# taz.de -- 2. Tag Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt: Letzte Dinge ganz konkret | |
> Die Juroren streiten über den richtigen Weg, den die Erfahrung nehmen | |
> muss, um Literatur zu werden. Die Autoren erzählen von der Menschheit, | |
> toten Katzen und Spendernieren. | |
Bild: Gottesteilchen oder Bubble-Tea-Blasen – auf jeden Fall mysteriöse Ding… | |
Seltsamerweise ist oft der zweite Tag viel besser als der erste hier beim | |
Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt; woran auch immer das liegen mag | |
(vielleicht ist es einfach Zufall, vielleicht wirken Texte aber auch | |
besser, nachdem man sich erst einmal einen Tag lang eingehört hat). So auch | |
diesmal wieder. | |
Vier der fünf am Freitag vorgelesenen Texte waren jeder auf eigene Weise | |
interessant. Die Diskussionen der Jury waren lebhaft und berührten | |
grundsätzliche Punkte des Sprechens über Literatur. Ein wirklicher | |
Favoritentext ist aber, wenn ich recht sehe, noch nicht darunter. Dafür | |
waren die Texte auch zu dicht beieinander. | |
Vor allem war es ein Tag der Nachwuchsautorinnen. Er begann mit der 1977 | |
geborenen Preisträgerin des Open-Mike-Festivals von 2009, Inger-Maria | |
Mahlke. Sie beschreibt die Verlorenheit einer alleinerziehenden Mutter, die | |
eine Weile als Domina arbeitet – und es ist schon ein großes Kunststück, | |
das nicht zu Sozialkitsch gerinnen zu lassen. Es gelingt hier deshalb, weil | |
Inger-Maria Mahlke mit genau gesehenen Naheinstellungen arbeitet. Ihre | |
Wohnung, ihr Job an einer Backtheke, ihre Erfahrungen in SM/Arrangements; | |
das alles wird gleich intensiv wahrgenommen und beschrieben. | |
## Im Bubble-Tea-Laden | |
Cornelia Travnicek, ganz jung, 25, mit ihrem Roman „Chucks“ schon ganz gut | |
besprochen, in Wien lebend, kann einen dann allein schon durch ihren | |
Lebenslauf sehr verblüffen: Ist sie doch der Beweis dafür, dass eine junge | |
Betreiberin dieser dämlichen Bubble-Tea-Läden doch sehr lebendige Prosa | |
schreiben kann. Als Bubble-Tea-Laden-Betreiberin wurde sie in dem | |
Porträtvideo vorgestellt. | |
Und dann las sie ihren Text, in dem sie selbstsicher und lässig vom Ende | |
einer Kindheit erzählt, hintergründig eingebaut sind bei allem Witz | |
deutliche Signale, wie verstörend dieser Übergang ins selbstbestimmte Leben | |
auch ist. Zugleich war das der umstrittenste Text dieses Tages. Der Jurorin | |
Corina Cardiff war er sprachlich nicht ausgereift genug, Paul Jandl war er | |
zu banal. | |
Daraus entwickelte sich dann die grundsätzliche Debatte dieses Tages, bei | |
der es vor allem um zwei Punkte ging: gibt es eine Neigung dazu, die | |
Sprachanstrengung realistisch erzählter Prosa zu übersehen und sie nur für | |
künstlerisch hochgetuntes Erzählen zu verwenden? Und: Soll Literatur | |
prinzipiell verstören? Ausgangspunkt war eine Wendung der Jurorin Meike | |
Feßmann gegen Jandls Banalitätsvorwurf. | |
Sie hielt ihm vor, nur forcierte Kunstanstrengung als hohe Literatur gelten | |
zu lassen. Zwei Stunden später, bei einer ganz anderen Autorin, | |
revanchierte sich Paul Jandl dann, indem er hier die Möglichkeiten eines | |
hohen ästhetischen Reflexionsniveaus hervorhob, bei der es um eine | |
intensive Verwandlung von Erfahrungen in Sprache und damit Literatur gehe. | |
In solchen Bemerkungen flackerte nicht nur der alte Streit zwischen | |
Avantgarde und gut gemachtem Erzählen auf; anschlussfähig wären auch | |
Überlegungen gewesen, wie ironisch gebrochen oder pathetisch ausgeführt das | |
Schreiben von Texten heute sein muss. Es ist durchaus eine Leistung der | |
Jury, anhand von konkreten Texten an solche letzten Dinge der | |
Literaturkritik gerührt zu haben. Die Beantwortung der Frage, warum die | |
Verwandlung von Erfahrung in Literatur nicht auch lässig und locker | |
gelingen könne, blieb Jandl allerdings schuldig. | |
Dafür waren sich alle sieben Juroren bei der nächsten Autorin einig: Olga | |
Martynowas Geschichte „Ich wer sagen: Hi!“ kam gut an. Das war ein | |
Flickenteppich von Motiven, der die ganz große Menschheitsgeschichte – das | |
alte Ägypten, Adam und Eva – mit ganz alltäglichen Beobachtungen eines | |
jungen Mannes verlötete, aus dem wohl ein Schriftsteller werden wird. | |
Und als letzte erzählte die 1983 geborene Autorin Lisa Kränzler, die ein | |
großes Talent zu einer intensiven, fast dramatischen bildhaften Sprache | |
hat, von den Schrecken, die auch in ganz jungen Kinderjahren empfunden | |
werden können. Eindringliche Szenen von auf einem Dorf totgeschlagenen | |
Kätzchen, die Konkurrenzgefühle von Kindergartenkindern, die in einem | |
kleinen Theaterstück auftreten sollen – das alles wird in dieser Geschichte | |
in einer vibrierendes, dichtes Sprachtableau übersetzt, das stellenweise | |
expressive Züge annimmt. | |
Der Text, der abfiel, stammte von dem Schweizer Autor Simon Froehling. Er | |
erzählte reichlich überkonstruiert von einem Mann, der eine Spenderniere | |
braucht, und einer Frau, die sie ihm nach ihrem plötzlichen Unfalltot | |
spendet – und dabei als Tote stellenweise sogar zu einer allwissenden | |
Erzählerin wird. Für mich war es die einzige Erzählung des heutigen Tages, | |
die ihren literarischen Einsatz und ihren Literaturwillen nicht aus sich | |
selbst heraus legitimieren konnte. | |
Zum Wetter hier in Klagenfurt muss man auch unbedingt noch etwas sagen, es | |
ist nämlich geradezu gemein: schön, heiß, zum Baden im Wörthersee einladend | |
während der Lesungen. Sobald die aber am Nachmittag zu Ende sind, gibt es | |
wie am Donnerstag ein Gewitter oder wie jetzt am Freitag sogar einen | |
regelrechten Sturm. Am Samstag soll es aber wirklich schön werden. | |
6 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt: Wo der Hund begraben liegt | |
Coming-of-Age-Geschichten bildeten neben vielen Tieren den roten Faden in | |
Klagenfurt. Das öffentliche Sprechen über Literatur geriet oft an seine | |
Grenzen. Olga Martynova gewann. | |
3. Tag Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt: Nostalgischer Blick | |
Auch ein effektvoller Auftritt gehört in Klagenfurt zum Kalkül. Am letzten | |
Vorlestag dominieren Kindheitsgeschichten. Von jungen Hunden, frühen Vögeln | |
und Hühnern ohne Köpfe. | |
1. Tag Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt: Experimentelles Schaumschlagen | |
Erst plätscherte es literaturhausmäßig dahin. Doch dann stritten die | |
Juroren ganz unerwartet leidenschaftlich über die Legitimität der | |
experimentellen Literatur. |