# taz.de -- Das Geld der NS-Logistik: „Zu dicke moralische Keule“ | |
> Rot-Grün ist uneins, wo das Bremer „Arisierungs“-Mahnmal stehen soll. | |
> Historiker Konrad Elmshäuser hält den Platz vor Kühne + Nagel für falsch | |
Bild: Der Raub jüdischen Eigentums hat werten Besitz in vielen Familien gescha… | |
taz: Herr Elmshäuser, was spricht aus Ihrer Sicht für einen Erinnerungsort | |
an die Beraubung der jüdischen Bevölkerung weserabwärts im Bremer | |
Stephaniviertel – statt direkt am Stammsitz von Kühne+Nagel? | |
Konrad Elmshäuser: Der spezielle Bremer Fokus bei diesem Thema liegt auf | |
der Logistik mit den Aspekten der „Verwertung“ der Güter von Emigranten, | |
von deportierten Bremerinnen und Bremern sowie – im Rahmen der „Aktion M“… | |
aus ganz Westeuropa. In der Altstadt hinter der Schlachte bis runter zum | |
Stephaniviertel waren seinerzeit zahlreiche Bremer Speditionen angesiedelt. | |
Es ist also ein authentischer Ort, der ermöglicht, das Thema umfassend in | |
den Blick zu nehmen. Zudem, und das ist ebenfalls wichtig, ist das ein | |
belebter Ort, an dem sich zwanglos viele Menschen aufhalten, etwa die | |
Nutzer der Jugendherberge. Im Prinzip käme aber das gesamte Weserufer von | |
der Innenstadt bis Richtung Überseestadt als Standort in Betracht, weil ja | |
Bremens besondere Rolle beim Transport jüdischen Eigentums fokussiert | |
werden soll. | |
Warum sollte dann ausgerechnet der Stammsitz der damals überaus aktiven | |
Firma Kühne + Nagel als Standort-Option ausgespart bleiben? | |
Das ist keineswegs ein unmöglicher Standort, sondern ebenfalls ein | |
authentischer Ort. Allerdings bin ich der Auffassung, dass eine derart | |
persönliche Adressierung an die Firma Kühne + Nagel zu vermeiden ist. Der | |
Firmensitz ist ein so prominenter und mächtiger Ort, dass es dort sehr | |
schwierig wäre, auch die Beteiligung anderer Firmen und Institutionen am | |
Geschäft mit dem Raubgut angemessen darzustellen. | |
Warum dürfte man ein Mahnmal am ehemaligen Sitz kleinerer Speditionen | |
platzieren, nicht aber am – sowohl historischen als auch aktuellen – Sitz | |
des Großkonzerns? | |
Im Stephaniviertel und hinter der Schlachte geht es nicht um eine konkrete | |
Adresse, sondern um ein altstädtisches Straßengeflecht, in dessen Bereich | |
viel Logistik betrieben wurde. | |
Für den Standort Kühne + Nagel spricht, dass der Konzern wesentlich größere | |
NS-Geschäfte machte als die übrigen Bremer Logistiker. | |
Die wichtige Rolle von Kühne + Nagel bei der „Aktion M“, wie der | |
Abtransport jüdischen Eigentums aus Westeuropa genannt wurde, steht außer | |
Frage. Wir wissen darüber genug, um diese Debatte zu führen. Dennoch wäre | |
es eine zu dicke moralische Keule, der Firma dieses Mahnmal vor die Tür zu | |
setzen. | |
Ist das nicht eine Konflikt- und Verantwortungsvermeidung? Die jungen Leute | |
bei der Jugendherberge sollen sich mit Geschichte befassen – die größten | |
Profiteure dürfen sie sich hingegen – als sichtbare Erinnerung – vom Hals | |
halten? | |
Das sehe ich nicht so. Immerhin haben sich jetzt unter anderem die | |
Handelskammer und der Verein Bremer Spediteure, zu dem auch Kühne + Nagel | |
gehört, zur Geschichtsaufarbeitung verpflichtet. | |
Kühne + Nagel hat immer wieder erklärt, dass alle Akten im Krieg verbrannt | |
seien. | |
Zweifellos ist die Bremer Zentrale niedergebrannt. Aber ich halte es für | |
einigermaßen unwahrscheinlich, dass in keiner der zahlreichen | |
Niederlassungen von Kühne + Nagel Unterlagen erhalten blieben. Die müssten | |
systematisch ausgewertet werden, um noch mehr über das Geschäftsgebaren der | |
Firma im „Dritten Reich“ zu erfahren, vor allem hier vor Ort in Bremen. | |
Das wäre in der Tat ein großer Erfolg der Debatte um ein mögliches Mahnmal. | |
Aber bewerten Sie dessen sehr zurückhaltende Bildsprache mit Schattenrissen | |
verschwundener Möbel tatsächlich als unzumutbar für Kühne + Nagel? | |
Der von der Jury ausgewählte Entwurf ist in der Tat keineswegs | |
okkupativ-keulenartig, sondern zurückhaltend und dennoch eindrucksvoll. | |
Dass er gebaut werden soll, sehe ich als allgemeinen Konsens. Aber das | |
sollte an einem anderen Ort geschehen. Dabei geht es mir überhaupt nicht um | |
eine Exkulpation dieser Firma – was man in den Quellen findet, ist | |
erschütternd. Dennoch halte ich es für problematisch, brennpunktartig auf | |
Kühne + Nagel abzuheben. | |
Es gibt mittlerweile den Vorschlag, den Standort bei Kühne + Nagel zu | |
kontextualisieren, indem auch am Finanzamt und an einem dritten Ort, an dem | |
„Juden-Auktionen“ stattfanden, Erinnerungskonzepte entwickelt werden. | |
Das würde meiner Meinung nach eher den Eindruck verstärken, die Firma säße | |
wie eine Spinne im Netz in einem Geflecht auf sie zulaufender | |
Erinnerungsorte. Zudem muss man überlegen, ab wann man der Öffentlichkeit | |
zu viel abverlangt. Wir sind in Bremen ja bereits bemerkenswert weit | |
gekommen. | |
14 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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