# taz.de -- Terror in den Siebzigern, Terror heute: Die Evolution des Terrors | |
> In den 70ern stießen die Antiterrorgesetze der BRD auf Kritik in der | |
> Bevölkerung. Heute wird der Präventionsstaat weitgehend geduldet. | |
Bild: Der RAF zielte auf die Mächtigen, zum Beispiel auf Generalbundesanwalt S… | |
KARLSRUHE taz | Der heutige Generalbundesanwalt Peter Frank muss wohl keine | |
Angst um sein Leben haben. Dass der sogenannte Islamische Staat versucht, | |
ihn zu töten, ist mehr als unwahrscheinlich. Ist der IS also ungefährlicher | |
als die RAF? Sicher nicht. Im Gegenteil. | |
Die RAF zielte auf die Mächtigen. Die Opfer des Terrorjahrs 1977 zeigen das | |
deutlich: [1][Generalbundesanwalt Siegfried Buback], Bankier Jürgen Ponto | |
und Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Die RAF tötete 1977 zwar | |
auch insgesamt sechs Fahrer und Leibwächter, aber eben nicht wahllose Opfer | |
in der Bevölkerung. | |
Der Terror der Islamisten greift dagegen alle Gesellschaften an, die sich | |
ihm nicht beugen. Opfer sind auch Muslime, sowohl im Westen als auch in | |
mehrheitlich muslimischen Ländern. Islamistische Terroristen müssen für | |
ihre Anschläge deshalb weit weniger Aufwand betreiben als die RAF. Sie | |
finden ihre Opfer überall, in der Bahn, auf dem Weihnachtsmarkt, im | |
Konzertsaal. | |
Dabei ist der islamistische Terrorismus durchaus zu komplexen Operationen | |
imstande. Die Al-Qaida-Anschläge auf das World Trade Center in New York und | |
das Pentagon in Washington, die mit entführten Passagierflugzeugen | |
durchgeführt wurden, stellen die Taten der RAF sowohl von der Opferzahl als | |
auch logistisch in den Schatten. Und der IS hat auf dem bisherigen | |
Höhepunkt seiner Macht weite Teile Syriens und des Iraks kontrolliert. Im | |
Juni 2014 nahm er sogar die irakische Millionenstadt Mossul ein, die erst | |
jetzt langsam wieder befreit wird. | |
Dass IS-Terroristen im Westen heute vor allem zu Alltagswaffen wie Messern, | |
Äxten und Autos greifen, hat zwar auch mit guter Arbeit der | |
Sicherheitsbehörden zu tun. Es ist kaum noch möglich, heimlich an größere | |
Mengen Sprengstoff zu gelangen. Islamistische Terrorgruppen wie die | |
Düsseldorfer Zelle oder die Sauerland-Gruppe mussten deshalb Sprengstoff | |
selbst herstellen und konnten dabei festgenommen werden. | |
Allerdings macht gerade die neue Niedrigschwelligkeit der Anschläge auch | |
ihre besondere Gefährlichkeit und damit ihren Reiz für den IS aus. Eine Axt | |
ist schnell besorgt, ein Auto schnell gestohlen. Eine Organisation oder | |
feste Gruppe ist hierfür nicht erforderlich. Wenn jeder binnen kürzester | |
Zeit zum Täter werden kann, kann sich in der Gesellschaft auch niemand | |
richtig sicher fühlen – vor allem, wenn die Täter auch ihren eigenen Tod in | |
Kauf nehmen. Nicht zuletzt ist die Form der Rekrutierung diffuser geworden: | |
Über soziale Medien wie Facebook lassen sich heute auch 15-jährige | |
Einzelgänger für den Dschihad begeistern. Damals stießen Flugblätter, | |
Bücher und Broschüren auf einschlägigen Veranstaltungen auf ohnehin | |
kritische Kreise. | |
## In den 70ern undenkbar, heute vertretbar | |
Diese neue Dimension des Terrors hat auch die Mittel der Strafverfolgung | |
verändert. Seit 1976 war schon die bloße Mitgliedschaft in einer | |
terroristischen Vereinigung strafbar. Zu RAF-Zeiten genügte das als | |
Prävention. Die Strafverfolgung der RAF-Mitglieder diente zugleich der | |
Abwehr neuer Anschläge. | |
Al-Qaida war im Westen dagegen keine feste Organisation, sondern eher ein | |
Label, wie heute auch der IS. Die Anschläge begehen Einzeltäter oder | |
lockere Cliquen. Seit 2009 ist daher die Vorbereitung staatsgefährdender | |
Gewalttaten auch ohne Terrorgruppe strafbar. Allerdings fordert der | |
Bundesgerichtshof als Voraussetzung für ein Strafurteil, dass die Täter | |
bereits einen konkreten Plan und eine konkrete Absicht haben. Das ist im | |
Vorfeld aber oft noch nicht der Fall, jedenfalls schwer beweisbar. | |
