# taz.de -- Historiker Henke zu Nazis im BND: „So gut wie alle übernommen“ | |
> Eine Historikerkommission hat die Geschichte des BND erforscht. | |
> Klaus-Dietmar Henke erklärt, wie sich NS-Verbrecher gegenseitig | |
> unterstützten. | |
Bild: Schlapphüte unter sich: Über die Rolle Reinhard Gehlens, hier mit seine… | |
taz: Herr Henke, die Unabhängige Historikerkommission hat seit 2011 die | |
Geschichte des Bundesnachrichtendienstes und seines Vorgängers, der | |
Organisation Gehlen, in der Zeit von 1946 bis 1968 untersucht. Warum nur | |
bis 1968? | |
Klaus-Dietmar Henke: Das Datum 1968 markiert das Ende der Präsidentschaft | |
von Reinhard Gehlen, dem Chef der gleichnamigen Organisation, die im Juni | |
1946 entstand. Mit seinem Ausscheiden endet unser Projektzeitraum. Das ist | |
von unserem Auftraggeber, dem BND, 2011 von vornherein so vorgegeben | |
worden, und das macht auch Sinn, weil dies der Zeitraum war, in dem die | |
Organisation Gehlen zunächst ein Ziehkind des US-Dienstes CIA war und dann | |
in die Bundesverwaltung eingepasst werden musste – alles unter dem | |
prägenden Einfluss des ersten Präsidenten. Ich plädiere allerdings dafür, | |
dass die Aufarbeitung nicht 1968 endet. | |
Ein Geheimdienst wäre kein Geheimdienst, wenn er nicht seine Unterlagen | |
geheim halten würde. Hatten Sie vollständigen Zugang zu den Archiven, gab | |
es Grenzen aus Geheimschutzgründen? | |
Es gibt ja anders als oft gemutmaßt tatsächlich einen immensen Aktenfundus | |
im BND. Das ist kein vollkommen aufgearbeitetes Archiv im klassischen Sinne | |
wie etwa das Bundesarchiv. Es sind riesige Ablagen, die teilerschlossen | |
sind. Es war anfangs für uns nicht ganz einfach, sich da zu orientieren. | |
Insgesamt muss man aber feststellen, dass das Material für unser | |
Forschungsvorhaben vollkommen ausreichend war. Und in den vergangenen fünf | |
Jahren gab es zu keinem Zeitpunkt einen Anlass für den Verdacht, der BND | |
wolle uns willentlich Akten vorenthalten. Dass verschiedene Akten im Laufe | |
der Jahre erst aufgefunden werden mussten, das ist nichts Ungewöhnliches. | |
Wie gesagt, wir haben es hier nicht mit einem von Beginn an professionell | |
aufbereiteten Archiv zu tun. | |
Eine der Hauptanschuldigungen gegenüber dem BND und seiner | |
Vorläuferorganisation ist die Aufnahme belasteter Funktionäre des | |
NS-Regimes. Haben Sie Hinweise gefunden, wie weit diese Kontinuitäten | |
reichten? | |
Ja, auf Schritt und Tritt. Die Organisation Gehlen (OG) unterscheidet sich | |
in ihrer Entstehung ja von allen anderen Diensten und Behörden der | |
Bundesrepublik. Die Angehörigen der OG sind ja unmittelbar nach Kriegsende | |
in Pullach hinter dem Paravent des Hochgeheimen in amerikanischen Diensten | |
verschwunden. Dort waren sie gut mit Dollars versorgt und brauchten keine | |
weitere Unbill zu fürchten. Es war eine sehr kommode Situation für sie. Da | |
die Rekrutierung für die OG so ablief, dass ein Kriegskamerad den anderen | |
nachzog, bildete die Organisation Gehlen schließlich einen | |
freikorpsähnlichen Männerbund. In diesem war es möglich, viele Leute | |
unterzubringen, die NS-belastet waren, die zum Teil schwerstens belastet | |
oder sogar NS-Verbrecher waren. Und so gut wie alle von ihnen wurden mit | |
