# taz.de -- Neuer Roman von Leif Randt: Im Zweifel highly relatable | |
> Leif Randt wendet sich in „Lets Talk About Feelings“ erneut der | |
> Oberfläche und diesmal auch der Mode zu. Politisch ist das irritierend, | |
> inhaltlich fad. | |
Bild: Voller Liebe fürs Details – doch was kommt rum? Schriftsteller Leif Ra… | |
Um Gefühle geht es nicht, im neuen Roman von Leif Randt. „Let’s talk about | |
feelings“ heißt der zwar, doch schon im Umweg über das Englische spiegelt | |
sich die ironische Distanz, die der große Apathiker Randt Emotionen und | |
Affekten gegenüber einnimmt. Dabei passiert eigentlich so einiges im Roman, | |
was große Gefühle hervorrufen sollte. | |
Die Ex-Freundin bekommt ein Baby, Freundschaften verändern sich, angeblich | |
verliebt sich der 41-jährige Marian sogar. Gleich zu Anfang des Romans | |
betrauert er zudem seine Mutter, die – einst erfolgreiches Model – nun | |
ascheförmig ihre letzte Ruhestätte im Berliner Wannsee findet. Marian | |
versagt die Stimme, als er seine Trauerrede vom eigens dafür gekauften | |
Tablet abliest, eigentlich denkt er jedoch auch während der Seebestattung | |
vor allem über Fischerhüte und in Stoffservietten geschlagene Salzbrezeln | |
nach. | |
Er kann vielleicht schlicht nicht anders, denn schon von Berufs wegen ist | |
Marian der Oberfläche zugetan. Als Eigentümer des Boutique-Geschäfts | |
„Kenting Beach“ verkauft er Vintage- und Designermode. Finanziell gibt es | |
Schwierigkeiten, nichts Dramatisches, Marian lebt ein angenehmes Leben, in | |
dem Emotionen wie Freude oder Trauer keine große Rolle spielen und er | |
stattdessen den Parametern zufrieden oder unzufrieden zuneigt. | |
## Kapitalistische Gegenwart | |
Es sind Consumer-Kategorien, die hier zur Anwendung kommen, in einer Welt, | |
die nur aus Waren besteht. Marian nutzt kein Smartphone, sondern ein iPhone | |
13 mini, er sitzt nicht im Sessel, sondern auf einer | |
Androsabini-Chair-Replik. Es ist alles Design bei Leif Randt. Alles Design, | |
Kunst ist tot. | |
Es ist wahrscheinlich gar nicht so leicht, sich derart exzessiv mit dem | |
Frontend der kapitalistischen Gegenwart zu befassen, ohne sich einen | |
einzigen klugen Gedanken zu erlauben, der als Zeitgeistanalyse durchgehen | |
könnte. Ja, jeder Telegram-User hat sich wohl schon mal Gedanken um die | |
Handhabe des Gegenübers mit Doppel- und Einfachhäkchen gemacht. Und nein, | |
niemand liebt es, Pakete bei Nachbarn abzuholen „und mit notdürftig | |
recycelten Päckchen zur Post zu laufen“. | |
Randt bringt Gedankengänge zu Papier, die sich schon im Kopf nur selten | |
ausformulieren, zu nichtig sind sie für ein Gehäuse aus Satz und Wort. | |
## Marian ist massenkompatibel | |
Die Marke Marian ist massenkompatibel, die fleisch- und literaturgewordene | |
Variante eines Point-of-View-Posts; im Zweifel highly relatable. Die | |
Währung ist nicht Inhalt, sondern Dopamin. Mit der Welt ist man so gleich | |
um zwei Prozent versöhnter. Alles kann bleiben, wie es ist: Die einzige | |
Haltung, die das Spektakel fordert, ist die der passiven Hinnahme. | |
Statt echter Gefühle sind Trigger ausreichend. Kürzlich bekannte Leif Randt | |
in der Zeit, „schon auch Schrott“ zu kaufen. „Neulich habe ich ein Foto v… | |
dem Fußballer Hugo Ekitiké gesehen in einer blau-weißen Sportjacke mit | |
hohem Kragen, Hornbrille und einer Louis-Vuitton-Tasche [1][mit Labubus | |
dran.] Dazu hatte er zwei Handys in der Hand, die farblich perfekt passten | |
