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# taz.de -- Politikwissenschaftler über die RAF: „Terrorismus war keine Rebe…
> Auch 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst bleibt die linke Terrorgruppe RAF
> ein Mysterium. Die wichtigsten Fragen beantwortet Wolfgang Kraushaar.
Bild: Fahndungsplakat in den siebziger Jahren
Die RAF ist und bleibt auch 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst ein
Mysterium. Die Entführung von Hanns Martin Schleyer und die Odyssee der
Lufthansa-Maschine „Landshut“ sind Ereignisse, die in den Köpfen hängen
geblieben und unumstritten Teil der deutschen Geschichte geworden sind. 33
Tötungsdelikte, rund 250 Millionen Euro Sachschaden und mindestens 31
bewaffnete Banküberfälle gehen auf die RAF zurück. Doch schon bei den
Selbstmorden der drei führenden Köpfe Ensslin, Baader und Meinhof bleiben
Zweifel, ein Schleier des Nichtwissens, der auch eine abschließende
Beurteilung der Gruppe bis heute erschwert. Oft hat man bei der RAF das
Gefühl, alles und doch nichts zu wissen. Hier der Versuch einer Annäherung
– in neun Fragen an den RAF-Experten Wolfgang Kraushaar.
In Filmen, Songtexten, Literatur, Werbung und Mode wird die RAF bis heute
romantisiert. Warum fasziniert die RAF immer noch?
Es scheint vor allem die Lust am Abenteuer und die Bewunderung für das
Existenzielle – den Kampf auf Leben und Tod – zu sein, die hier anziehend
wirken. Dafür sind dieselben Mechanismen ausschlaggebend, die auch für
einen Actionfilm gelten. Wenn in der Verfilmung von Austs „Baader Meinhof
Komplex“ etwa zu sehen ist, wie Andreas Baader nachts aus einem fahrenden
Wagen heraus wild durch die Gegend ballert, dann wird in dieser Szene das
so überaus hohle Faszinosum auf den Punkt gebracht. Ich verstehe allerdings
nicht: Was soll „cool“ daran sein, Angst und Schrecken zu verbreiten,
Banken zu überfallen, Leute zu entführen und sogar umzubringen?
Man unterscheidet zwischen der ersten, zweiten und dritten Generation. Was
waren die unterschiedlichen Motive der drei?
Die erste Generation mit ihren Anschlägen auf US-amerikanische
Militäreinrichtungen wollte vor allem den Vietnamkrieg sabotieren, die
zweite durch Entführungsaktionen ihre eigenen Leute aus den Gefängnissen
herausholen und die dritte mit ihren Mordanschlägen auf die Repräsentanten
bestimmter Funktionseliten eine weitgehend imaginäre „antiimperialistische
Front“ stärken.
Die Juden seien ermordet worden „als das, als was man sie ausgab – als
Geldjuden“, sagte Meinhof einmal über den Holocaust. Wie antisemitisch war
die RAF?
Das Kapitel „bewaffneter Kampf“ hat in der Bundesrepublik Deutschland
bezeichnenderweise mit einem Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus
begonnen, und das am 9. November 1969 bei einer Gedenkfeier für die Opfer
der sogenannten Reichskristallnacht. Die Täter stammten aus einer
Vorläuferorganisation, den Tupamaros Westberlin. Sie waren zuvor ebenso wie
die RAF von den Palästinensern an Waffen und Sprengstoff ausgebildet
worden. Ohne diese antiisraelische Kooperation – zunächst mit der Fatah,
später dann mit der PFLP – wäre keine der hiesigen Untergrundgruppierungen
überhaupt aktionsfähig gewesen. Als dann 1972 Ulrike Meinhof und Horst
Mahler den Überfall des „Schwarzen Septembers“ auf die israelische
Olympiamannschaft als antiimperialistische Tat hochjubelten, war klar, dass
die RAF-Spitze in ihrem Hass auf den jüdischen Staat Israel keine Hemmungen
mehr besaß.
Wie lässt sich der erstaunlich hohe Anteil von Frauen in der RAF erklären?
Über die Frage, warum der weibliche Anteil in der RAF weitaus größer als in
jeder anderen vergleichbaren terroristischen Organisation war, ist schon
vor vierzig Jahren lange gerätselt und sehr viel Unsinn verbreitet worden.
Für die einen war die „Emanzipation der Frau“ daran schuld, für die ander…
ein ungezügelter Sexualtrieb. Doch bis heute wartet man noch auf eine
plausible Erklärung. Das Rätsel „RAF-Terroristin“ ist geblieben.
Der Deutsche Herbst war eine Zerreißprobe für den Rechtsstaat Deutschland.
Hat er ihn bestanden?
