# taz.de -- Nachruf auf Bommi Baumann: Wie alles endete | |
> Er rebellierte gegen Alt-Nazis, sah sich als Haschrebell und war Teil der | |
> „Bewegung 2. Juni“. Ein Anarchist, der später wie ein englischer Lord | |
> auftrat. | |
Bild: Bommi ganz leger mit Jeansjacke im Jahr 1987. Später trat er gerne im Tw… | |
BERLIN taz | Auffälliger konnte man kaum aussehen, als es der weltweit als | |
Terrorist gesuchte Bommi Baumann im Spätsommer 1980 in Rom tat. | |
Ananasfarbene, blondierte Haare, weißes löchriges T-Shirt, schwer benietete | |
schwarze Lederjacke, ein Punk, dessen Klamotten aussahen, als hätte die | |
Modeschöpferin Vivienne Westwood sie entworfen. Seine Taktik: So sehr | |
auffallen, dass niemand auf die Idee kommen könnte, er wolle sich | |
verstecken und sei auf der Flucht. | |
Er trank Weißwein und erzählte mir zwei Tage lang seine Geschichte. Dabei | |
sprach er mit einem Akzent, wie man ihn nur auf den Straßen Berlins lernt. | |
Und er hatte einen wunderbaren Humor, der human und zynisch zugleich war. | |
Sein Fazit war allerdings traurig: „Es gibt kein Happy End in Deutschland.“ | |
Sein Vater war Nazi gewesen, angeblich hatte er dem Berliner Gauleiter | |
Joseph Goebbels die erste schwarze Lederjacke gekauft. Seine Mutter war | |
eher unpolitisch, eine Berliner Kleinbürgerin; Michael Baumann wurde am 25. | |
August 1947 in Berlin-Lichtenberg im sowjetischen Sektor Berlins geboren. | |
Als er zwölf war, wechselte die Familie in den britischen Sektor über. | |
Bommi, wie er seit Schulzeiten hieß, gehörte zu den ersten „Gammlern“, die | |
auf den Stufen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in der Westberliner City | |
die Lambrusco-Flaschen kreisen ließen und Captagon oder Romilar nahmen, | |
bald folgten die ersten Joints. Er hatte Betonbauer gelernt, doch er liebte | |
Rock ’n’ Roll und wollte „kein nützliches Mitglied dieser Gesellschaft | |
werden“. | |
## Blutiger Ernst | |
Wie für die meisten Achtundsechziger war der 2. Juni 1967, der Tag, an dem | |
der Kriminalpolizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg | |
erschoss, ein Wendepunkt. Aus antiautoritären Happenings war blutiger | |
Ernst geworden. | |
Als an Ostern 1968, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, aufgewühlte | |
Demonstranten das Hochhaus des Springer-Verlags in Berlin belagerten, warf | |
Bommi Steine. Und er war nicht der Einzige. Bommi war oft in der Kommune I | |
und gehörte zu den Gründern einer Gruppe, die sich – als ironischer | |
Kommentar zu den Namen studentischer Gruppen – „Zentralrat der | |
umherschweifenden Haschrebellen“ nannte. Hannibal, Shortie, Lethargo, Bodo, | |
Bommi und wie sie alle hießen, hofften auf die Bewusstseinserweiterung | |
durch Drogen, mit Parolen wie: „High sein, frei sein, Terror muss dabei | |
sein.“ | |
Bommi hatte als junger Arbeiter eine natürliche Körperlichkeit und wenig | |
Probleme mit Gewalt. Zusammen mit dem Studenten Georg von Rauch und anderen | |
beging er Anschläge und Banküberfälle. | |
Zunächst nannte die Gruppe sich nach der Guerilla in Uruguay „Tupamaros | |
West-Berlin“, dann „Bewegung 2. Juni“. Baumanns Begründung: „Damit kon… | |
wir zeigen: Ihr habt den ersten Schuss abgefeuert. Wenn wir irgendwann | |
zurückschießen, ist das euer Verdienst.“ | |
Für die Guerilla rekrutierte Baumann Inge Viett und Verena Becker, die | |
später zur Rote Armee Fraktion (RAF) überwechselten. Die Gruppe legte eine | |
