| # taz.de -- Göttinger „Buback-Nachruf“ vor 40 Jahren: Nur vier Zeilen ziti… | |
| > Im Frühjahr 1977 sorgt der „Buback-Nachruf“ des „Mescalero“ bundeswe… | |
| > für Aufregung. Medien und Justiz gehen gegen die Herausgeber vor. | |
| Bild: Der „Mescalero“ bezog sich auf den RAF-Mord an Siegfried Buback | |
| Göttingen epd | Der 25. April 1977 ist ein Montag. Zwei Wochen nach Ostern | |
| hat an der Universität Göttingen der Vorlesungsbetrieb begonnen. In der | |
| Mensa verteilen Mitglieder des von linken Gruppen gebildeten Allgemeinen | |
| Studentenausschusses die aktuelle Ausgabe der AStA-Zeitung Göttinger | |
| Nachrichten. | |
| Hinten im Heft, auf den Seiten 10 bis 12, ist der Artikel „Buback – ein | |
| Nachruf“ abgedruckt. Der mit „Ein Göttinger Mescalero“ [1][unterzeichnete | |
| Text] hält monatelang Justiz und Öffentlichkeit in Atem. Der zunächst | |
| anonym bleibende Verfasser gibt sich den Namen eines Apachenvolkes. | |
| Zweieinhalb Wochen zuvor ist Generalbundesanwalt Siegfried Buback auf der | |
| Fahrt in sein Büro im Bundesgerichtshof in Karlsruhe von einem Kommando der | |
| Rote Armee Fraktion (RAF) [2][ermordet worden]. Von einem Motorrad aus hat | |
| der Attentäter mit einer Maschinenpistole in Bubacks Dienstwagen gefeuert. | |
| Sein Fahrer Wolfgang Goebel wird ebenfalls getötet. Der Justizbeamte Georg | |
| Wurster erleidet lebensgefährliche Verletzungen, er stirbt am 13. April. | |
| Autor des Göttinger „Buback-Nachrufs“ ist der Germanistik-Student Klaus | |
| Hülbrock. „Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit‘ nach dem | |
| Abschuß von Buback ist schnell geschildert“, heißt es in seinem Text: „Ich | |
| konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. | |
| Ich habe diesen Typ oft hetzen hören. Ich weiß, daß er bei der Verfolgung, | |
| Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.“ | |
| ## „Nicht mit Leichen pflastern“ | |
| Dann rückt Hülbrock allerdings von terroristischer Gewalt ab. „Wir alle | |
| müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für | |
| das Volk zu hassen“, schreibt er. Radikale Linke müssten sich gegenüber dem | |
| von ihnen bekämpften System nicht nur im Ziel, sondern auch in den Mitteln | |
| positiv abgrenzen: „Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt | |
| (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), heiligt eben nicht jedes | |
| Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: | |
| Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.“ | |
| Zahlreiche Medien kritisieren den „Nachruf“. Die meisten zitieren aus dem | |
| 226 Zeilen langen Text aber nur die vier Zeilen über die „klammheimliche | |
| Freude“ und verschweigen, dass sich der „Mescalero“ zumindest partiell von | |
| Gewalt distanziert. Linke studentische Gruppen sowie 48 Hochschullehrer aus | |
| dem gesamten Bundesgebiet lassen den „Nachruf“ nachdrucken, sie verlangen | |
| „eine öffentliche Diskussion des gesamten Artikels“. | |
| In Göttingen stellt der Ring Christlich-Demokratischer Studenten | |
| Strafantrag gegen die AStA-Verantwortlichen. Der damalige Präsident des | |
| niedersächsischen Landtages, Heinz Müller (CDU), und Bundesjustizminister | |
| Hans-Jochen Vogel (SPD) schließen sich der Anzeige an. Die Justizbehörden | |
| leiten Ermittlungen ein, sie richten sich zunächst gegen vier | |
| Verantwortliche des AStA und der Göttinger Nachrichten. Zwei von ihnen | |
| werden wegen Verunglimpfung des Staates und des Andenkens Verstorbener zu | |
| Geldstrafen verurteilt. | |
| ## Versöhnung mit Michael Buback | |
| Bundesweit laufen in der Sache insgesamt Verfahren gegen rund 140 | |
| Beschuldigte. Die meisten enden mit Freisprüchen oder Verurteilungen zu | |
| geringen Geldstrafen. In Augsburg verurteilt ein Gericht einen Mann, der | |
| den „Nachruf“ verteilt hat, zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Der | |
| hannoversche Psychologie-Professor Peter Brückner wird wegen | |
| Mitherausgeberschaft vom Dienst suspendiert, nach gerichtlicher Überprüfung | |
| wird die Suspendierung 1981 wieder aufgehoben. | |
| 2001 outet sich Hülbrock in einem „taz“-Interview [3][öffentlich als | |
| „Mescalero“]. „Das Gift, das ich versprüht hatte, wirkte nach so langer | |
| Zeit gegen mich selbst“, sagt er. „Der Buback-Nachruf war keine bloße | |
| Formulierung. Es war diese rohe, schäbige Sprache, die mich so nachhaltig | |
| schmerzte.“ | |
| Schon 1999 hat er einen Brief an Michael Buback, den Sohn des ermordeten | |
| Generalbundesanwalts, geschrieben, dass ihm seine Worte von 1977 [4][„heute | |
| wehtun“]. Michael Buback, damals Chemie-Professor in Göttingen, äußert sich | |
| im Jahr 2007 dazu. Er habe es „als Erleichterung empfunden, als sich der | |
| Verfasser mehr als zwei Jahrzehnte später in einem Brief an mich | |
| offenbarte“, sagte er. „Dies habe ich ihm auch geschrieben, wobei mir das | |
| Abfassen des Briefes nicht leicht fiel und ich es mir gewünscht hätte, dass | |
| weniger klangvolle Anreden als ‚Sehr geehrter Herr H.‘ nutzbar gewesen | |
| wären.“ | |
| 25 Apr 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reimar Paul | |
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