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# taz.de -- Leif Randts Roman „Allegro Pastell“: Gedanken im Wellnessbereich
> Mit seinem neuen Buch nähert sich Randt den Lebenslügen der jungen
> Mittelklasse. Und hat damit Chancen auf den Preis der Leipziger
> Buchmesse.
Bild: Leif Randt hat eine „vage Sehnsucht danach, dass etwas passiert“.
Solange es bei dir immer hoch und runter geht, ist alles in Ordnung. Was
sich anhört wie der Kalenderspruch einer Kreativagentur, ist der Lebensrat
des HipHop-Künstlers Yung Lean an seine YouTube-Fans. Der Markenkern des
23-jährigen Schweden sind ein schlurfend-träger Gesang, dunkeltrübe
Stimmung und Texte aus Wortketten, die Mode, Limonaden, Marken, Gesten,
Slang und was sonst noch so im Internet rumschwimmt, referieren. Wenig
aufregend, aber der Sound seiner Generation.
Den Spruch von Lean stellt der [1][Autor Leif Randt] einem Kapitel seines
neuen Romans, „Allegro Pastell“, voran. Anders als das noch kurze Leben des
Rappers kennt das Leben von Randts Protagonisten Tanja Arnheim (29) und
Jerome Daimler (Mitte 30) keine sehr großen Ausschläge. Während Tanja an
ihrem zweiten Roman in Berlin schreibt, entwickelt Jerome Websites im
Bungalow seiner Eltern im südhessischen Maintal, einer Stadt, in der es
„primär darum ging, nicht gestört zu werden“.
Tanja und Jerome sind beide das, was man landläufig hip nennt, also modisch
gekleidet, sportlich, aufgeklärt, sie gehen in Clubs, nehmen hin und wieder
Drogen, führen eine Fernbeziehung. Am allerwichtigsten aber ist ihnen, dass
sie den „Zustand dauerhaft-stabil lebensbejahender Euphorie“ (Tanja)
beziehungsweise den „Zustand distanziert lebensbejahender Zugewandtheit“
(Jerome) erreichen und halten. Ihre Gedanken drehen sich die ganze Zeit um
eine „Verbesserung des Lebensgefühls“.
Materielle Sorgen aber haben sie nicht, sie kommen aus wohlhabenden
Elternhäusern. Ihre Sorge ist ihr Selbst. Sie betreiben eine intensive
Pflege ihres Ich, schicken ihre Gedanken in den Wellnessbereich und legen
sie auf die Analytikercouch. Ständig ist es wichtig, sich irgendwo zu Hause
oder heimisch zu fühlen, im Lissabonner Restaurant, in der Frankfurter
Regionalbahn, vor dem Hotelzimmerfernseher oder in den Badmintonschuhen.
## Gutbürgerlich, gutsituiert und gutgelaunt
Tanja und Jerome führen ein Leben im abgesicherten Modus. Sie sind Leute,
die auch in dem [2][Film „Call Me by Your Name“], über den sie sich immer
streiten, mitspielen könnten. Beide hatten eine glückliche Kindheit in
gutbürgerlichen, gutsituierten, gutgelaunten und entspannten Verhältnissen,
in denen sie homosexuell sein könnten, mehrsprachig sind und damit
beschäftigt, ihre Aprikosen im Garten zu ernten und daraus Saft zu machen.
„Allegro Pastell“ wäre der perfekte Name für eine Pille, die sich alle
immer wieder einwerfen, um diesen Glückszustand zu erreichen. Ist er aber
nicht. Dieses Milieu ist einfach so.
Leif Randt hat ein extrem starkes Gespür für Sprache und Gemüt dieses
Milieus, in dem Hunde Bernie Sanders heißen. Es ist sein dritter Roman, der
in diesem Umfeld spielt. Aber der erste, der nicht in einer mittelfernen
Zukunft, sondern im Jetzt angesiedelt ist, zwischen Frühjahr 2018 und
Sommer 2019. Er liest sich wie ein Sittengemälde der Berliner Republik in
ihren letzten Tagen.
Der Überdruss, die Selbstgerechtigkeit, die Leidenschaftslosigkeit und
Kampfunwilligkeit der Protagonisten in diesem Roman lassen sich trotz viel
Ironie und Witz nicht wegschmunzeln. Man fürchtet, der einzige Eifer, der
sich noch entwickeln könnte, wäre ein Amoklauf, wenn nicht bald mal jemand
laut brüllt, auf den Tisch haut und endlich mal kein Verständnis mehr für
den anderen aufbringt und Niederlagen nicht als Chance begreift, sondern
schlicht stinksauer ist.
Anders als in dem Film „Call Me by Your Name“, in dem immerhin der Gärtner
und die Köchin am Rande auftauchen, kommt in der Welt von Tanja und Jerome
niemand vor, der nicht so ist wie sie. Und wenn, wie eine Affäre von Tanja,
dann verschwindet der auch ziemlich schnell wieder. Oder bleibt unbekannt
am Rand, wie die weiblichen Mitarbeiterinnen in Autoverleih Köhler’s
Electric Rental.
