| # taz.de -- taz-Ausstellung in der Bürgerschaft: Herumgeisternde „Erbstücke… | |
| > In welcher Form will sich Bremen mit seiner historischen Rolle als | |
| > Logistik-Zentrum in Sachen „Arisierung“ befassen? | |
| Bild: Lager mit geraubten Möbeln jüdischer Familien | |
| BREMEN taz | Die Stühle stapeln sich bis unter die Decke, andere Bereiche | |
| der Lagerhalle sind mit Klavieren voll gestellt. Nicht weit davon stehen | |
| Badewannen. Sofas und Tische haben wiederum eigene Bereiche. Das Foto von | |
| 1943, das die in ganz Westeuropa zusammengeraubten Besitztümer jüdischer | |
| Familien zeigt, ist ab Dienstag in der Bremer Bürgerschaft zu sehen. | |
| Zusammen mit Entwürfen und Modellen für ein Bremer Mahnmal, das die | |
| umfassende „Arisierung“ jüdischer Besitztümer zugunsten breiter | |
| Bevölkerungskreise thematisiert. | |
| Die Ausstellung hat den Titel „Spuren der Beraubung – Ideen für ein Bremer | |
| „Arisierungs“-Mahnmal und basiert auf einem Ideen-Wettbewerb, den die taz | |
| im Februar auslobte. Neben bekannten KünstlerInnen wie Bernd Altenstein | |
| oder Achim Ripperger beteiligten sich Studierende und SchülerInnen – eine | |
| Klasse des Hamburger Ossietzky-Gymnasiums gleich mit sechs Konzept-Skizzen. | |
| Neben einer Auswahl all’ dieser Entwürfe zeigt die Ausstellung historische | |
| Objekte, die aus den damaligen „Juden-Auktionen“ und Schnäppchen-Verkäufen | |
| stammen. Die heutigen BesitzerInnen diese Dinge, die sowohl kostbare | |
| Objekte als auch schlichte Haushaltsgegenstände sein können, sind sich der | |
| speziellen Herkunft dieser familiären Erbstücke bewusst geworden – und | |
| haben sich für einen öffentlichen Umgang damit entschieden. | |
| Auch zahlreiche Ideen-Einsender haben den taz-Wettbewerb zum Anlass für | |
| Recherchen in der eigenen Familiengeschichte genommen und sich auf diese | |
| Weise auch sehr persönlich mit dem Thema „Arisierung“ auseinandergesetzt. | |
| Auffällig ist jedoch, dass es im öffentlichen Raum noch nirgendwo ein | |
| Mahnmal zu geben scheint, das „die materielle Seite“ des Holocaust explizit | |
| in den Fokus nimmt. | |
| Die Ausstellung will deswegen auch zur Diskussion stellen, welche | |
| besonderen Gründe Bremen hat, sich für ein „Arisierungs“-Mahnmal zu | |
| engagieren. Zwei historische Umstände erklären, warum das auf Transport und | |
| Logistik gestützte „Arisierungs“-Geschäft in Bremen – trotz eines nicht | |
| sehr hohen jüdischen Bevölkerungsanteils – besondere Dimensionen hatte. | |
| Zum einen flüchteten zahlreiche jüdische Familien aus ganz Deutschland über | |
| Bremerhaven. Dort jedoch mussten sie immer öfter ihren (in sogenannten | |
| Lifts verpackten) Besitz in der „Obhut“ von Firmen wie F. W. Neukirch oder | |
| Friedrich Bohne zurücklassen. Dieser wurde dann auf „Juden-Auktionen“ | |
| zugunsten der Finanzbehörde versteigert. | |
| Zum Zweiten ist Bremen Stammsitz der Firma Kühne + Nagel, dem heute | |
| weltweit drittgrößten Logistik-Konzern. Die Firma war, ebenso wie andere | |
| Bremer Speditionen, am „Auswanderer-Geschäft“ beteiligt. Ihre zentrale | |
| Bedeutung erwächst jedoch aus der maßgeblichen Rolle, die Kühne + Nagel im | |
| Rahmen der „Aktion M“ spielte. „M“ steht für Möbel. Die „Aktion M�… | |
| das Ziel, möglichst große Teile des Besitzes der aus Frankreich und den | |
| Benelux-Ländern geflüchteten oder deportierten jüdischen Bevölkerung nach | |
| Deutschland zu schaffen. | |
| Kühne + Nagel hatte schon direkt nach dem Einmarsch der Wehrmacht eigene | |
| Niederlassungen in den besetzten Ländern eingerichtet. Zwischen 1942 und | |
| 1944 wurde der komplette Inhalt von etwa 70.000 Wohnungen und Häusern nach | |
| Deutschland transportiert. Historiker wie Wolfgang Dreßen sprechen von | |
| einem Monopol, das sich Kühne + Nagel dabei gegenüber der Konkurrenz | |
| erkämpft habe. Kühne + Nagel war für den Streckentransport zuständig, die | |
| Zuarbeit vor Ort wurde von einer Vielzahl lokaler Akteure erledigt. Etwa | |
| 500 Frachtschiffe und 735 Züge kamen zum Einsatz, die insgesamt 29.463 | |
| Waggon-Ladungen nach Deutschland brachten. | |
| Der damalige „Gau Weser-Ems“ profitierte in besonderer Weise: Er erhielt | |
| fast ein Drittel der unter den „Gauen“ des Reichs verteilten jüdischen Habe | |
| aus Westeuropa. Die extrem vergünstigte, für manche kostenlose Ware galt | |
| als „siegwichtig“ im Sinn der Aufrechterhaltung der „Kriegsmoral“. In | |
| Städten wie etwa Lüttich wurde der Sicherheitsdienst (SD) angewiesen, die | |
| Massenverhaftung jüdischer Einwohner „baldmöglichst“ zu beschleunigen, | |
| damit deren Möbel beschlagnahmt werden konnten. Der Historiker Frank Bajohr | |
| bescheinigt den Beteiligten an der „Aktion M“ daher eine „relative Nähe … | |
| Massenmord“. | |
| 2017 jährt sich zum 75. Mal der Tag, an dem die „Aktion M“ begann. 1942 | |
| traf der erste von der Firma Kühne + Nagel gecharterte Frachter in Bremen | |
| ein. Die in Amsterdam aufgenommene Ladung umfasste laut Transportliste | |
| unter vielem anderen: 220 Armsessel, 105 Betten, 22 Nachttische, 32 Uhren, | |
| elf Schirmständer, sechs Papierkörbe, ein Grammophon und zwei Kinderwagen. | |
| Die Weiterverteilung solcher Güter fand unter anderem im Hemelinger Tivoli, | |
| in der Schießhalle der Bremer Schützengilde und in der Ankleidehalle des | |
| Weser-Stadions statt, das in „Bremer Kampfbahn“ umbenannt worden war. | |
| 2017 wäre also ein passendes Jahr zur Eröffnung eines Bremer | |
| „Arisierungs“-Mahnmals – das Bremens besondere Rolle bei der Logistik der | |
| „Verwertung“ reflektiert. Die Ausstellung, die die taz in Kooperation mit | |
| der Bürgerschaft veranstaltet, soll Gelegenheit bieten, dieses Ansinnen zu | |
| diskutieren. | |
| 23 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
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