– da war ich schon ein bisschen stolz auf ihn“, so Randt. „Wenn etwas so | |
drüber und voller Liebe fürs Detail ist, kann ich es auf jeden Fall | |
umarmen.“ | |
Auf Randt scheinen sich seit jeher alle einigen zu können. Seine | |
„konsequent durchgehaltene Verweigerung jeglicher Substanzialität“ (SZ) | |
lässt seit seinem ersten Roman „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ | |
Kritikerherzen höher schlagen. Sein Faible für Trivialitäten ist bekannt. | |
Auch [2][in „Allegro Pastell“, seinem erfolgreichsten letzten Roman,] gibt | |
es kaum echte Emotionen, die Figuren verharren im Hyperreflexiven. | |
„Let’s talk about feelings“ ist jedoch stellenweise so banal, dass Randt | |
sich offenbar genötigt sah, die Tür zur Satire anzulehnen. „In der Mitte | |
hohl“, ist eine Kritik zu einem Film überschrieben, der Marian gut gefällt | |
und mit dessen Protagonisten er sich „problemlos identifizieren“ kann. Wen | |
die offensive Oberflächlichkeit abstößt, dem präsentiert sich also | |
zumindest an dieser Stelle die Option auf Flucht in die Metaebene. | |
## Keine Lust auf Kommunismus | |
Man kann Randts Erzählhaltung sicherlich als „Kritik an der Kritik“ | |
abstempeln, so deutete das etwa Moritz Baßler. Doch wer doppelt verneint, | |
affirmiert nicht nicht. Den postmodernen Kapitalismus zeichnet genau diese | |
ironisch-distanzierte Haltung ihm gegenüber aus; eine andere Welt ist eben | |
auch unmöglich. | |
Oder in Marians Worten: „Als ich etwa fünfzehn Jahre alt war, habe ich mal | |
zu meiner Mutter gesagt, dass ich keine Lust auf Kommunismus hätte, weil es | |
da bestimmt nur eine eingeschränkte Auswahl an Klamotten geben würde“. | |
Politisches Bewusstsein fehlt ihm jedenfalls gänzlich. Einmal denkt Marian | |
über seinen besten Freund Piet nach, der gewiss „seine Kritik an der | |
Gegenwartskultur schärfen (würde), entweder ziemlich konservativ oder sehr | |
viel linker werden, und er würde in beiden Fällen ein mitreißender | |
Charakter bleiben“. | |
Damit Politik in „Let’s talk about feelings“ keine Rolle zu spielen | |
braucht, bedient sich Randt eines Tricks. In seinem Deutschland sind einige | |
Weichen anders gestellt: Zwar hört das Jahr auf den Namen 2025 und Robert | |
Habeck ist Vizekanzler, allerdings koaliert seine Partei mit den | |
linksliberalen „Progress16“. Die Rechten stehen bei 10 Prozent, bei der | |
nächsten Wahl werden sie wohl in den Bundestag einziehen. | |
Wenn Marian bedauert, dass es immer weniger Menschen gibt, die sich als | |
apolitisch identifizieren, mag das in einer Welt, in der Bernie Sanders | |
zwei Amtszeiten absolvieren konnte, irgendwo mehrheitsfähig sein. | |
„Unpolitisch“ zu sein oder sich exzessiv mit Markenkleidung zu | |
beschäftigen, das wird in Berlin 2025 jedoch moralisch stärker geahndet als | |
auf Sylt 1995. Die Rechten kommen realiter auf über 20 Prozent, die | |
Konservativen schielen in Richtung Zusammenarbeit. In einer | |
pastellfarbeneren Gegenwart lässt es sich guten Gewissens dem Schönen und | |
Teuren zuwenden, so scheint sich Randt abgesichert zu haben. | |
Das ist politisch ein bisschen feige und inhaltlich einigermaßen fad: Wer | |
provokant Trivialitäten aufs Tapet bringt, der könnte sich auch trauen, den | |
Tisch in der echten Gegenwart aufzustellen. | |
6 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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