# taz.de -- Gesetzentwurf zum Schutz von Polizisten: Bei Schubsen Knast | |
> Polizisten sollen per Gesetz besser geschützt werden. Doch nicht nur die | |
> Zahlen, auf denen der Vorstoß beruht, sind mit Vorsicht zu genießen. | |
Bild: Geplante Gesetzesverschärfung: Hauptsache nicht schubsen | |
BERLIN taz | Mal angenommen, 100 Menschen demonstrieren friedlich gegen | |
Atomkraft. Sie sitzen mit Transparenten vor einem AKW, die Polizei soll | |
räumen. Eine Demonstrantin wird unsanft angefasst, im Eifer des Gefechts | |
schubst sie einen Polizisten. Der erleidet weder Schmerzen noch wird er | |
verletzt, beides wollte die Demonstrantin auch nicht. Trotzdem soll sie für | |
drei Monate in Gefängnis – mindestens. | |
So sieht es die Verschärfung eines Gesetzes vor, das am Donnerstag im | |
Bundestag beschlossen werden soll. Nicht nur unsere Demonstrantin, auch | |
SchwarzfahrerInnen, Fußballfans oder RuhestörerInnen drohen | |
Gefängnisstrafen, wenn sie sich etwa dazu hinreißen lassen, einen Beamten | |
oder eine BeamtIn auch nur anzurempeln. | |
KritikerInnen werten den Gesetzentwurf deshalb als Angriff auf das | |
Versammlungs- und Demonstrationsrecht. Bürgerrechts-NGOs wie der | |
Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und die Humanistische Union | |
kritisieren ihn als ungeeignet und verfassungswidrig. Auch die | |
Berufsverbände Deutscher Richterbund, Neue Richtervereinigung und der | |
Deutsche Anwaltsverein sehen das Vorhaben kritisch. | |
Laut Entwurf des „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung d… | |
Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ soll die | |
Mindeststrafe bei „tätlichen Angriffen“ auf drei Monate Freiheitsstrafe | |
erhöht werden; Höchststrafe bleibt fünf Jahre. Konkret geht es um die | |
Verschärfung der Paragrafen 113, 114 und 115 des Strafgesetzbuches. In | |
Paragraf 113 soll der „tätliche Angriff“ gestrichen und dafür in Paragraf | |
114 das neue Delikt „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ eingefüh… | |
werden. | |
„Tätliche Angriffe“ sind bereits strafbar – so etwa als versuchte oder | |
tatsächliche Körperverletzung oder Nötigung, wozu auch Schubsen oder | |
Anrempeln gehören. Zu einer Verletzung oder Schmerzen muss es dabei nicht | |
kommen. Der zu ahnende „Angriff“ muss zudem nicht mehr während einer | |
sogenannten Vollstreckungshandlung passieren, etwa einer Festnahme. | |
Stattdessen soll das Gesetz für die gesamte Dienstzeit von PolizistInnen | |
gelten. | |
## Knast statt Geldstrafe | |
In weniger schweren Fällen waren bisher Geldstrafen möglich und üblich. Die | |
soll es künftig nicht mehr geben. Stattdessen soll ein besonders schwerer | |
Fall vorliegen, wenn TäterInnen eine Waffe oder ein anderes gefährliches | |
Werkzeug bei sich führen – selbst wenn „keine Verwendungsabsicht besteht�… | |
Das Mitführen eines Messers im Rucksack würde also genügen, auch wenn | |
keinerlei Absicht bestand, es für den Angriff zu verwenden. Und schließlich | |
soll sich die Strafe auf mindestens sechs Monate verdoppeln, wenn der | |
„tätliche Angriff“ aus einer Gruppe heraus begangen wird. | |
Justizminister Heiko Maas (SPD) hat das neue Gesetz im November 2016 | |
angekündigt. Auf der Webseite seines Ministeriums lässt er sich | |
folgendermaßen zitieren: „Die Zahl der tätlichen Angriffe auf Polizisten | |
und Rettungskräfte steigt. Polizisten werden alltäglich brutal attackiert, | |
ob von rechten Reichsbürgern oder linken Autonomen, auch mit Waffen.“ In | |
der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, 2015 seien 64.400 Polizisten | |
Opfer von Straftaten geworden – etwa 5.000 mehr als noch zwei Jahre zuvor. | |
## Keine unabhängige wissenschaftliche Studie | |
Doch diese Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik sind mit Vorsicht | |
zu genießen. Bei der handelt es nämlich sich nicht um eine unabhängige | |
wissenschaftliche Studie, sondern sie spiegelt das Anzeigeverhalten der | |
Betroffenen wider. Die Statistik sagt nichts über die tatsächliche Anzahl | |
der Fälle aus, sondern ausschließlich über die Anzahl der gemeldeten | |
polizeilichen Opfer. Wo sich 2011 pro Widerstandshandlung noch rund 1,6 | |
PolizistInnen als Opfer registrierten, waren es 2015 schon 1,8 | |
PolizistInnen. Wird heute bei einer Demo ein Stein Richtung Polizei | |
geworfen, melden sich mehr BeamtInnen als früher. | |
Übertriebene Zahlen seien „systemimmanent“, kritisieren Bürgerrechtler, | |
„weil nicht erfasst wird, wenn ein Verfahren eingestellt wurde oder mit | |
einem Freispruch endete und sich der Vorwurf nicht bestätigt hat“. Von mehr | |
Angriffen auf Polizisten könne nicht die Rede sein, zugenommen habe die | |
Dramatisierung durch die Polizeigewerkschaften. | |
Zudem enthalten die 64.400 Fälle alle Delikte von einfachen | |
Widerstandshandlungen und Beleidigungen (44.120 Fälle) über | |
Körperverletzung bis hin zu Totschlag und Mord (kein Fall). Die Zahl der | |
registrierten Widerstandshandlungen ist dabei nicht gestiegen, sondern | |
zurückgegangen. | |
## PolizistInnen werden privilegiert | |
Angriffe jeder Art auf PolizistInnen werden schon heute vom Strafrecht | |
