# taz.de -- Ehrliche Finder, unehrliche Polizei?: Die 100-Euro-Frage | |
> Eine Frau findet ein Portemonnaie auf der Straße. Sie gibt den Geldbeutel | |
> bei der Polizei ab. Aber das Geld ist nicht mehr drin, als die Besitzerin | |
> ihn abholt. | |
Bild: 100 Euro waren im Portemonnaie. Nun sind sie futsch. | |
Sie gehöre nicht zu den Leuten, die bei jeder Gelegenheit auf die Polizei | |
schimpften, sagt Birgit A. Auch Polizisten seien Menschen mit Fehlern, | |
begingen Straftaten. Betrug und Korruption – so etwas höre man schließlich | |
immer wieder. Aber dass Polizisten Geld aus einem Portemonnaie klauen, das | |
als Fundsache auf der Wache abgegeben worden ist? „Das“, sagt A., „hat mi… | |
nachhaltig in meinem Glauben an die Polizei erschüttert.“ | |
Birgit A. ist Lektorin. Am Abend des 30. Mai – es ist ein Dienstag – war | |
sie in Neukölln unterwegs. In der Weserstraße fand sie ein Portemonnaie. | |
Der Inhalt: ein Führerschein, eine Gesundheitskarte, eine Fahrradkarte und | |
– zwei 50-Euro-Scheine! Sie habe die Geldbörse mit nach Hause genommen und | |
im Internet nach der Besitzerin gefahndet, erzählt A. Deren Personaldaten – | |
Elisabeth W. (vollständige Namen sind der Redaktion bekannt), geboren 1990 | |
– standen auf den Karten. Bei der Recherche stieß A. auf eine | |
E-Mail-Adresse. Sie hinterließ dort eine Nachricht. | |
Am nächsten Morgen entschloss sie sich, das Fundstück doch besser bei der | |
Polizei abzugeben. „Auf eine Reaktion auf meine E-Mail zu warten, war mir | |
zu unsicher“, sagt A. „Die Polizei findet die Besitzerin bestimmt | |
schneller.“ Gesagt, getan. Auf dem Polizeiabschnitt 54 in der Sonnenallee | |
107 drückte A. das Portemonnaie eigenen Angaben zufolge einem Uniformierten | |
in die Hand, der aus der Pförtnerloge kam. „Mit dem besonderen Verweis auf | |
die 100 Euro.“ Daran erinnere sie sich ganz genau, betont A. | |
Ob sie Finderlohn geltend machen wolle, habe sie der Beamte gefragt. Nein, | |
so ihre Antwort. Sie wolle nur, dass die Besitzerin ihr Eigentum | |
wiederbekomme. „Das kriegen wir schon hin“, habe der Beamte erwidert. „Ich | |
ging, ohne auf ein Protokoll bestanden oder meine Kontaktdaten hinterlassen | |
zu haben.“ | |
Am nächsten Tag fand A. in ihrem Postfach eine E-Mail von Elisabeth W., der | |
Besitzerin, vor. Die Frauen telefonierten. W. habe gefragt, was alles in | |
dem Portemonnaie gewesen sei, erzählt A. „Als ich ihr von den 100 Euro | |
erzählte, freute sie sich sehr. Sie war fest davon ausgegangen, dass das | |
Geld geklaut war.“ Einen Tag später, mittlerweile war es der 1. Juni, dann | |
die große Überraschung: „In einer Mail teilte mir Elisabeth mit, sie habe | |
das Portemonnaie auf der Polizeiwache in der Sonnenallee abgeholt, das Geld | |
jedoch sei nicht mehr drin gewesen!“ Wie bitte? | |
Was sich auf dem Revier abgespielt habe, schildert Elisabeth W. der taz so: | |
Zusammen mit einer Freundin sei sie auf der Wache vorstellig geworden. Eine | |
Polizeibeamtin habe ihr das Portemonnaie ausgehändigt. Vor deren Augen habe | |
sie es geöffnet. Den Empfang habe sie ja gegenzeichnen müssen. Von den 100 | |
Euro keine Spur. | |
Sie sei vollkommen baff gewesen, sagt W. Die Beamtin habe auf Nachfragen | |
unwirsch reagiert, nach dem Motto: Das Portemonnaie sei ohne Geld abgegeben | |
worden. „Da war nichts drin, das ist nicht unserer Problem.“ Das habe sie | |
verunsichert, sagt W. Vielleicht habe sie Birgit missverstanden, habe sie | |