Bombe, durch die ein Bootsbauer zu Tode kam. Das war für ihn ein erster | |
Schock. | |
## Richtung Afghanistan | |
Im Dezember 1971 erschoss ein Polizist in Berlin-Schöneberg Georg von | |
Rauch. Bommi Baumann, sein bester Freund, stand direkt daneben. Diese Szene | |
hat ihn sein Leben lang verfolgt. Die Mitglieder der anarchistischen | |
„Bewegung 2. Juni“ fanden die RAF elitär. Sie waren eher chaotisch und | |
wollten mit ihrer sozialen Basis, den revoltierenden Jugendlichen, in | |
Verbindung bleiben. Baumann war stolz darauf, dass er bei der Aufnahme der | |
Kreuzberger Nationalhymne, des „Rauch-Haus-Song“ von Ton, Steine, Scherben, | |
im Hintergrund den Refrain mitgegrölt hatte. Doch 1972 wurde das Pflaster | |
in Kreuzberg zu heiß, mit einem Kumpel vom „2. Juni“ machte er sich | |
Richtung Afghanistan auf. | |
Die Erfahrungen im Orient – nicht zuletzt das Haschischrauchen in | |
Afghanistan – machten Baumann für den Terrorismus unbrauchbar. Der | |
Filmemacher Harun Farocki reiste 1974 nach Niederösterreich und traf auf | |
einem Bauernhof Baumann, der auf der Flucht war. In drei Tagen und Nächten | |
entstand ein Interview, das das Kollektiv des Trikont-Verlags in München zu | |
einem Buch machte. | |
„Wie alles anfing“ war das Buch einer Generation. Authentisch, wie es kein | |
theoretischer Text jemals vermocht hätte, beschrieb Baumann darin seinen | |
Weg zum bewaffneten Kampf und seinen Ausstieg aus dem Terrorismus. Er sei – | |
so Baumanns Message – aus „Furcht vor der Liebe“ in die „absolute Gewal… | |
geflüchtet. | |
„Wie alles anfing“ zeigte, dass die Revolte von 1968 kein rein | |
studentisches Abenteuer war, sondern eine klassenübergreifende | |
Jugendbewegung. Von dem schmalen Band wurden an die 100.000 Exemplare | |
verkauft. Es wurde in sieben Sprachen übersetzt und in New York als | |
Theaterstück inszeniert. | |
Zunächst war allerdings ein Polizeikommando beim Münchner Trikont-Verlag | |
eingefallen und hatte alle vorgefundenen Exemplare beschlagnahmt. Heinrich | |
Böll und andere Linksliberale gaben es nach einem Verbot neu heraus. Dieses | |
Buch zu unterdrücken, schrieb Böll, „ist der falscheste Weg, den man | |
einschlagen kann“. | |
## Ein „faschistisches Pamphlet“ | |
Der Sprachartist Peter Handke, der sich auch gegen das Verbot engagierte, | |
war gleichzeitig angewidert von der „angeberischen, leeren Milieu- und | |
Szenesprache, die eigentlich nur noch aus paar Geräuschen besteht“. Gudrun | |
Ensslin, Kopf der ersten RAF-Generation, schrieb unter einem Pseudonym eine | |
Rezension, in der sie das Buch als „faschistisches Pamphlet“ geißelte. | |
Im Januar 1998 veröffentlichte der Spiegel Akten des Ministeriums für | |
Staatssicherheit der DDR, nach denen Baumann im Jahr 1973 einen | |
125-seitigen Bericht über insgesamt 94 Personen des bewaffneten Kampfs in | |
Westdeutschland verfasst hatte: Darin hieß es über Ensslin: „Lenkender | |
Geist der RAF, sehr kalt, aber mutig, fanatisch, unfraulich und | |
lustfeindlich.“ | |
Die Stasi hatte Baumann beim Transit verhaftet. Er rechtfertigte seine | |
präzisen Aussagen damit, dass die Stasioffiziere gedroht hatten, ihn in den | |
Westen abzuschieben, wenn er nicht auspacke. Die meisten Genossen der | |
„Bewegung 2. Juni“, die Baumann immer schon als „Großmaul“ kritisiert | |
hatten, wandten sich nach dem Bekanntwerden der Stasi-Aussagen von ihm ab. | |