abgedeckt. Die Neuregelung würde dazu führen, PolizistInnen gegenüber der | |
Normalbevölkerung zu privilegieren. Eine derartige Sonderbehandlung | |
verstößt nach Ansicht der Bürgerrechtler gegen Artikel 3 des Grundgesetzes: | |
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Einen sachlichen Grund für | |
diese Ungleichbehandlung sehen sie nicht. | |
Der Paragraf 113 des Strafgesetzbuches – Widerstand gegen | |
Vollstreckungsbeamte – sollte ursprünglich dazu dienen, TäterInnen zu | |
schützen. Menschen, die sich in einer emotional aufgewühlten Situation der | |
bewaffneten Staatsmacht gegenübersehen, reagieren oft erregt, ängstlich | |
oder wütend. Taten, die in einer solchen Ausnahmesituation begangen werden, | |
sollten demnach nicht so hart bestraft werden wie andere | |
Nötigungshandlungen. | |
Das neue Gesetz würde dieses Verständnis ins Gegenteil verkehren: Ein | |
einfaches Schubsen, das normalerweise straffrei bleibt, soll – sofern es | |
sich gegen PolizistInnen richtet – drastisch sanktioniert werden. Der | |
Kriminologe Tobias Singelnstein spricht von einem „Privileg der Exekutive, | |
das man sonst eher in autoritären Staaten findet“. | |
Die Ausweitung des Gesetzes wird in Paragraf 115 auch auf MitarbeiterInnen | |
der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste übertragen. | |
Doch mit deren Privilegierung werden Begehrlichkeiten geweckt: Auch | |
LehrerInnen haben sich schon mit der Forderung nach besonderem Schutz zu | |
Wort gemeldet. | |
Kritiker meinen, die Gesetzesvorlage sei reine Symbolpolitik. Rafael Behr, | |
Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, | |
ist überzeugt: „Das wird keine Verbesserungen für PolizistInnen bringen.“ | |
Ein Betrunkener oder sonstig erregter Betroffener einer Polizeimaßnahme | |
werde sich allein wegen der Verschärfung nicht anders verhalten. | |
## Alte Forderung der Polizeigewerkschaften | |
Der Rechtswissenschaftler Henning Ernst Müller von der Universität | |
Regensburg äußert die Sorge, dass der Polizei in der Interaktion mit den | |
Bürgern „ein weiteres Mittel an die Hand gegeben wird, sich per | |
Gegenanzeige von einer Strafverfolgung bei unverhältnismäßiger | |
Polizeigewalt zu schützen“. Die eingeforderte Wertschätzung für die Beamten | |
werde sich durch ein schärferes Gesetz aber nicht erzwingen lassen, sondern | |
könne nur Folge eines Vertrauens in gute Arbeit sein. Die Novelle richte | |
sich damit „nicht an potentielle TäterInnen – sondern an WählerInnen“. … | |
an die Polizeigewerkschaften: Die fordern entsprechende Regelungen schon | |
seit Jahren. | |
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagte | |
in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses, PolizistInnen fühlten | |
sich „gedemütigt“, wenn sie Opfer von Gewalt geworden seien und es dann | |
kein oder ein mildes Urteil gebe. Seine Organisation begrüßt den | |
Gesetzentwurf – „nicht um mehr und härtere Strafen zu bekommen, sondern | |
weniger Angriffe“. Er schlug außerdem vor, als neues Tatbestandsmerkmal für | |
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte die „Drohung mit einem empfindlichen | |
Übel“ aufzunehmen, da immer öfter massive Drohungen gegen Polizeibeamte | |
ausgesprochen würden. | |
Konsequenzen wird das Gesetz vor allem für „TäterInnen“ haben – denn | |
PolizistInnen, die allenthalben dazu angehalten würden, sich als Opfer zu | |
melden, „werden jetzt viel mehr anzeigen“, davon ist Polizeiwissenschaftler | |
Behr überzeugt. Er erwartet als Ergebnis des Gesetzes deutlich steigende | |
Anzeigenzahlen – die wiederum Anlass für weitere Gesetzesverschärfungen | |
sein könnten. | |
## Demonstration vor dem Bundestag | |
Rechtswissenschaftler Müller hat hofft, dass „wenigstens zwei der gröbsten | |
Dinge noch anders geregelt werden“. So sollte das bloße Mitführen eines | |
Messer im Rucksack nur dann strafverschärfend wirken, wenn eine | |
Verwendungsabsicht besteht. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit in das | |
Gesetz integriert werden, einen „minder schweren Fall“ zu definieren, der | |
dann doch mit weniger als drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet werden | |
könnte. | |
Die Kampagne „Nein zum Polizeistaat“ hat eine Facebookseite unter demselben | |
Namen eingerichtet, die Hashtags #maaslosübertrieben und #113StGB, außerdem | |
eine Petition auf WeAct, die bisher rund 5.000 Mal unterzeichnet wurde. Für | |
Donnerstag hat ein Bündnis aus Bürgerrechts- und linken Gruppen eine | |
Kundgebung vor dem Bundestag angemeldet. | |
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Große Koalition gegen ihren | |
eigenen Gesetzentwurf entscheidet, ist gering. Ist das Gesetz zur Stärkung | |
des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften erst mal | |
verabschiedet, bleibt noch der Klageweg. Zuletzt könnte das | |
Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nicht verfassungskonform erklären. | |
26 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Erik Peter | |
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