Schon vor zwanzig Jahren war von einem prominenten Schriftsteller die These
vertreten worden, die Bundesrepublik habe im Deutschen Herbst eine Art
zivilisierendes Bad erfahren. Dem Rechtsstaat sei, wie der spätere
Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius damals feststellte, daraus
„ein neues Staatsgefühl und Selbstbewusstsein“ erwachsen. Darin bestünde
die „tiefere Vernunft des Jahres 1977“. Dieses Modell jedoch trägt Züge
eines Selbstbetrugs. Gegen eine „Läuterung“ spricht eine Reihe von
Indizien. Der Staat hat etwa das damals im Eilmarsch durchgepaukte
Kontaktsperregesetz nur etwas abgemildert, nicht aber wieder
zurückgenommen.
Welche Morde sind bis heute noch nicht aufgeklärt?
Zunächst einmal die ganze Serie der von der dritten RAF-Generation zwischen
1985 und 1991 verübten Morde an Manager Ernst Zimmermann, an
Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts, am Spitzenbeamten Gerold von
Braunmühl, an Deutsche-Bank-Vorstand Alfred Herrhausen und an Treuhand-Chef
Detlev Karsten Rohwedder. Hier tappt man nach wie vor im Dunkeln. Dann gibt
es aber auch noch eine ganze Reihe zuvor verübter Mordtaten, die eigentlich
nur nach Paragraf 129a wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen
Vereinigung, aber – wie etwa im Fall des erschossenen Generalbundesanwalts
Siegfried Buback – nicht wegen eines seitens des jeweiligen Gerichts
erfolgten konkreten Tatnachweises zu Verurteilungen geführt haben. Auch im
Fall des im Oktober 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin
Schleyer ist bis heute ungeklärt, wer ihn nach der Befreiung der
„Landshut“-erschossen hat. Auch die Hoffnung, dass sich mit der Verfolgung
von DNA-Spuren im Nachhinein Licht in derartige Fälle bringen lassen würde,
hat sich nicht wirklich erfüllt. Zum Teil auch deshalb nicht, weil – wie
etwa im Falle Buback – die in Asservatenkammern vorhandenen und vielleicht
noch verwertbaren Spuren längst beseitigt worden waren.
Warum weiß man bis heute kaum etwas darüber, was in den kleinen und großen
Krisenstäben im Bundeskanzleramt besprochen und vereinbart wurde?
Weil es im Bundesarchiv besondere Sperrfristen gibt, bei denen man nur zu
rasch daran denkt, dass es hier um den Schutz von Staatsgeheimnissen gehen
müsse. Ich vermute jedoch, dass die Enttäuschung groß wäre, wenn der
Einblick in diese Akten plötzlich freigegeben würde. Denn es gibt eine
Historikerin, die sie vor einigen Jahren im Auftrag des ehemaligen
Bundeskanzlers Helmut Schmidt durchgesehen hat. Da sie für diese Aufgabe
zuvor natürlich zum Stillschweigen verdonnert worden war, konnte sie ihr
Wissen nicht weitergeben. Sie hat jedoch mir gegenüber versichert, dass man
sich nicht viel davon versprechen dürfe. Andererseits muss man aber wohl
davon ausgehen, dass man kein Mitglied der damaligen Krisenstäbe
nachträglich kompromittieren wollte. Schmidt hatte sie ja in den
aufgewühlten 44 Tagen der Schleyer-Entführung bekanntlich dazu
aufgefordert, auch abenteuerliche Lösungsvorschläge der Geiselkrise zu
unterbreiten. Und dabei soll es zu Ideen wie der gekommen sein, so lange
stündlich ein RAF-Mitglied zu erschießen, bis Schleyer schließlich
freigelassen worden wäre. Aus diesem Grund dürften diese Akten erst dann
geöffnet werden, wenn keiner der Betreffenden mehr unter den Lebenden
weilt.
Haben die früheren RAF-Leute ein moralisches Recht, über ihre Aktionen zu
schweigen?
Es gibt keine moralischen Rechte. Die Moral als solche hat nichts mit einem
verbrieften Recht zu tun. Die Ehemaligen haben aber das formale Recht zu
schweigen. Es wird ihnen ironischerweise gerade von jenem Staat garantiert,
den sie am liebsten in Grund und Boden gebombt hätten. In einem Rechtsstaat
kann sie niemand zwingen, etwas preiszugeben.
RAF-Mitglieder erklären heute den bewaffneten Kampf für gescheitert,
bezeichnen aber den „Aufbruch“ als gerechtfertigt. Ist das nachvollziehbar?
Nein, das ist Selbstbetrug. Die im Nachhinein von Karl-Heinz Dellwo
ausgegebene Parole lautete: „Rebellion ist gerechtfertigt“. Doch der
RAF-Terrorismus war alles andere als ein rebellischer Akt. Für die einen
war er mörderisch, für die anderen wurde er selbstzerstörerisch. Wer meint,
sich an dieser bitteren Wahrheit vorbeimogeln zu können, ist noch immer
nicht in der Wirklichkeit angekommen.
7 Sep 2017
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