gedacht und das Protokoll unterschrieben. | |
Draußen im Vorraum beriet sie sich mit der Freundin, die sie begleitet | |
hatte. In voller Gewissheit, dass das Geld in der Wache verloren gegangen | |
ist, kehrten die Frauen in den Wachraum zurück. Wie es sein könne, dass in | |
Gegenwart der Finderin kein Protokoll vom Inhalt des Portemonnaies | |
angefertigt worden sei? | |
Die Beamtin habe nervös und gestresst gewirkt, sagt W. „Wollen Sie jetzt | |
etwa eine Anzeige erstatten und meinem Kollegen Ärger machen?“, habe die | |
Frau gefragt. Als sie darauf bestanden habe, Strafanzeige zu erstatten, | |
habe sich die Beamtin glatt geweigert, diese entgegenzunehmen: Auf dem | |
Abschnitt 54 sei das nicht möglich. Außerdem komme dabei sowieso nichts | |
heraus. Sie wisse, dass die Erfolgsaussichten von Anzeigen gegen Polizisten | |
gen null tendierten, sagt W. zur taz. „Aber das aus dem Mund einer | |
Polizistin zu hören, ist bitter.“ | |
Bei einem Telefonat beschlossen W. und A., den Vorfall nicht auf sich | |
beruhen zu lassen. Gemeinsam erschienen sie tags drauf beim | |
Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm, um den Vorfall nun dort anzuzeigen. | |
Ein Beamter habe versucht, sie mit dem Hinweis auf Personalmangel und | |
Überlastung zur Wache um die Ecke am Columbiadamm zu schicken, erinnert | |
sich A. „Aber wir ließen uns nicht abwimmeln.“ | |
Eine Kripobeamtin habe sich dann sehr viel Zeit für sie genommen. Sie und | |
W. seien getrennt als Zeuginnen vernommen worden. Stundenlang habe das | |
gedauert. „Aber immerhin hatten wir das Gefühl, etwas unternommen zu | |
haben.“ Die Vernehmung beim LKA sei okay gewesen, sagt auch W. | |
## Ein Protokoll der Fundsache ist keine Pflicht | |
Die Pressestelle der Polizei bestätigt auf Nachfrage den Eingang der | |
Strafanzeige wegen Verdachts des Diebstahls gegen Unbekannt. Ein Vorwurf | |
wie dieser sei ihm zuvor auch noch nicht zu Ohren gekommen, sagt der Leiter | |
der Pressestelle, Winfried Wenzel. Eine Anweisung gebe es nicht, dass | |
Polizisten in Gegenwart des Finders ein Protokoll vom Inhalt einer | |
Fundsache anzufertigen hätten. | |
„Irgendjemand auf der Wache hat geklaut, und es wird vertuscht“, steht für | |
Elisabeth W. fest. „Aber die Sache wird im Sande verlaufen“, ist sie sich | |
sicher. „Es sind schon viel schlimmere Sachen im Sande verlaufen.“ Vorfälle | |
wie in Dessau, wo der Asylbewerber Oury Jalloh 2005 in Polizeigewahrsam | |
verbrannte, fallen ihr ein. Ihr eigenes Erlebnis mit der Polizei falle da | |
doch eher unter die Rubrik „Unterhaltung“, so W. | |
Birgit A. fragt sich, ob es noch mehr Beamte gebe, die – vielleicht aus | |
einem Gefühl heraus, ausgebeutet zu werden – die Berechtigung für sich | |
ableiten, das Gehalt durch den Griff in andere Portemonnaies aufzubessern. | |
Ob sie selbst mal kurz überlegt hat, die 100 Euro für sich zu behalten? | |
Nein, sagt A. und erzählt, wie sie ihren Rucksack kürzlich im ICE liegen | |
ließ. Der Zug stand noch im Bahnhof, als sie es merkte. Aber das | |
Gepäckstück unter dem Sitz war da schon weg. Es wurde auch nirgendwo | |
abgegeben. „Weil ich gerade selbst so einen Mist erlebt habe“, so A. | |
„wollte ich wenigstens jemand anderem etwas Gutes tun.“ | |
20 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
Polizei Berlin | |
Diebstahl | |
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