der Gründung des BND im April 1956 in den Bundesdienst übernommen. | |
Aber es gab auch Proteste dagegen. | |
Eigentlich kaum. Zu einer ersten zaghaften Überprüfung kommt es erst zu | |
Beginn der 60er-Jahre – und das auch nicht aus freien Stücken. Die Zeiten | |
hatten sich ein wenig geändert, nehmen Sie die Stichworte | |
Verjährungsdebatte, Auschwitzprozess und insbesondere den Fall des | |
enttarnten KGB-Spions Heinz Felfe in der Spitze des BND. Das führte zu | |
einer internen Überprüfung. Aber nicht aus ethischen oder moralischen | |
Gründen. Es wurde schlicht als Sicherheitsrisiko betrachtet, wenn jemand | |
aufgrund seiner NS-Biografie von östlichen Diensten erpresst werden konnte. | |
Die Enttarnung des früheren SS-Obersturmführers Felfe und die anschließende | |
negative Berichterstattung führte im BND zur Überlegung, wie der Dienst | |
seine eigene Sichtweise wirksam öffentlich verbreiten könne. Das mündete | |
unter anderen Anfang der Siebzigerjahre in eine Enthüllungsserie im | |
Nachrichtenmagazin Der Spiegel unter dem Titel „Pullach intern“. | |
Die Organisation Gehlen war von Anfang an bemüht, sich namentlich mit Hilfe | |
befreundeter Journalisten und Politiker in einem hervorragenden Licht | |
darzustellen. Die Serie „Pullach intern“ war zunächst eine Art | |
Zusammenarbeit von Spiegel und BND, aber dann besann sich das Magazin und | |
aus „Pullach intern“ wurde eine durchaus kritische Bestandsaufnahme, die in | |
Teilen noch heute Geltung beanspruchen kann. Insgesamt wird die | |
BND-Geschichte bis 1968 durch unsere Forschung aber neu geschrieben. | |
Heute sind wir anhand der Enthüllungen etwa von Edward Snowden darüber | |
unterrichtet, in welch immensem Ausmaß weltweit die Kommunikationswege von | |
Geheimdiensten überwacht werden. Was bedeuten in diesem Licht ihre | |
Forschungsergebnisse? | |
Im Vergleich dazu kann man die technischen Möglichkeiten des damaligen BND | |
natürlich nur steinzeitlich nennen. Was wir aber gut nachvollziehen | |
konnten, ist, dass eine tatsächliche und durchgreifende Kontrolle eines | |
geheimen Nachrichtendienstes sehr schwierig, wenn nicht sogar strukturell | |
unmöglich ist. Natürlich müssen hier alle parlamentarischen Möglichkeiten | |
ausgeschöpft werden. | |
Wie könnten die aussehen? | |
Ich bin mittlerweile aber zu der Meinung gelangt, dass die wirksamste | |
Kontrolle in einer bestmöglichen Ausbildung der Mitarbeiter besteht, nicht | |
in erster Linie in einem technischen Sinn, sondern in ihrer Imprägnierung | |
mit demokratischen und rechtsstaatlichen Werten – so dass das Gewissen der | |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu klopfen beginnt, wenn sie Dinge | |
beobachten oder tun sollen, die offensichtlich rechtswidrig sind. Das ist | |
ein kleines Fazit, das ich für mich aus fünf Jahren Kommissionsarbeit | |
gezogen habe. Aber wir haben nach Abschluss unserer Arbeiten durchaus den | |
Ehrgeiz, mitzuteilen, welche Lehren aus der Frühgeschichte des BND und | |
identifizierter geheimdienstlicher Funktionsweise generell für das Leben | |
mit geheimen Nachrichtendiensten „zu lernen“ sein könnten. | |
6 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Gast | |
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