Weil das Strafrecht als präventives Mittel weitgehend ausfällt, ist | |
inzwischen die reine Gefahrenabwehr in den Fokus gerückt. Die Polizei | |
definiert Personen, die sie im Auge behalten will, als Gefährder. In Bayern | |
soll unbefristete Präventivhaft erlaubt werden. Im Bund wird die | |
elektronische Fußfessel als vorsorgliche Maßnahme eingeführt. Und das | |
Bundesverwaltungsgericht erlaubte jüngst die Abschiebung von hier | |
aufgewachsenen Ausländern, sobald ein „beachtliches Risiko“ besteht, dass | |
sie einen Anschlag begehen könnten. Was in den 70er Jahren völlig undenkbar | |
gewesen wäre, gilt heute als durchaus vertretbar. | |
Der Widerstand gegen den neuen Präventionsstaat ist bisher aber viel | |
geringer als die Proteste gegen die Antiterrorgesetze der 70er Jahre. Das | |
dürfte auch daran liegen, dass sich die RAF aus der linken 68er Bewegung | |
heraus entwickelte und staatliche Vorfeldmaßnahmen daher schnell auch | |
legale linke Strukturen erfassten. Dagegen wächst der islamistische Terror | |
vor allem aus salafistischen Gruppen, die auch bei Linken und | |
Bürgerrechtlern keine Sympathien haben. | |
Im Sinne des IS wäre es, wenn Muslime heute allgemein unter Verdacht | |
gerieten, wie etwa von der AfD propagiert. Dies würden die Islamisten als | |
Beleg verstehen, dass Muslime im Westen nicht sicher leben können. So | |
schließt sich dann auch der Kreis zur RAF: Auch diese wollte mit ihren | |
Anschlägen das innenpolitische Klima so zuspitzen, dass der bürgerliche | |
Staat seine „faschistische Fratze“ zeigt und die Akzeptanz der Bevölkerung | |
verliert. Die RAF ist daran gescheitert und hat sich zwei Jahrzehnte später | |
aufgelöst. | |
7 Apr 2017 | |
## LINKS | |
[1] /RAF-Attentat-auf-Siegfried-Buback/!5399803/ | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Terror | |
Terrorismus | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
Fußfessel | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
Anarchismus | |
Terror | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
Terror | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
USA kritisieren deutsche Regierung: Fluchthilfe für Terroristen | |
Das Weiße Haus ist über die Abschiebung eines Terroristen der | |
„Sauerland-Gruppe“ verärgert. Die USA hatten einen Auslieferungsantrag | |
gestellt. | |
Filmdoku über staatliche Willkür: (K)eine Familiengeschichte | |
1986 wurde ein Paar wegen Mitgliedschaft in der RAF verurteilt – zu | |
Unrecht. 20 Jahre später verfilmt ihr Sohn die Geschehnisse. | |
Verurteilte extremistische Straftäter: Fußfessel jetzt auch nach der Haft | |
Ein Bundestagsbeschluss räumt der Polizei zusätzliche | |
Überwachungsmöglichkeiten ein. Bisher bekamen nur Sexualstraftäter | |
nachträglich einen Sender ans Bein. | |
Göttinger „Buback-Nachruf“ vor 40 Jahren: Nur vier Zeilen zitiert | |
Im Frühjahr 1977 sorgt der „Buback-Nachruf“ des „Mescalero“ bundesweit… | |
Aufregung. Medien und Justiz gehen gegen die Herausgeber vor. | |
Doku über die RAF: Vor 40 Jahren in der BRD | |
Die Doku „Stammheim – Die RAF vor Gericht“ geizt nicht mit Zeitzeugen. Das | |
macht die Sache schwerfällig. Wichtige Details bleiben ungeklärt. | |
Nachruf auf Bommi Baumann: Wie alles endete | |
Er rebellierte gegen Alt-Nazis, sah sich als Haschrebell und war Teil der | |
„Bewegung 2. Juni“. Ein Anarchist, der später wie ein englischer Lord | |
auftrat. | |
Ex-Terroristen auf Raubzug: Drei alte Knacker von der RAF | |
Ruhig, besonnen, aber mit Panzerfaust. Ehemalige RAFler überfallen seit | |
Jahren Supermärkte und Geldtransporter. Ihre Spur führt in die Niederlande. | |
Verschollene Mitglieder der RAF: Revolutionäre Rentenbeschaffung | |
Seit mehr als 25 Jahren sind drei RAF-Mitglieder untergetaucht. Nun gibt es | |
neue Spuren bei Überfällen. An Terror glauben die Ermittler nicht. | |
Ex-RAFler Klaus Jünschke: Er ist rausgekommen | |
Klaus Jünschke kämpfte für die RAF, wurde zu lebenslänglich verurteilt und | |
saß in Isolationshaft. Heute kämpft er für benachteiligte Kinder. |