu dankbar, nachdem | |
man zuvor von der Jury fünf Stunden lang eher routinierte | |
Literaturgespräche über jeweils für sich gut gemachte, aber auch eher | |
uninspirierende Texte gehört hatte. | |
## Schöne Drechselarbeit | |
Der Autor Stefan Moster hatte eine schöne Drechselarbeit von Text | |
vorgelesen, in der es um Erinnerungen und einen Trampurlaub als 18-jähriger | |
Abiturient Anfang der 80er-Jahre nach Griechenland ging. Hugo Ramnek, 1960 | |
in Klagenfurt geboren, evozierte mit vielen Sprachregistern eine Kirmes in | |
der Provinz. Und die junge Schweizer Autorin Mirjam Richner hat, tja, man | |
weiß nicht recht, was, jedenfalls einen Text geschrieben, in dem | |
Kleinmädchengedanken über Rationalität und Emotionalität neben den großen | |
Fragen von Gott, Sterben und Verschüttetwerden stehen. | |
Von den Juroren kamen viele Einerseits-andererseits-Statements, oft mit | |
einem wohlwollenden Einerseits beginnend, dann mit einem Bedenken | |
formulierenden Andererseits endend. Das plätscherte so leicht | |
literaturhausmäßig dahin. Viel herum kam dabei nicht. | |
Fragen warf nur noch der Auftritt von Andreas Stichmann auf. Stichmann, | |
1983 geboren, in Hamburg lebend, hatte von allen das spielerischste | |
Selbstvorstellungsvideo gedreht – eine Art „La Paloma“-Dub mit zeitgemä�… | |
Bühnenbildcollagenästhetik, dann aber einen äußerst zurückhaltenden | |
Nichtauftrittsauftritt hingelegt: ich sehe aus wie immer, basta, Jeans, | |
T-Shirt, Turnschuhe, und lese euch jetzt mal meinen Text vor, mal sehen, | |
was ihr damit so anstellt. | |
Der Text, ein Auszug aus seinem bald erscheinenden Roman, war dann auch | |
wirklich nicht schlecht; ein Einbrecher wirft darin fast sehnsüchtige | |
Blicke auf eine funktionierende moderne Kleinfamilie. Aber die ganze | |
Selbstinszenierung hatte etwas seltsam Softes. Das wirkte ganz sympathisch. | |
Aber, hey, dies hier ist die Arena des Bachmannpreises, hier geht es immer | |
irgendwie auch ums Ganze! Dass er diesen Gedanken an sich herangelassen | |
hat, hatte man bei Andreas Stichmann nicht den Eindruck. | |
5 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
David Foster Wallace | |
Ausstellung | |
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