## Wehmut links, Nostalgie rechts
Auch Politik ist abwesend. Jerome hat zwar Ideen für eine flexibler
gestaltete gesellschaftliche Arbeitsverteilung. Ansonsten aber schätzt er
es einfach, wenn Menschen Wehmut entwickeln, was er für links hält, weil es
ein „Eingeständnis von Schwäche“ sei, während er Nostalgie politisch
rechts einstuft. Tanja möchte sich überhaupt „keiner politischen Richtung
verschreiben“, da das „ihre Fähigkeit, ergebnisoffen Geschichte zu
schreiben, zwangsläufig ersticken würde“.
Nichts und niemand setzt die beiden unter Druck. Trotzdem fühlen sie sich
ständig bedrängt. Beispielsweise Tanja, weil sie nicht weiß, mit welchen
Farben, Formen und Gesten sie sich „identifizieren“ kann, um ihre Website
zu gestalten. Immerhin kann Jerome da helfen. Er weiß, dass sich die
Website „zu gleichen Teilen hermetisch geschlossen und flexibel verspielt
anfühlen“ muss.
Immer schön flexibel bleiben, das würden die beiden gern. Müssen sich aber
immer wieder eingestehen, dass es eigentlich nicht ihr Ding ist. Ihre „vage
Sehnsucht danach, dass etwas passiert, das sich der eigenen Kontrolle
entzieht“, wie Tanja es formuliert, entpuppt sich als Selbstlüge. In dem
Moment, wo etwas nicht nach Plan läuft, gerät das Selbst sehr schnell ins
Wanken.
Sie würden gern „Widersprüche genießen“. Das Problem ist allerdings, dass
sie überhaupt erst mal auf Widersprüche stoßen müssen. Und da sie sich aus
ihrer Blase keinen Zentimeter rausbewegen, finden sie auch keine. Jerome,
so denkt Tanja, ist ein Mann, der im Fitnessstudio positiv auffällt, weil
seine Eitelkeit „erfrischend anders gelagert war“. Was sie damit aber
eigentlich meint, weiß nicht mal sie. Denn erfrischend anders sind die
beiden nicht.
## Gewöhnlichkeit auf den Punkt bringen
Jerome bringt ihrer beider Gewöhnlichkeit auf den Punkt: Er mag an Tanja
„ihre Bereitschaft, auch gewöhnlichere Gedanken zu teilen“. Die Sätze, die
Randt seine Protagonisten sagen lässt, und die Sätze, in denen er ihre
Gedankenwelt nacherzählt, sind präzise dem Milieu abgehört. Wir hören sie
ständig: im Flugzeug auf einem innereuropäischen Flug, an der
Kassenschlange vor den Clubs, in den U-Bahnen, Cafés, auf den Bahnhöfen,
auf Twitter und im Fernsehen.
In endloser Ausgedehntheit wird über Banalitäten geredet, was sich anhört
wie Persiflagen auf die Unterhaltung rüstiger Rentner im
Dauerausflugsmodus: „Der Flug war trotz leichter Verspätung gut gewesen,
viel besser als alle Ryanair-Flüge, die Tanja jemals erlebt hatte. Sie
hatte beim freundlichen Bordpersonal einen Wrap mit Hähnchen und eine Coke
Zero bestellt – beides hatte ihr gut geschmeckt.“
Das Leben dieser beiden ist wie ein Protestantismus ohne Pastor, ein
Hedonismus ohne Leidenschaft. Die Clubs und Bars nutzen sie letztlich nicht
anders als ihre Fitnesstudios, statt Pilates und Yoga gibt es eben Tanz-
und Sexworkouts.
„Stilistisch präzise gearbeitete Texte über ein schwer zu greifendes
Lebensgefühl waren für Kinder vollkommen uninteressant. Es würde Jahrzehnte
dauern, bis ihre eigenen Nachkommen verstehen könnten, was Tanja
beschäftigt hatte, als sie Ende Zwanzig gewesen war“, heißt es an einer
Stelle. „Allegro Pastell“ ist genau dieser Versuch und liest sich wie eine
Bestätigung all derer, die der selbstbezogenen, weißen, deutschen
Mittelschicht vorwerfen, ihre Privilegien nicht zu checken, oder ihr
empfehlen, selbiges zu tun.
Das aber dürfte auch die Welt sein, in der die meisten leben, die die
[3][Bücher von Randt] überhaupt lesen. Und natürlich ist in dieser Welt
nicht alles schlecht. Aber es dürfte ungemütlicher werden in ihr. Denn
schon in Tanjas zweitem Roman soll es um einen grünen Bundeskanzler gehen,
der sich gegen eine faschistische, weiblich angeführte Opposition behaupten
muss.
9 Mar 2020
## LINKS
[1] /Science-Fiction-von-Leif-Randt/!5017078
[2] /Schwuler-Coming-of-Age-Film/!5485639
[3] /Leif-Randts-neuer-Roman/!5113822
## AUTOREN
Doris Akrap
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Literatur
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