# taz.de -- Hörspiel zum Roman „Unendlicher Spaß“: Online-Polyfonie der S… | |
> Laien können im Internet einzelne Seiten aus dem Roman von David Foster | |
> Wallace einsprechen. Die ersten sind erstaunlich professionell | |
> produziert. | |
Bild: Bei der 24-Stunden-Aufführung des Buches schlief das Publikum. Hörspiel… | |
Seite dreihundertzweiundachtzig, das ist jetzt meine. Um Tennis geht es da, | |
wie so oft bei David Foster Wallace. Um einen Spieler, der sich übergeben | |
muss. Um das schrille Grunzen der U-18-Juniorinnen auf dem Court. | |
Ich starte die Tonaufnahme und beginne, den Text vom Bildschirm abzulesen. | |
Wenn die Aufnahme fertig ist, soll sie ein Schnipsel in einem Mammutprojekt | |
sein: einem Hörspiel aus dem über 1.500 Seiten langen Roman „Unendlicher | |
Spaß“ von David Foster Wallace – einem Werk, über das sich | |
Literaturkritiker in Ekstase loben können. | |
Tausende Amateure sollen den Roman einlesen. Seite für Seite. Das ist die | |
Idee von Andreas Ammer, dem vielfach preisgekrönten Hörspielproduzenten. | |
Finanziert wird das Mammutprojekt vom WDR. So wie ich kann jeder andere | |
sich [1][mit einem Klick auf unendlichesspiel.de eine Buchseite | |
reservieren]. Man hat eine Stunde Zeit, sie einzulesen und hochzuladen. | |
Ein Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen? Weil ein Hörspiel dieses | |
Umfangs selbst Öffentlich-Rechtlichen in der Produktion zu teuer wäre? So | |
will Ammer das auf keinen Fall verstanden wissen. „Das ist kein | |
Künstlerdumping“, sagt er. Allein die Programmierung der Seite habe viel | |
Geld verschlungen. Er sieht die Arbeit mit Laien als künstlerische | |
Entscheidung. Sein Weg entspreche der Polyfonie des Romans – mit all seinen | |
Sportreportagen und Bedienungsanleitungen, dem Alltagsgeschnatter und den | |
PR-Rundschreiben, aus denen er zusammengesetzt ist. Durch die Arbeit mit | |
Amateuren entledigt sich Ammer obendrein der Illusion des Realismus. | |
## Musik aus der „Goldenen Maschine“ | |
Ich verstolpere mich in den verschachtelten David-Foster-Wallace-Sätzen, | |
lese ohnehin viel zu schnell. Noch mal. Langsam. Ich will mich schließlich | |
nicht blamieren, wenn ich schon mitmache. | |
Bis zu hundert Stunden lang wird das fertige Produkt sein, schätzt | |
Hörspielmacher Ammer. Je nachdem, wie viel Raum die Musik bekommt. Den | |
Soundtrack für das Projekt erzeugt eine „Goldene Maschine“, ein analoger | |
Synthesizer, der in Düsseldorf steht und den die Musiker Martin Gretschmann | |
(„Console“, „The Notwist“) und Andreas Gerth eigens dafür gebaut haben… | |
Musik wird im fertigen Hörspiel unter die Texte montiert. | |
Wie das am Ende klingt, kann man schon jetzt über die Homepage anhören. | |
Erste Abschnitte sind dort bereits veröffentlicht. Anfangs klingt das noch | |
recht konventionell – ein professioneller Sprecher hat das erste Kapitel | |
eingelesen. Diese Passage wird, ohne Musik, in dieser Woche auch beim WDR | |
zu hören sein. Primär aber steht das ganze Online zum Abruf bereit. | |
Kostenlos. Von der Crowd für die Crowd. Ab Szene sechs sprechen dann | |
ausschließlich Laien. | |
„Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche“, liest eine Frau. Die Aufnahme klingt | |
dumpf, darunter pumpern die Synthesizer-Sounds. Seite drei liest ein Mann | |
so professionell ein, als könne er damit auch sein Geld verdienen. | |
## 400 Seiten nach einer Woche | |
Eine Vorlesende reiht sich an den nächsten. Junge Stimmen. Alte Stimmen. | |
Mal schleppend durch den Text irrend, mal rheinischer Singsang. „In der | |
Regel sind die Lesungen, die uns erreichen, von bestechender akustischer | |
und artikulatorischer Qualität. Wir sind baff“, schreiben die | |
Hörspielmacher ermutigend auf dem Blog des Projekts. | |
Über 400 Seiten sind bereits eingelesen und hochgeladen, eine Woche nach | |
Start des Projekts. Ammer und seine Mitstreiter hatten sich eigentlich ein | |
Jahr Zeit gegeben, um alles zusammenzusammeln – und kommen mit dem | |
Produzieren der Passagen kaum hinterher. | |
Meine Aufnahme ist fertig. Etwa drei Minuten ist sie lang, bricht, wie die | |
Buchseite, mitten im Satz ab. Zwei Klicks und sie ist auf | |
unendlichesspiel.de hochgeladen. Jetzt bin ich raus. Übrig bleibt nur meine | |
Stimme als eine von anderthalbtausend. | |
16 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.unendlichesspiel.de | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
## TAGS | |
David Foster Wallace | |
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