Der einstige „2. Juni“-Kader und spätere taz-Redakteur und Stasi-IM Till | |
Meyer allerdings und einige alte Freunde von den „Haschrebellen“ hielten zu | |
ihm. | |
Weniger als ein Jahr nach dem Treffen in Rom verhaftete Scotland Yard | |
Baumann im Februar 1981 in einem besetzten Haus in Ost-London in Hackney. | |
Ein halbes Jahr später verurteilte das Landgericht Berlin ihn wegen zwei | |
Banküberfällen und einem Bombenanschlag auf das Berliner Landeskriminalamt | |
zu fünf Jahren und zwei Monaten Haft. | |
## Vom Bauleiter zum Zeitzeugen | |
Der Fall der Mauer im Herbst 1989 war für den Berliner Baumann eine große | |
Freude. Monatelang wanderte er durch die Stadt und beobachtete das | |
Zusammenwachsen der beiden Halbstädte, die er beide sehr gut kannte. | |
Als Bauleiter arbeitete er für die Drogentherapieeinrichtung, in der er | |
clean geworden war, doch dann holte ihn seine Vergangenheit ein. Ärzte | |
diagnostizierten eine Hepatitis C, die meist zu Leberzirrhose oder | |
Leberkrebs führt. Er musste seinen Job aufgeben und wirkte fortan vor allem | |
als Zeitzeuge. | |
Er bekam das Haus seiner Großmutter in Potsdam restitutiert, doch die | |
900.000 D-Mark hielten auch nicht ewig. | |
Wenn er sich vor eine Kamera setzte oder eine Bühne betrat, glich er einem | |
englischen Lord: Tweedjacket, Seidenkrawatte, Manschettenknöpfe. | |
Rasierwasser Wellington von Geo F Trumper, wie schon Winston Churchill. | |
Seine Kommentare waren erfrischend und nach allen Seiten kritisch. Dass der | |
Kapitalismus die größte Geißel des modernen Menschen sei, daran zweifelte | |
er nie. | |
## Opiate als Hobby | |
Bommi Baumann hat insgesamt sechs Jahre im Gefängnis gesessen und dort vor | |
allem gelesen. Nun saß er in seiner Wohnung in der Landsberger Allee und | |
las; in Büchern, in Zeitungen und im Internet. Die Geschichte des | |
britischen Empire kannte er bis in kleinste Details. Geheimdienste | |
faszinierten ihn. | |
Bis auf Zigaretten nahm er lange keine Drogen mehr, doch als seine Frau mit | |
einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Krankenhaus lag, griff er wieder zu | |
Opiaten. Als der Richter Baumann im Prozess gegen Verena Becker wegen des | |
Mordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback als Zeugen fragte, warum er | |
nach fünfzehn Jahren wieder mit Opiaten angefangen habe, antwortete Bommi: | |
„Na, irgendein Hobby hat doch jeder.“ | |
Opiate sind mehr als ein Hobby, sie höhlen Menschen aus. Sie verwandeln sie | |
in auf sich und die Droge bezogene Narzissten. Im Jahr 2009 veröffentlichte | |
er sein drittes und letztes, teils autobiografisches Buch „Rausch und | |
Terror. Ein politischer Erlebnisbericht“. Darin beschrieb er nicht nur mit | |
seltener Präzision die Mechanismen der Opiatsucht, sondern gab | |
entscheidende Hinweise zur Kulturgeschichte der Drogen in der | |
Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren. | |
„Meine Kumpels könnten einen Friedhof füllen“, sagte er in einem Intervie… | |
Von den „Haschrebellen“ der 60er-Jahre waren viele schon tot. Bommi | |
Baumanns Freunde sagten, es gleiche einem Wunder, dass er mit seinem | |
Lifestyle noch am Leben sei. | |
Er wurde 68 Jahre alt und starb am frühen Dienstagmorgen friedlich in | |
seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain. | |
20 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
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