| # taz.de -- Bommi Baumanns Buch „Wie alles anfing“: Das gehört in den Lese… | |
| > Der Erfahrungsbericht des Ex-Terroristen Bommi Baumann von 1979 ist ein | |
| > lausig geschriebenes Buch. Trotzdem bleibt es bis heute hochinteressant. | |
| Bild: Michael „Bommi“ Baumann, hier eine Aufnahme von 1986. Er starb 2016 i… | |
| Die 68er-Revolution war gescheitert, zumindest als Revolution gescheitert – | |
| dass sie die bundesdeutsche Gesellschaft in fast allen Belangen grundlegend | |
| reformiert, liberalisiert hat, konnte man bei Erscheinen dieses Buches noch | |
| gar nicht überblicken. | |
| Michael „Bommi“ Baumann setzt den allgemeinen Auflösungserscheinungen 1979 | |
| mit „Wie alles anfing“ einen persönlichen Rechenschaftsbericht entgegen. | |
| Baumann beschreibt, wie aus dem frustrierten, an den deutschen | |
| Verhältnissen leidenden Betonbauer der Staatsfeind, der gesuchte | |
| Bombenleger der Bewegung 2. Juni werden konnte. Angefixt von der | |
| amerikanischen Gegenkultur, vor allem vom Rock ’n’ Roll, steigt er aus, | |
| treibt sich eine Weile [1][in der „Gammlerszene“] herum, lässt sich die | |
| Haare lang wachsen und stellt bald fest, was es in Deutschland heißt, ein | |
| Dropout zu sein. | |
| „Die ham uns aus Kneipen rausgeschmissen, auf den Straßen angespuckt, | |
| beschimpft und sind hinterhergerannt, also du hast wirklich nur Trouble | |
| gehabt.“ | |
| Dieser naive, eher unpolitische, durchaus auch hedonistische | |
| Renegaten-Impuls bekommt eine Richtung, als er sich dem SDS, dem | |
| Sozialistischen Deutschen Studentenbund, anschließt und mit den | |
| Protagonisten der Kommune 1 in Berlin anfreundet, und wird forciert durch | |
| den Mord an Benno Ohnesorg, durch das Dutschke-Attentat, die | |
| Springer-Propaganda und die nun wie geölt laufende repressive | |
| Staatsmaschine. | |
| ## Steckbrieflich gesucht | |
| Baumann, der Prolet, für den Gewalt immer schon eine mögliche Lösung war, | |
| schließt sich der „Wielandkommune“ an, der „ersten Keimzelle“ für die | |
| Stadtguerilla, und engagiert sich stark bei den umherschweifenden | |
| Haschrebellen, den deutschen Hippies. Das heißt Demos, Agitation in | |
| Undergroundblättern – und eben auch schon bewaffneter Kampf, also | |
| Bombenanschläge auf Richter, Staatsanwälte, Gefängnisdirektoren, das | |
| Amerikahaus in Berlin, auf Offiziersclubs der Army. | |
| Baumann verteidigt sogar das [2][fehlgeschlagene Attentat auf das jüdische | |
| Gemeindehaus] durch die „Tupamaros Westberlin“ am 9. November 1969, obwohl | |
| er es nachträglich durchaus als taktischen Fehler einstuft: „Dass wieder | |
| Deutsche in der jüdischen Synagoge eine Bombe deponieren, das war nicht | |
| mehr zu vermitteln.“ | |
| Der mittlerweile steckbrieflich Gesuchte wird gefasst und wandert erst | |
| einmal für anderthalb Jahre in den Bau. Nach seiner Freilassung hat sich | |
| der Widerstand, aber auch die Reaktion der Exekutive weiter radikalisiert, | |
| nicht zuletzt durch die Gründung der RAF, der Roten Armee Fraktion. | |
| Er taucht wieder ab und gründet mit Georg von Rauch, Till Meyer, Fritz | |
| Teufel, Inge Viett und anderen die Bewegung 2. Juni, die von der RAF bald | |
| als die „populistische Fraktion der Guerilla“ denunziert wird. Man verstand | |
| sich tatsächlich als eine Art Konkurrenzveranstaltung, als die | |
| lumpenproletarische Hippie-Alternative, eine „klandestine Zelle“, die als | |
| schnelle Eingreiftruppe die legale linke Basisarbeit unterstützen sollte. | |
| Aber nach und nach kommen Baumann Zweifel, gar nicht mal an der | |
| Rechtmäßigkeit, sondern vor allem an der Funktionalität ihres Tuns. Und vor | |
| allem zerrt dieses Leben im Untergrund ganz gewaltig an den Nerven. Der | |
| Impuls, der seinen langsamen Rückzug aus der aktiven terroristischen Szene | |
| einleitet, ist die Reaktion der Genossen auf den Tod seines Freundes Georg | |
