# taz.de -- Gleichstellung von Frauen und Männern: Gleiche Rechte in 170 Jahren | |
> Die wirtschaftliche und politische Kluft zwischen den Geschlechtern | |
> bleibt groß. Doch es gibt hier und da auch Fortschritte. | |
Bild: Bei der Gleichberechtigung hat sich in Deutschland nicht viel getan | |
Island ist bei der Gleichstellung von Frauen und Männern ganz vorn, Jemen | |
ganz hinten. Zumindest nach dem [1][Gender Gap Report] über die Kluft | |
zwischen den Geschlechtern – nach einzelnen Staaten betrachtet –, den das | |
Weltwirtschaftsforum gerade veröffentlicht hat. Das Ergebnis verwundert | |
kaum: Island ist ein hoch entwickeltes Industrieland, Jemen zerrüttet durch | |
militärische Konflikte. | |
Island und der Jemen sind nur zwei von 144 Ländern, die das | |
Weltwirtschaftsforum Jahr für Jahr auf ihre Geschlechtergerechtigkeit | |
abklopft: Bildung, Gesundheit, Verdienst und politische Teilhabe. | |
Insgesamt betrachtet, ergibt dies ein trauriges Bild: Danach dauert es noch | |
rund 170 Jahre, bis Frauen und Männer die gleichen Rechte und Chancen | |
haben, haben AutorInnen ausgerechnet. Vor einem Jahr hatte der | |
Zusammenschluss führender WirtschaftsexpertInnen und PolitikerInnen noch | |
118 Jahre ermittelt. | |
Hinter Island auf den vorderen Plätzen landen jetzt Finnland, Norwegen und | |
Schweden, die schon seit Längerem als „Gender-Paradiese“ gelten: Dort gibt | |
es Frauenquoten für Führungskräfte, Teilzeit für Frauen, Männer und | |
ChefInnen, Vätermonate, Kitaplätze. Deutschland kommt auf Platz 13. Vor | |
zehn Jahren, als der erste „Gender Gap Report“ erschien, war es noch Platz | |
5. | |
## Ruanda hängt Industrienationen ab | |
Auf Rang 5 steht jetzt überraschend ein ostafrikanisches Land: Ruanda. Vor | |
20 Jahren zählte der Staat zu den ärmsten der Welt. Ursache dafür waren | |
unter anderem die Konflikte zwischen den Volksgruppen Hutu und Tutsi und | |
der folgende Genozid an den Tutsi. | |
Warum aber ist Deutschland abgerutscht? Und wie hat es Ruanda geschafft, | |
den gerechtigkeitsorientierten Nordländern direkt zu folgen und Staaten wie | |
Frankreich, Dänemark und die Niederlande abzuhängen? Also Industrienationen | |
mit einer hohen Lebenserwartung, geringer Mütter- und Kindersterblichkeit | |
sowie Bildung unabhängig vom Geschlecht? | |
Um das zu verstehen, hilft der genaue Blick in den Report. Allein das | |
Beispiel Deutschland zeigt, dass aus dem Rankingplatz kein eindeutiges | |
Fazit gezogen werden kann. Deutschland liegt in diesem Jahr mit einem | |
Score-Wert von 0,766 (absolute Gleichheit ist bei 1,0 erreicht) auf Platz | |
13. | |
Vor zehn Jahren brachte es Deutschland mit 0,752 Score-Punkten auf Platz 5. | |
Das Land hat sich also geringfügig verbessert, ist in der Rangliste aber | |
abgefallen. Grund: 2006 wurden 115 Länder betrachtet, 2016 sind es 144. „In | |
Deutschland hat sich seit zehn Jahren kaum etwas verändert in Sachen | |
Gleichstellung“, sagt Elke Holst, Genderökonomin am Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. | |
Auch Länder wie die USA, Kanada und Australien, die wie Deutschland nach | |
unten rutschen, weisen keine schlechteren, sondern leicht verbesserte | |
Score-Werte auf. | |
Gemessen werden insbesondere Veränderungen. Das erklärt unter anderem den | |
überraschenden 5. Platz von Ruanda. Durch den Genozid 1994 entstand ein | |
Ungleichgewicht im Geschlechterverhältnis: Es gibt mehr Frauen als Männer. | |
Die Regierung war gezwungen, Frauen in höhere Ämter zu bringen, sagt die | |
Berliner Ökonomin und Ruanda-Expertin Kati Krähnert: „Die hohe Zahl von | |
Frauen in politischen Führungspositionen verändert das Bild politischer | |
Teilhabe massiv.“ | |
## Gender-Standards in der Entwicklungshilfe | |
Dieser Fakt katapultiert das Land, in dem bislang äußerst konservative | |
Geschlechterrollen galten, im Ranking weit nach vorn. Bis vor wenigen | |
Jahren durften Frauen keine Häuser und kein Land besitzen. | |
Unabhängig von diesen statistischen Aspekten sorgen die ruandische | |
Regierung und die internationale Gemeinschaft seit Jahren dafür, dass bei | |
der Entwicklungshilfe Gender-Standards eingehalten werden. So werde darauf | |
geachtet, dass die neu gebauten Schulen gleichermaßen von Mädchen und | |
Jungen besucht werden, sagt Krähnert. Von Mikrokrediten sollen Frauen und | |
Männer in gleichem Maße profitieren. | |
Gesundheitspolitik konzentriert sich verstärkt auf Witwen und Frauen, die | |
während des Genozids Opfer von Vergewaltigung und anderer Gewalt geworden | |
sind. Von dieser Politik „profitieren mittlerweile auch jüngere Frauen“, | |
sagt Krähnert. | |
Männer werden in Ruanda durchschnittlich 57 Jahre alt, Frauen 60. In | |
Deutschland liegt die Lebenserwartung für Frauen bei 83 Jahren, für Männer | |
bei 78 Jahren. | |
26 Oct 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.weforum.org/reports/the-global-gender-gap-report-2016/ | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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