| # taz.de -- Erster Tag Wettlesen beim Bachmann-Preis: Traumata mit vordergründ… | |
| > Ein Siegertext war in Klagenfurt noch nicht dabei. Dafür ballten sich in | |
| > den vorgetragenen Texten die Traumata – und die literarischen Mittel | |
| > waren allzu vordergründig. | |
| Bild: Da saßen wohl noch keine Gewinner auf dem Podium. | |
| KLAGENFURT taz | Hier beim Bachmannpreis in Klagenfurt wird die Reihenfolge | |
| der Lesungen per Los entschieden. Nach der Auslosung am Mittwochabend | |
| dachte man schon, dass der Zufall die Favoriten dieses Literaturwettlesens | |
| eher ans Ende der dreitägigen Veranstaltung gespült hat: Nina Bußmann und | |
| Steffen Popp am Freitagnachmittag, Leif Randt und Thomas Klupp am Samstag. | |
| Jetzt, nachdem die erste Leserunde mit fünf Kandidaten vorbei ist, hat man | |
| noch keinen Grund, dieses Grundgefühl zu revidieren: Ein Siegertext war | |
| bisher noch nicht darunter. Allerdings hat der Zufall auch schon mal für | |
| eine kleine thematische Verdickung gesorgt: Vier der fünf Texte des ersten | |
| Tages umspielten einen stark traumatischen Kern – was insofern auffällig | |
| ist, weil die Entwicklung in der Literaturszene sonst, wenn es so eine | |
| überhaupt gibt, eher vom Traumatischen weg und hin zum Spielerischen und | |
| Coolen geht. Aber das kann man von diesem ersten Klagenfurter Tag wirklich | |
| nicht sagen. | |
| Es begann um 10 Uhr gleich mit einem versuchten Selbstmord der Mutter des | |
| Erzählers. Der Autor Gunther Geltinger sagte eine Bemerkung vorweg: Seine | |
| Hauptfigur stottere, er stottere selbst auch, das liege in der Natur seiner | |
| Sprache, er bitte um Verständnis. Dann las er stockend, aber keinmal | |
| wirklich hängen bleibend eine Geschichte vom norddeutschen Land vor, in das | |
| sich die Mutter wohl geflüchtet hat, so wie sie sich in den Alkohol und die | |
| Verwahrlosung geflüchtet hat, bevor sie zu viele Tabletten nimmt und sich | |
| zum pubertierenden Sohn zum Sterben ins Bett legt. Der Text versuchte die | |
| Traumatisierung durch allerlei Intensitäten – Kotze, schreckliche | |
| Familienverhältnisse, Landschaftsbeschreibungen – zu beglaubigen. Er kam | |
| damit nicht bei allen Jurymitgliedern durch, ein Zuviel der Mittel wurde | |
| attestiert. Das war auch ein Leitmotiv des ersten Tages. Die Jury konnte | |
| sich auf keinen Text einigen, bei eigentlich allen Texten waren die | |
| literarischen Mittel auf irgendeine Weise zu dick aufgetragen. | |
| ## Das wahre Leben im falschen | |
| Daniel Wisser machte sich in seinem fast durchgängig ins Passivische | |
| gesezten Text gleich zu einer Art Textroboter: ein verunglücktes Leben mit | |
| einer scheiternden Ehe, einer scheiternden Liebesbeziehung, einer gefühllos | |
| auf Effizienz getrimmten Arbeitssituation im Callcenter und einem Vater im | |
| Heim, das er ganz in eine Sprache der Kälte und des größtmöglichen Abstand | |
| zu Emotionen übersetzte. Bei Anna Maria Praßler geht es dagegen um den | |
| Krebstod des ehemaligen Geliebten der Ich-Erzählerin – einer Studentin, die | |
| über den Tod als Metapher promoviert und dann erst allmählich und leider | |
| auch wieder allzu überdeutlich lernen muss, dass der Tod etwas Echtes ist. | |