| von Rauch nach einer Schießerei mit einem Zivilpolizisten. | |
| ## Die menschliche Seite | |
| Hier scheint er erstmals zu bemerken, in was für einen illoyalen, emotional | |
| verbogenen Haufen sich seine Genossen verwandelt haben. „Du siehst dann, da | |
| wird der Tod von deinem Brother genauso hingenommen, wie ihn die | |
| Springer-Presse hinstellt. Niemand geht da noch von der menschlichen Seite | |
| heran, wie es in so einer Situation angebracht wäre. Höchstens, dass sie | |
| sagen, die Schweine, da müssen wir Rache üben, mehr ist nicht […] Das war | |
| die erste Geschichte, wo ich darüber nachgedacht habe, dass das Ganze | |
| langsam Formen annimmt, die nichts mehr mit den ursprünglichen Geschichten | |
| zu tun haben, weder etwas mit den Kommunegeschichten noch mit unseren | |
| Dropouts in den 60er Jahren noch mit dem Blues und den Haschrebellen, | |
| nichts mit den Drogenerfahrungen noch mit unseren sexuellen Erfahrungen, | |
| nichts mit der neuen Sensibilität und Zärtlichkeit und einem Verstehen, | |
| einem Eingehen auf den anderen, damit hat das alles nichts mehr zu tun.“ | |
| Baumann fehlt einfach der Spaß an der Sache, das durchgeknallte Hippietum, | |
| das die subversiven Anfänge ausgemacht hat. Unter dem Druck der | |
| Illegalität, noch einmal verstärkt durch die Fahndungserfolge der Polizei, | |
| setzt sich der gleiche Bierernst durch, dem er damals eigentlich entkommen | |
| wollte, die Kontakte untereinander waren nur mehr sachbezogen und | |
| instrumentalisiert, und nicht zuletzt leidet er mehr und mehr an der | |
| Trennung von der Basis, an der zunehmenden Verkapselung und Weltferne der | |
| Stadtguerilla. | |
| Dieser proletarische Pragmatiker wusste mit den ideologischen | |
| Verstiegenheiten der studentischen Bürgerkinder ohnehin wenig anzufangen, | |
| deshalb kann er dieser Entwicklung vom solidarischen, miteinander | |
| kiffenden, vögelnden, debattierenden und manchmal auch mal bombenden | |
| Freundeskreis aus „Freak Brothers“ zu einer funktionalistischen Terrorfirma | |
| nichts abgewinnen. | |
| „Wir haben es nie geschafft, die Sensibilität innerhalb der Gruppe zu | |
| halten, weil der Druck von außen dann doch so groß ist, daß er dich | |
| einholt. Darin liegt das ganze Scheitern der Guerilla in den Metropolen, | |
| weil man die neue Qualität nicht bewahren kann, als Gegner genauso wird wie | |
| der Apparat selber.“ | |
| ## Rückzug ins Private | |
| Er konzediert das alles und erklärt es aus den besonderen Umständen der | |
| Untergrundarbeit. Gegenüber seinen Leuten bleibt er loyal. Sogar den | |
| Verrätern, seiner Freundin Hella etwa, die im Verhör zusammenbricht und ein | |
| paar Kombattanten ans Messer liefert, bringt er noch Sympathie und | |
| Verständnis entgegen. Das macht den Charme dieser Erinnerungen aus. Ein | |
| bisschen sollte das aber wohl auch die Reaktion auf den eigenen Rückzug | |
| moderieren, den die verbliebenen Guerilleros, das war Baumann klar, | |
| ebenfalls als Verrat deuten würden. | |
| Baumann geht den Weg, den viele in der ersten Hälfte der 70er Jahre gehen, | |
| als sich die Stimmung wandelte, als sogar die linksliberalen Medien, die | |
| zunächst wohlwollend über die APO-Aktivitäten berichtet hatten, sich | |
| distanzierten und dementsprechend auch die Akzeptanz in der Öffentlichkeit | |
| mehr und mehr schwand. Es war die Phase der Desillusionierung, der | |
| depressiven Verhärtung, der Parzellierung, des K-Gruppen-Sektierertums und | |
| des Rückzugs – nach Poona, auf den Bauernhof, in die bürgerliche Karriere, | |
| ins Privatleben. | |
| Auch Baumann zieht sich zurück ins Private, das auf einmal eminent | |
| politisch sein sollte und es ja tatsächlich immer schon war – man hatte es | |
| einfach nur aus den Augen verloren –, und setzte auf eine langfristige | |
| gesellschaftliche Reformation anstelle des revolutionären Umsturzes. | |
