| # taz.de -- Science Fiction von Leif Randt: Kollektiv der gebrochenen Herzen | |
| > Im Sonnensystem von ActualSanity herrscht das Glück. Eine | |
| > regierungskritische Bewegung aber kämpft um das Recht auf Unglück. | |
| Bild: Manche sagen: Herz ist stumpf. | |
| Eine der Kinderfragen, die man dem Kommunismus immer wieder stellt, lautet, | |
| wer eigentlich den Müll wegräumt, wenn jeder heute dies und morgen das tun | |
| kann, ohne jemals dies oder das tun zu müssen. In Leif Randts neuem Roman | |
| „Planet Magnon“ wird diese Frage per Losverfahren entschieden. Wen das Los | |
| trifft, muss für ein paar Wochen auf den Planeten Toadstool, wo der gesamte | |
| Abfall des Sonnensystems landet und sortiert wird. | |
| Von klassenloser Gesellschaft ist in Randts Roman nie die Rede. Aber bei | |
| der Gesellschaft, die der Autor schildert, könnte es sich um so etwas | |
| Ähnliches handeln. Beschrieben wird eine Planetengemeinschaft aus der | |
| „Neuen Zeit“, die sich auf sechs Planeten und zwei Monde verteilt. Es | |
| herrscht totaler Frieden, Nationen gibt es nicht mehr, die Bevölkerung | |
| organisiert sich freiwillig in „Kollektiven“: Dolfins, Hanks, Voltas oder | |
| Shifts definieren sich nicht über Herkunft, sondern über Kleidungs- und | |
| Sprachstile, sportliche oder kulinarische Vorlieben. | |
| Regiert beziehungsweise postdemokratisch reguliert wird die | |
| Planetengemeinschaft von ActualSanity, einem Computerprogramm. AS ermittelt | |
| die Bedürfnisse der Bewohner algorithmisch und verteilt Finanzmittel nach | |
| Maßgabe einer „planetengemeinschaftlich akzeptierten Fairness“. | |
| ## Esist nicht alles so golden wie das Cover | |
| In dieser extrasoften Sessellandschaft wirft die Gegenwart dann aber doch | |
| keinen so goldenen Schein auf die Zukunft wie das Buchcover auf den | |
| Betrachter. Für Unmut sorgt die Definition von Glück. | |
| Von der AS wird derzeit das Kollektiv der Dolfins begünstigt. Die Dolfins | |
| sind Anhänger der „PostpragmaticJoy“, der Annahme, alle Empfindungen und | |
| Reaktionen seien durch intellektuelle Techniken kontrollierbar und | |
| ungestörtes Glücklichsein ein Schwebezustand, den jeder erreichen könne und | |
| müsse. Würde dieses Planetensystem Deutschland repräsentieren, dann wäre | |
| Blossom, der urbane Hauptplanet, Berlin und das Kollektiv der Dolfins der | |
| Prenzlauer Berg, die Kulturelite unter den Planetenbewohnern. | |
| So wie der Kulturprotestant vom Prenzlauer Berg permanent so hart am guten | |
| Leben arbeitet, dass ihm ein sinnloser Rausch ein schlechtes Gewissen | |
| produziert, ist dem Dolfin alles Unkontrollierbare suspekt. | |
| Gegen diese Herrschaft des Glücks, das jede Spontaneität und | |
| verschwenderische Intensität ausschließt, richtet sich der Protest der | |
| Hanks, das „Kollektiv der gebrochenen Herzen“. Sie propagandieren die | |
| Existenz von Schmerzen und damit von Leidenschaft. Sie kämpfen sozusagen | |
| für das Recht auf Unglück. Und sie werden militanter. Es kommt zu einem | |
| Anschlag, auf den die Dolfins mit aggressiver Gegenpropaganda reagieren. | |
| ## Es macht nicht Peng! | |
| Ob die Hanks das System der AS und die Ideologie der Dolfins am Ende | |
| wirklich stürzen wollen, weiß man nicht so genau. In diesem Sonnensystem | |
| gibt es nichts richtig Falsches, und es gibt nichts richtig Richtiges. Auch | |
| der Hauptprotagonist und „Spitzenfellow“ Marten Eliott, nach dem Anschlag | |
| auserwählt, den Propagandafeldzug für die Dolfins zu führen, ist zu | |
| intelligent, als dass er nicht an seinem eigenen Kollektiv zweifeln würde. | |
| Ob er selbst auf diese Gedanken kommt oder die AS diese Zweifel sogar | |
| intendierte, bleibt am Ende: in der Schwebe. | |
| So wie im Übrigen auch alle anderen Charaktere und Kollektive und die | |
| gesamte Erzählung, die zwischen Utopie und Dystopie, zwischen Zukunft und | |
| Gegenwart schwankt. Man muss „Planet Magnon“ natürlich gar nicht in einer | |
| fernen Zukunft, sondern kann es in der gegenwärtigen sogenannten | |
| postpolitischen Gesellschaft verorten. Eine Gesellschaft, deren höchstes | |
| Gut das vermeintlich Freischwebende ist, das als Überwindung des | |
| ideologischen Denkens und Handelns gilt. | |
| Der Roman fühlt sich in dieser Gegenwart weder richtig unwohl noch richtig | |
| wohl. Dafür sagt jeder Satz das, was er zu sagen hat, herrlich nüchtern und | |
| dabei seltsamerweise auch hochkomisch. Man verklebt nicht auf einer | |
| Schleimspur affektierter Schmuckadjektive. Man geht eher sich selbst auf | |
| den Leim, wenn man beim Lesen lange auf eine schrill schreckliche | |
| Überwachungstechnologie wartet, mit der sich der Autor als großer Visionär | |
| bestätigen ließe. Schon in seinem vorangegangenen Roman, „Schimmernder | |
| Dunst über Coby County“, aber fiel Randt durch minimalistische Schönheit | |
| auf. | |
| Es gibt keinen großen Peng. Der angekündigte Tropensturm bleibt aus. Zum | |
| Müllplaneten fährt ein gewöhnlicher Shuttle, die Dolfin-Elite trinkt | |
| Colabier und die Hank-Chefin isst Döner. Die Zukunft ist in Randts Romanen | |
| eben auch nicht aufregender als die Gegenwart, die er mit allem, was sie zu | |
| bieten hat, letztlich für liebens- und lebenswert hält. | |
| Wenn Marten Eliot auf Werbetour für sein Kollektiv geht, sucht er nach | |
| Jüngeren, die ihn „leicht irritieren“ und die er „nicht vollends versteh… | |
| kann“. Eine schöne Beschreibung für Leif Randts Prosa: leicht irritierend | |
| und nicht vollends zu verstehen. Kurz: große Literatur. | |
| 12 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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