| Und die 26-jährige Autorin Antonia Baum hat die Rollenprosa einer | |
| spätpubertierenden jungen Frau vorgelegt, die alles schrecklich findet: die | |
| Lehrer, die Eltern, die Männer, den Sex, die ganze Gesellschaft. An diesem | |
| Text entzündete sich die zugleich hakeligste wie unterhaltsamste Situation | |
| innerhalb der siebenköpfigen Jury: Burkhard Spinnen sagte, dass man sich ja | |
| in Texte verlieben könne, was objektiven Beobachtern dann allerdings | |
| gelegentlich unverständlich bleiben kann. Kurz: Er unterstellte, dass | |
| Winkels sich hier offenbar unheilbar verrannt habe, und zwar aus eher | |
| emotionalen Gründen. Hubert Winkels, der Antonia Baums Text eingeladen | |
| hatte, revanchierte sich, indem er seinen sechs Jurykollegen ein | |
| kollektives Abwehrverhalten attestierte. | |
| Genauso wie das Festival selbst, groovte sich auch die Jury an diesem Tag | |
| erst gruppendynamisch ein. Einige Möglichkeiten, kleine Racheaktionen zu | |
| starten, sind immerhin schon einmal gelegt. Meike Feßmann, auch über die | |
| Geschichte von Antonia Baum: „Das ist weder Thomas-Bernhard-Imitation noch | |
| Thomas-Bernhard-Parodie. Der Text ist im Hinblick auf seine literarischen | |
| Mittel vollkommen unbewusst.“ Winkels: „Natürlich ist das à la Thomas | |
| Bernhard, das ist doch vollkommen klar.“ Einen sich selbst unbewussten Text | |
| vorgeschlagen zu haben will man sich ja wirklich nicht gern nachsagen | |
| lassen. | |
| ## Vergrabener Schatz | |
| Der einzige Text, der an diesem ersten Tag aus dem Schema von traumatischem | |
| Kern und allzu vordergründigen literarischen Mitteln herausfiel, stammt von | |
| Maximilian Steinbeis. Er trug eine „Persiflage der Ratgeberliteratur“ vor | |
| (so Jurorin Daniela Strigl) und zugleich den einflüsterndes Monolog eines | |
| modernen „Mephistos“ (Jurorin Feßmann): Ein Anti-Bank-Berater überzeugt | |
| sein ungenannt bleibendes gegenüber, sein gesamtes Vermögen zu Gold zu | |
| machen und zu vergraben, als einzige Möglichkeit, der drohenden Finanzkrise | |
| zu entgehen. | |
| Allerdings wird es dann kompliziert: der Platz, an dem Schatz vergraben | |
| wird, muss sicher sein, die Möglichkeit, ihn wiederzufinden, muss sicher | |
| sein – und schließlich steigert sich der Text bis zu den Punkt, dass man | |
| seinen Helfer beim Vergraben und damit Mitwisser unbedingt erschlagen | |
| müsse; ein Punkt, an dem das zunächst rational Erscheinende ins Wahnwitzige | |
| umschlägt | |
| Dass Steinbeis' Text gut durchgeführt sei, darin war sich die Jury dann | |
| einmal fast einig. Aber in der Bewertung lag sie weit auseinander. Burkhard | |
| Spinnen sah das Gegenwartsthema der zusammenbrechenden Finanzsysteme | |
| großartig bearbeitet, bei den meisten Jurykollegen lag dagegen bei aller | |
| Anerkennung etwas von einem Well-made-Play in der Luft: ein ordentlicher, | |
| kein großer Text. Alain Claude Sulzer sprach sogar von einer „Schnurre“. | |
| Mal sehen, wie es mit den Traumata und den allzu vordergründigen | |
| literarischen Mitteln am zweiten und dritten Klagenfurt-Tag weitergehen | |
| wird. | |
| 7 Jul 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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