| ## Pfund Haschisch aus Indien | |
| „Wenn die Leute wegen der Umweltprobleme aufs Land gehen und da neue Sachen | |
| austüfteln oder auch die Leute, die nach Indien gehen und sich da mal mit | |
| so einem Guru ein halbes Jahr unter die Palme setzen, die bringen auch gute | |
| Sachen mit rüber, andere Prozesse […] Man muß es als gesamte Geschichte | |
| sehen … Jeder, der Erfahrungen macht und die umsetzt, leistet seinen | |
| Beitrag, auf welchem Level auch immer. Ob der eine im Kinderladen arbeitet, | |
| der andere mit der Knarre auf der Barrikade steht, der dritte ein Pfund | |
| Haschisch aus Indien mitbringt oder irgendein Mick Jagger so wild auf der | |
| Bühne tanzt, dass unten alle abfahren; alle sind an diesem Prozeß | |
| beteiligt.“ | |
| „Wie alles anfing“ hat keinen Stil. Das Buch ist lausig geschrieben und | |
| voller syntaktischer, orthografischer Fehler. Eine Interpunktion findet | |
| nicht statt. Baumann beherrscht nur einen Tonfall, diese quasi-mündliche, | |
| mit den damals kurrenten Phrasen und Theorieversatzstücken aufgebrezelte | |
| Berichtsdiktion. Es taugt – anders etwa als Bernward Vespers großer | |
| Romanessay „Die Reise“ – somit einzig und allein als Dokument einer Zeit, | |
| einer bestimmten zeitgemäßen Denkungsart. Und in ein paar Jahren – | |
| vielleicht heute schon? – wird man dieses Buch nur noch mit einem | |
| Fußnotenapparat und einem den Kontext erläuternden Vorwort verstehen | |
| können. | |
| Es ist eine unordentliche, manchmal redundante, bisweilen verwirrte, aber | |
| hochinteressante und ganz einzigartige Beschreibung der Sozialisation eines | |
| Terroristen – und schließlich seiner Abkehr. | |
| „Wie alles anfing“ war auch deshalb so einflussreich, weil die Kritik hier | |
| von einem verdienten Veteranen kommt. Und so aufschlussreich, weil hier | |
| nicht das unzufriedene, studierte Bürgersöhnchen seine Hinwendung zum | |
| Terrorismus bilanziert, sondern der arme, gebeutelte, unwissende, | |
| theoretisch ungebildete Prolet, der wirklich unter den repressiven | |
| kapitalistischen Bedingungen gelitten hatte, die alle anderen nur vom | |
| Hörensagen kannten. Es ist ein Buch, das man – wenn es mit rechten Dingen | |
| zuginge – längst als kleines gelbes Reclam-Heftchen kaufen könnte. | |
| 30 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Vorabdruck-Berlin--Stadt-der-Revolte/!5486147 | |
| [2] /9-November-diesmal-1969/!5637377 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
| ## TAGS | |
| Literatur | |
| Terrorismus | |
| Haschisch | |
| Bewegung 2. Juni | |
| Westberlin | |
| Rote Armee Fraktion / RAF | |
| Kritik | |
| Bewegung 2. Juni | |
| Anarchismus | |
| Rolling Stones | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| RAF-Terroristin Daniela Klette verhaftet: Ihre Flucht endet in Kreuzberg | |
| Seit 30 Jahren wird nach den einstigen RAF-Terroristen Klette, Staub und | |
| Garweg gefahndet. Am Dienstag wurde Klette in Berlin festgenommen. | |
| Lesefrust durch dicke Bücher: Prinzipien der Wälzer | |
| Die Begeisterung für Literatur bleibt in manchem dicken Buch stecken. | |
| Weniger kann da einen Gewinn an Leselust bedeuten. Ein Essay. | |
| Letztes Geleit für Bommi Baumann: Immer in der ersten Reihe | |
| Der Haschrebell wurde am Freitag beerdigt. Obwohl er nur zwei Jahre lang | |
| Aktivist der Bewegung 2. Juni war, wurde er immer darauf reduziert. | |
| Nachruf auf Bommi Baumann: Wie alles endete | |
| Er rebellierte gegen Alt-Nazis, sah sich als Haschrebell und war Teil der | |
| „Bewegung 2. Juni“. Ein Anarchist, der später wie ein englischer Lord | |
| auftrat. | |
| Stones-Konzert 1965 in der Waldbühne: „Een Irrsinn war det“ | |
| Die rechte Presse geiferte, die Fans randalierten. 1965 traten die Rolling | |
| Stones erstmals in der BRD auf. Bommi Baumann war in der Waldbühne dabei. |