Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- NS-Aufarbeitung: Anwohner wollen nicht an Juden erinnern
> Bremervörde streitet darüber, ob die Dürerstraße Joseph-Salomon-Straße
> heißen und an einen von den Nazis ins Exil gezwungenen Juden erinnern
> soll.
Bild: Gezielte Schikane: Boykott jüdischer Geschäfte in der Nazi-Diktatur
HAMBURG taz | Ein Fleck auf der weißen Weste ist nicht schön. Und der Name
eines jüdischen Viehhändlers inmitten eines Viertels mit Maler-Straßennamen
– das wollen die Bewohner des Bremervörder Stadtteils Engeo nicht. Das ist
ihnen ein Riss im Bild gepflegter Bildungskultur.
366 Unterschriften haben die Engeoer deshalb eingereicht, um zu verhindern,
dass aus der Dürerstraße am 1. Mai die Joseph-Salomon-Straße wird. Das
hatte der Ortsrat des 1951 eingemeindeten Stadtteils Anfang März
beschlossen, um jenen Mann zu würdigen, dessen Hof dort einst stand und der
ab 1937 von den Nazis so schikaniert wurde, dass er seine Grundstücke weit
unter Wert verkaufte. 1939 wanderte er mit seiner Frau in die USA aus, wo
er sechseinhalb Jahre später mit 68 starb. Seinen Grund im Bremervörde
erwarben im Zuge der „Arisierung“ günstig Bauern der Umgebung, Konkurrenten
von einst.
Diese Geschichte hat der Historiker Klaus Volland, auch im Verein der
Gedenkstätte Lager Sandbostel aktiv, Ende 2015 im Bremervörder Jahrbuch
veröffentlicht und kurz darauf die Umbenennung der Dürerstraße beantragt.
Der für den Stadtteil zuständige Ortsrat hatte keine Bedenken und stimmte
Anfang März 2016 mehrheitlich dafür.
Ortsbürgermeister Heinrich Tiedemann (SPD) sah darin kein Problem, denn die
Dürerstraße führt durch ein Industriegebiet ohne Anwohner; keiner hätte
seine Adresse ändern müssen. Allerdings grenzen einige Eckgrundstücke an
die Dürerstraße, und deren Eigner betrachten sich jetzt als betroffene
Anrainer. Einer hatte zeitweilig sogar die Namen jener Ratsmitglieder an
seinen Zaun gepappt, die für die Umbenennung gestimmt hatten.
Eine Pranger-Methode, die ihre Fortsetzung in Leserbriefen der Bremervörder
Zeitung fand: „Hier in Bremervörde haben wir einige Menschen, die selbst
der dritten und vierten Generation keine Ruhe lassen wollen und für ihre
Zwecke eine ganze Religionsgruppe, nämlich die Juden, instrumentalisieren“,
schreiben etwa Sylke und Sven Behrens. Und weiter: „Christentum ist
Vergebung!“
Ob die Straße an Wert verliere, fragt dagegen Ursula Trescher, „wenn sie
nicht mehr an deutsches Bildungsgut, sondern an Bremervörder Ortsgeschichte
erinnert“. Und damit auch an jene, die von den Enteignungen profitierten,
vielleicht bis in die vierte Generation.
Nein, sagt Bürgermeister Tiedemann, Antisemitismus wolle er den
Briefschreibern nicht unterstellen. „Wir haben gar nichts gegen Joseph
Salomon“, sagt auch Goldschmiedemeister Diether Wolff, der gemeinsam mit
seiner Frau die Unterschriftenliste initiierte. Er sei vielmehr verärgert,
weil die Bürger im Stadtteil nicht gefragt worden seien.
Das ist aber auch nicht vorgesehen in einer normal funktionierenden
Demokratie, aber es gibt da einige Bremervörder Besonderheiten: etwa das
unausgesprochene Mitbestimmungsrecht der „Heimatlichen Vereinigung Club
Tingo“ von 1951.
Die hatte im März ein kommentarloses Veto eingelegt, das der Ortsrat
ignorierte. „Da hätte man eine Podiumsdiskussion mit den Anwohnern
initiieren müssen!“, findet Wolff. Denn abgesehen davon, dass so eine
Umbenennung in Bremervörder noch nie vorgekommen sei, „hat Salomon nur zehn
Jahre hier gewohnt“.
Dass daran die Schikanen der Nazis schuld waren, erwähnt Wolff nicht. Er
möchte den jüdischen Viehhändler lieber in einem bald zu erschließenden
Neubaugebiet gewürdigt wissen, jedenfalls außerhalb des Künstlerviertels.
So gibt ein Argument das andere, die Attacken auch auf Volland persönlich
hören nicht auf. Der Unfriede macht mürbe, weshalb es am 6. April ein
zunächst informelles Gespräch zwischen Bürgermeister, Befürworten und
Volland kommen wird. Ergebnisoffen, sagt Volland, werde man da zwei
Varianten diskutieren: Die Umbenennung der Dürerstraße sowie die Benennung
eines bislang namenlosen Wanderwegs am Oereler Kanal, an den Salomons
Grundstücke gleichfalls grenzten. Danach soll der Ortsrat neu beraten und
seine Entscheidung eventuell korrigieren, sagt Tiedemann.
Ist er damit aber nicht eingeknickt? „Das kann man so sehen“, räumt
Tiedemann ein. Andererseits möchte er Ruhe im Viertel und fände den
Kompromiss nicht übel. Denn auch wenn die Benennung einer großen
Verbindungsstraße ein stärkeres Symbol sei, biete auch der Wanderweg
Vorteile. „Denn auf so einem Weg, und der ist wirklich gut frequentiert,
hat man weit mehr Muße, ein Straßenschild zu lesen.“
4 Apr 2016
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Judenverfolgung
NS-Gedenken
"Arisierung"
Hakenkreuz
Gedenken
## ARTIKEL ZUM THEMA
Das Geld der NS-Logistik: „Zu dicke moralische Keule“
Rot-Grün ist uneins, wo das Bremer „Arisierungs“-Mahnmal stehen soll.
Historiker Konrad Elmshäuser hält den Platz vor Kühne + Nagel für falsch
NS-Symbolik in Sachsen: Dorfumzug mit Hakenkreuz
Bei einem historischen Festumzug in Ostsachsen liefen unter anderem als
Wehrmachtssoldaten verkleidete Teilnehmer mit. Nun ermittelt die Polizei.
Gedenk-Streit in Bremervörde: Politik setzt Salomon-Straße durch
Ortsrat von Bremervörde knickt nicht vor Protesten ein: Straßenname soll
künftig an einem 1939 schikanierten und vertriebenen jüdischen Viehhändler
erinnern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.